Brief an die Seminaristen

aus Anlass des Weltgebetstags zur Heiligung der Priester

 

Heiligstes Herz Jesu

7. Juni 2013

 

Liebe Seminaristen,

 

am Hochfest des heiligsten Herzens Jesu wird der Weltgebetstag zur Heiligung der Priester begangen – ein Zusammenhang, der von besonderer Bedeutung ist. Und weil Ihr im Seminar seid, um in der bestmöglichen Weise auf Eure Berufung zu antworten, liegt es mir sehr am Herzen, Euch voller Zuneigung diesen Brief zu senden, damit Ihr Euch bei diesem bedeutsamen Anlass einbezogen fühlt und spürt, dass auch Eurer gedacht wird.

Betrachten wir gemeinsam die Wirklichkeit des Ursprungs der Berufung durch Gott. Der Heilige Vater hat den konkreten Aspekt der Liebe unterstrichen, den die Priester Christi und der Kirche praktizieren müssen. In der Predigt der Chrisam-Messe (28. März 2013) hat Papst Franziskus gesagt: „Das erbitte ich von euch: Seid Hirten mit dem ,Geruch der Schafe‘.“ Durch dieses einprägsame Bild lädt der Nachfolger Petri uns ein, eine tiefe und konkrete Liebe zum Volk Gottes zu haben, eine Liebe, die – wie der Papst ebenfalls bemerkt hat – nicht aus rein menschlichen Motiven gespeist wird und die man auch nicht durch Techniken der Autosuggestion verstärkt. Die persönliche Begegnung mit dem Herrn und das lebendige Bewusstsein, von ihm berufen zu sein, sind es, die eine höhere, eine übernatürliche Kraft verleihen, um Priester nach dem Bild des Guten Hirten aller zu sein, nach dem Bild Jesu Christi. Aber um dies morgen zu sein, müsst Ihr euch heute vorbereiten. Mit klaren Worten hat Papst Franziskus auf den Primat der Gnade im Leben des Priesters hingewiesen: „Es ist eben gerade nicht in den Selbsterfahrungen oder in den wiederholten Introspektionen, dass wir dem Herrn begegnen: Selbsthilfekurse können im Leben nützlich sein, doch unser Priesterleben zu verbringen, indem wir von einem Kurs zum anderen, von einer Methode zur anderen übergehen, das führt dazu, Pelagianer zu werden, die Macht der Gnade herunterzuspielen“ (ibidem).

 

Für den Jünger bedeutet an der Seite Christi und den Weg in der Gnade zu gehen, mit geistlicher Freude die Last des priesterlichen Kreuzes anzunehmen. Hören wir noch einmal die Lehre des Heiligen Vaters dazu: „Wenn wir ohne das Kreuz gehen, wenn wir ohne das Kreuz aufbauen und Christus ohne Kreuz bekennen, sind wir nicht Jünger des Herrn: Wir sind weltlich“ (Predigt in der heiligen Messe mit den Kardinälen, 14. März 2013). Unser Priesteramt als Dienst am gekreuzigten Christus zu leben bewahrt uns davor, die Kirche als menschliche Organisation misszuverstehen, als „eine wohltätige NGO, aber nicht die Kirche, die Braut Christi“ (ibidem).

 

Im Lichte dieser ersten lehramtlichen Äußerungen von Papst Franziskus lade ich Euch ein, Eurer Leben als Geschenk Gottes zu sehen und zugleich als Aufgabe, die Euch nicht nur von den Menschen anvertraut wird, sondern letztlich – auch über die notwendige Vermittlung der Kirche – vom Herrn selbst, der einen Plan für Euer Leben und für das Leben der Brüder und Schwestern hat, denen zu dienen Ihr berufen seid.

 

Es ist notwendig, unser ganzes Leben neu als göttliche Berufung zu sehen und darüber hinaus natürlich als großherzige Antwort des Menschen. Es geht darum, in uns eine besondere Sensibilität im Hinblick auf die Berufung zu pflegen, die das Leben als kontinuierlichen Dialog mit dem auferstandenen und lebendigen Herrn sieht. Zu allen Zeiten hat Christus einige Männer berufen, ihm in größerer Nähe nachzufolgen, und er tut dies auch heute noch, indem er sie an seinem Priestertum teilhaben lässt – das bedeutet, dass der Herr in allen Epochen der Kirchengeschichte mit Gläubigen in einen Dialog hinsichtlich ihrer Berufung eingetreten ist – Gläubige, die er erwählt hat, damit sie mitten unter dem Volk Gottes seine Vertreter seien wie auch Mittler zwischen Himmel und Erde, vor allem durch die Feier der Liturgie und die Spendung der Sakramente. Denn in der Tat kann man sagen, dass die Liturgie den Himmel über der Erde aufreißt.

 

In dieser Hinsicht seid Ihr – ohne eigenes Verdienst – durch die Weihe berufen, Mittler zwischen Gott und dem Volk zu sein und die heilbringende Begegnung durch die Feier der göttlichen Geheimnisse zu ermöglichen. Auf diese Berufung habt Ihr trotz Eurer Grenzen mit Großherzigkeit und Freude geantwortet. Es ist notwendig, dass Ihr immer diese Jugendlichkeit Eures Herzens bewahrt. Es ist notwendig „dass wir den Glauben mit einem jungen Herzen leben …, immer: mit jungem Herzen, auch mit siebzig, achtzig Jahren! Ein junges Herz! Mit Christus wird das Herz niemals alt!“ (Papst Franziskus, Predigt am Palmsonntag, 24. März 2013, Nr. 3).

 

Die Jugendlichkeit des priesterlichen Geistes, feststehend in der Berufung, wird gewährleistet vom Gebet, das heißt von der beständig gepflegten Haltung der inneren Stille, die Tag für Tag das Hören auf Gott fördert. Diese beständige Offenheit des Herzens ist eingefügt in eine Stabilität – wenn einmal die grundlegenden Lebensentscheidungen getroffen sind –, die in der Lage ist, mit der Hilfe der Gnade den feierlich eingegangenen Verpflichtungen bis zum Ende des irdischen Daseins treu zu bleiben. Dennoch bedeutet diese notwendige Festigkeit nicht ein Verschließen des Herzens vor dem Ruf Gottes, denn der Herr – auch wenn er uns Tag für Tag in unserer grundlegenden Berufung bestärkt – steht immer vor der Tür unseres Herzens, klopft an (vgl. Apg 3,20) und wartet, dass wir Ihm öffnen mit derselben Großherzigkeit, mit der wir Ihm unser erstes „Fiat“ gesagt und dabei die Verfügbarkeit der immerwährenden Jungfrau und Mutter Gottes nachgeahmt haben (vgl.Lk 1,38). Wir dürfen deshalb dem Plan, den Gott für uns hat und den er uns Tag um Tag unser ganzes Leben lang mitteilt, niemals Grenzen setzen.

 

Diese Offenheit für unsere Berufung ist auch der sicherste Weg, um in der Freude des Evangeliums zu leben. Denn es ist der Herr, der uns wirklich glücklich macht. Unsere Freude entspringt nicht weltlichen Befriedigungen, die nur kurze Zeit erfreuen und schnell vergehen, wie der heilige Ignatius von Loyola in der ersten geistlichen Unterscheidung bemerkt (vgl. Stundengebet, Lesehore vom 31. Juli, II. Lesung). Unsere Freude ist Christus! Im täglichen Dialog mit Ihm, schöpft der Geist neue Kraft und neuen Mut und erneuert sich der Eifer für das Heil der Seelen.

 

Diese Dimension des Gebets in Bezug auf die priesterliche Berufung erinnert uns noch an andere sehr wichtige Aspekte. Vor allem an die Tatsache, dass Berufungen nicht zuerst durch eine pastorale Strategie erreicht werden, sondern vor allem durch das Gebet. Das ist es, was Jesus uns gelehrt hat: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10,2). Diese Worte des Evangeliums kommentierend, sagte Benedikt XVI.: „Wir können Berufungen nicht einfach ,machen‘, sie müssen von Gott kommen. Wir können nicht, wie vielleicht in anderen Berufen, durch gezieltes Management, entsprechende Strategien sozusagen, einfach Leute rekrutieren. Die Berufung muss immer den Weg vom Herzen Gottes aus zum Herzen des Menschen finden“ (Begegnung mit den Priestern und Ständigen Diakonen Bayerns, 14. September 2006). Ihr, liebe Seminaristen, seid vom Herrn berufen worden, aber an Eurer Antwort haben viele Menschen in der ganzen Welt mit ihrem Gebet und ihren Opfern mitgewirkt, und sie tun dies auch weiterhin. Seid Euch dessen dankbar bewusst und verbindet Euch mit ihnen, um weitere Antworten auf die Berufung zu unterstützen. Zum Primat des Gebets tritt dann auch, als Kanal der göttlichen Gnade, eine gesunde, motivierte und begeisterte Berufungspastoral von Seiten der Kirche hinzu. Hinsichtlich dieser Mitwirkung von Seiten der Kirche am Werk Gottes, um dem Volk Gottes und mystischen Leib Christi Hirten zu geben, ist es angebracht, ganz kurz an einige Aspekte zu erinnern, die diese auszeichnen müssen, das heißt: die Wertschätzung der Berufungen zum Priestertum, das Lebenszeugnis der Priester, das besondere Wirken der Ausbilder in den Priesterseminaren.

 

Vor allem ist es notwendig, dass in der Kirche eine Wertschätzung der Berufungen zum Priestertum vorhanden ist, in Anbetracht der Tatsache, dass die Gemeinschaft der Jünger Christi ohne den Dienst der geweihten Amtsträger nicht fortbestehen kann. Daraus entspringt die Sorge, die Aufmerksamkeit und die Ehrfurcht für das Priestertum. Zweitens werden Berufungen bekanntermaßen sehr begünstigt durch das Beispiel der Priester und die Sorge, die sie ihnen widmen. Ein beispielhafter Priester wird sicherlich in den Herzen der Jugendlichen die Frage aufsteigen lassen: Bin nicht auch ich zu einem so schönen und glücklichen Leben berufen? Gerade auf diese Weise sind Priester die Kanäle, durch die Gott in den Herzen derer, die er erwählt hat, die göttliche Berufung erklingen lässt! Die Priester werden dann die Keime der Berufung, die sie in der Seele der Jugendlichen erkennen, durch das Sakrament der Beichte, die geistliche Leitung, die Predigt und die Pastoral wachsen lassen. Ich glaube, dass viele von Euch Zeugen dafür sind und dass es auch Euch zugute kam.

 

Ich möchte noch ein Wort sagen über die wichtige Rolle jener Priester, denen die Bischöfe Eure Ausbildung und Formung anvertraut haben. Die Ausbilder in den Priesterseminaren sind gerufen, die Pflege der Priesterberufungen fortzusetzen und zu vertiefen, während sie jegliche angemessene Hilfestellung für die notwendige persönliche Unterscheidung des einzelnen Kandidaten leisten. Diesbezüglich muss an die beiden Prinzipien erinnert werden, von denen die Bewertung der Berufung geleitet sein muss: die herzliche Annahme und die gerechte Strenge. Während es angebracht ist, bei der Aufnahme der Seminaristen jegliches Vorurteil zu vermeiden, wie auch jegliche Art von Rigorismus, ist es andererseits von allergrößter Wichtigkeit, sich sorgfältig zu hüten vor Laxismus und Nachlässigkeit in der Beurteilung. Die Kirche braucht sicherlich Priester, aber nicht jegliche Art von Priestern! Die aufnahmebereite Liebe muss daher begleitet sein von der Wahrheit, die klar beurteilt, ob für einen bestimmten Kandidaten die Zeichen der Berufung und die notwendigen menschlichen Komponenten für eine verlässliche Antwort auf die Berufung vorhanden sind oder nicht. Die pastorale Not der Kirchengemeinden darf nicht zur übereilten Priesterweihe verleiten. Im Zweifelsfalle ist es vielmehr besser, sich die notwendige Zeit zu nehmen, eine angemessene Bewertung durchzuführen und dabei auch die Entlassung jener Kandidaten nicht auszuschließen, die keine ausreichende Gewähr bieten.

 

Liebe Seminaristen, mit diesen kurzen Bemerkungen wollte ich unsere geistliche Aufmerksamkeit erneut auf das unermessliche Geschenk und das absolut unverdiente Geheimnis unserer besonderen Berufung lenken. Vertrauen wir der allerseligsten Jungfrau und dem heiligen Joseph das Geschenk der Treue und der Beständigkeit in der Berufung durch Gott an, die uns aus reiner Gnade geschenkt worden ist, und bemühen wir uns, auf die Großherzigkeit Gottes, der immer Hirten für seine Herde sendet, mit erneuertem apostolischen Eifer zu antworten. Seid beharrlich und denkt immer daran, dass der Name der Liebe in der Zeit „Treue“ ist.

 

Mit Aufmerksamkeit und Zuneigung gedenke ich Eurer jeden Tag im Gebet und rufe von Herzen den göttlichen Segen auf Euch herab!

 

 

Mauro Kard. Piacenza

Präfekt

Kongregation für den Klerus