Kongress,
ausgetragen unter der Schirmherrschaft von
„Alleanza Cattolica“, „Cristianità“ und
„IDIS“
(Istituto per la Dottrina e l’Informazione Sociale)
Saal des hl. Pius X., Via della Conciliazione 5 - Rom
Samstag, den 19.
Mai 2012 – 10:00 Uhr
»Zwanzig Jahre Katechismus der
Katholischen Kirche
zugunsten einer
Neuevangelisierung«
Lectio Magistralis
Seine Eminenz
Kard. Mauro Piacenza
Präfekt der
Kongregation für den Klerus
Hochwürdigste Mitbrüder im Bischofsamt,
geschätzter Herr Rektor,
verehrte Herren,
liebe Freunde,
es freut mich, mit diesem Vortrag zu einem
Kongress beitragen zu dürfen, der in gewisser Weise das Jahr des Glaubens
vorwegnimmt und uns Gelegenheit bietet, die Beweggründe zu vertiefen, die
hinter einem der beiden Anlässe stehen, die zu dieser Feier des Glaubens geführt
haben: Ich beziehe mich auf das zwanzigste Jahr der Veröffentlichung des
Katechismus der Katholischen Kirche – ein Anlass, der aber in Wirklichkeit
nicht von seinem Pendant, dem fünfzigsten Jahrestag der Einberufung des Zweiten
Ökumenischen Vatikanischen Konzils, getrennt werden kann.
In meinem Beitrag werde ich auf drei
Aspekte eingehen, die mir in Bezug auf das Thema, das mir zugewiesen wurde,
wesentlich erscheinen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang: Die zwischen dem Katechismus
der Katholischen Kirche und dem Zweiten Vatikanischen Konzil bestehende Beziehung,
einige Perspektiven in Bezug auf die Rezeption des Katechismus und
schließlich die enge Verbindung, die zwischen dem Katechismus und der
Neuevangelisierung besteht.
Bevor ich die Thematik zu entfalten
beginne, möchte ich vorausschicken, dass ich mir sehr wohl dessen bewusst bin,
dass ein Dokument, ganz gleich welcher Art, nicht ausreicht, um radikale
Veränderungen und Reformen im Sinne des Evangeliums herbeizuführen.
Schriftliche Dokumente spielen eine
wesentliche Rolle und sind auf jedem echten Weg der Bekehrung – und somit auch
der Reform – eine Hilfe, indem sie nämlich Argumente hierfür aufzeigen und
wertvolle Hinweise geben, doch die Antriebsquelle für eine persönliche und
kirchliche Erneuerung ist sicherlich immer, allein und vor allem die Heiligkeit!
– Sowohl die objektive Heiligkeit der Kirche, insofern als sie der mystische
Leib Christi ist, als auch die persönliche Heiligkeit von jedem einzelnen ihrer
Mitglieder.
Wenn dem nicht so wäre, würde auch die
schon seit einem Jahrzehnt andauernde Rede von der Neuevangelisierung –
offiziell wird der Begriff seit dem Dokument Novo Millennio ineunte verwendet – Gefahr laufen, sich als Slogan zu entpuppen, den man
propagandistisch immer wieder aufgreift, ohne dass jedoch eine echte Verbindung
zur Wirklichkeit, zu den konkreten kulturellen, doktrinären und pastoralen
Gegebenheiten, die in den christlichen Gemeinschaften und Teilkirchen
herrschen, besteht.
1. Der Katechismus der Katholischen Kirche und das Zweite Vatikanischen
Konzil
Ein grundlegender Aspekt, den man stets
berücksichtigen muss, wenn man über den Katechismus der Katholischen Kirche spricht,
ist dessen Verbindung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Der Katechismus hat
seine Grundlage im Konzil, vom Konzil her wächst und
entfaltet er sich und schließlich ist er auch eine reife Frucht desselben.
Jede andersartige Sichtweise wäre
verkürzend und könnte nicht erklären, warum die Kirche sich so viel Mühe gegeben
hat, eine „Summe des Glaubens“ zu
erarbeiten, die einen solch grundsätzlichen und universalen Charakter besitzt,
wie es beim Katechismus der Fall ist!
Der selige Johannes Paul II. schrieb in
der am 11. Oktober 1992 unterzeichneten Apostolischen Konstitution Fidei depositum: »Das Konzil hat nach
seinem Abschluss nicht aufgehört, das Leben der Kirche anzuregen. […] In diesem
Geist habe ich am 25. Januar 1985 eine außerordentliche Versammlung der
Bischofssynode aus Anlass des 20. Jahrestages des Konzilsabschlusses
einberufen. Ziel dieser Versammlung war es, die Gnaden und geistlichen Früchte
des Zweiten Vatikanischen Konzils zu würdigen und seine Lehre zu vertiefen, um
es noch besser zu befolgen sowie seine Kenntnis und Anwendung weiter zu
fördern. Bei dieser Gelegenheit haben die Synodenväter festgestellt: ,,Sehr
einmütig wird ein Katechismus bzw. ein Kompendium der ganzen katholischen
Glaubens- und Sittenlehre gewünscht […].“ [D]ieser Katechismus [wird] einen
sehr wichtigen Beitrag zum Werk der Erneuerung des gesamten kirchlichen Lebens
leisten, wie es vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollt und eingeleitet wurde.«
Ausdrückliche Verweise auf das Zweite
Vatikanische Konzil findet man auch im promulgierten Text selbst, und zwar in
seiner ersten Ausgabe in französischer Sprache (1992) sowie in jener der Editio Typica latina (1997), – so als ob dadurch an den tiefen Impuls der
Erneuerung erinnert werden solle, der vom Konzil auf die ganze Kirche
ausgegangen ist.
Vom theologischen Standpunkt aus
betrachtet ist zu bedenken, dass die Auferstehung eine neue Dimension des Lebens
und der Wirklichkeit erschlossen hat, von der aus eine neue Welt ersteht, die
ständig in unsere Welt hineinreicht, sie verwandelt und an sich zieht. All das
geschieht ganz konkret im Leben und Zeugnis der Kirche; mehr noch, die Kirche
ist selbst Erstlingsfrucht dieser Verwandlung, die nicht wir vollbringen,
sondern die Gott vollbringt, und gerade darin besteht die wahre Erneuerung. Die
Erstlingsfrucht dieser Erneuerung, dieser neuen Menschheit, die von der
Auferstehung des Herrn verwandelt wurde, ist die Kirche. Die Gesellschaft
erneuern, bedeutet für uns, die Verbreitung der Kirche zu fördern, und die
Kirche erneuern bedeutet, jene „Neuheit“ treu umsetzen, die eine Charakteristik
der Kirche selbst ist, und zwar kraft des Willens und des ungeschuldeten
Geschenks, das Gott ständig gibt – im Heiligen Geist.
Insofern überrascht es nicht, dass bei
jeder offiziellen Vorstellung des Katechismus der Katholischen Kirche ständig
auf das Zweite Vatikanische Konzil verwiesen wird, denn Ersterer muss als
tiefes und kirchlich vermitteltes Echo des Zweiten aufgefasst werden. Es kann
auch gar nicht anders sein, denn allein das Konzil hat der Kirche die Kraft
gegeben, den eigenen Glauben in gemeinschaftlicher Weise in einem neuen – im
Sinne von erneuerten – Katechismus zum Ausdruck zu bringen.
Das ist alles wahr und es ist auch leicht
anzunehmen – unter einer Bedingung: Dass man nämlich tatsächlich das Konzil
kennen, lieben und seinen Anweisungen folgen will und nicht etwa der eigenen „Idee
vom Konzil“. Bedingung ist also, dass man dem II. Vaticanum gehorchen will und
nicht etwa jenem Ereignis, das nie stattgefunden hat und das nur dem
Wunschdenken gewisser Leute entspricht.
Die Frage der korrekten Auslegung des
Zweiten Vatikanischen Konzils hat auch seine Auswirkungen auf eine korrekte Interpretation
der Beziehung zwischen dem Katechismus der Katholischen Kirche und dem Konzil.
Diese Auslegung hat Papst Benedikt XVI. in der schon klassischen, am 22. Dezember
2005 gehaltenen Rede, umrissen, indem er sich für eine klare Option zugunsten
einer Hermeneutik der Reform innerhalb der Kontinuität des gleichen Subjekts
Kirche aussprach und offen darlegte, welch schwerwiegender Schaden entsteht,
wenn nach einer so genannten „Hermeneutik des Bruchs“ vorgegangen wird.
Dies ist nicht der Ort, um sich in eine
Debatte zu verwickeln, die so vielschichtig diskutiert wird und in der sich so
unterschiedliche Stimmen zu Wort melden, dass unvermeidlich Spannungen
entstehen.
Dennoch sehe ich es als meine Pflicht
an, festzustellen, dass die „Gedankenregie“ des Heiligen Vaters (wie ich sie bezeichnen
würde) langsam aber sicher ihre Früchte bringt. Bei immer mehr Anlässen spricht
man vom Zweiten Vatikanischen Konzil, immer mehr Menschen, Studien und sogar
Lehrstühle befassen sich mit ihm und wünschen dies auf die wissenschaftlichste
Art und Weise zu tun. Vor allem aber möchte man dies frei von ideologischen
Zwängen, die an kulturelle und soziale Umfelder gebunden sind, tun. Man will
eine immer größere Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, der Geschichte, den
Texten und deren Aufnahme erzielen, was für eine korrekte Hermeneutik
wesentlich ist.
Schon der selige Johannes Paul II. hat
über den Katechismus gesagt, dass er »eine Darlegung des Glaubens der Kirche
und der katholischen Lehre [ist], wie sie von der Heiligen Schrift, der
apostolischen Überlieferung und vom Lehramt der Kirche bezeugt oder erleuchtet
wird. Ich erkenne ihn als gültiges und legitimes Werkzeug im Dienst der
kirchlichen Gemeinschaft an, ferner als sichere Norm für die Lehre des
Glaubens. Ich bitte daher die Hirten der Kirche und die Gläubigen, diesen Katechismus
im Geist der Gemeinschaft anzunehmen und ihn sorgfältig bei der Erfüllung ihrer
Sendung zu benutzen, wenn sie das Evangelium verkünden und zu einem Leben nach
dem Evangelium aufrufen.« (Apost. Konst. Fidei
depositum).
2. Die Rezeption des Katechismus der Katholischen Kirche
Wir sind damit am zweiten Punkt dieses
Vortrags angelangt. Hier möchte ich einige Pfade aufzeigen, die das Phänomen
der Aufnahme des Katechismus auslegen und beschreiben.
Wie erwähnt wurde, kann man die Rezeption
des Katechismus nicht völlig von der korrekten Rezeption des Zweiten
Vatikanischen Konzils unterscheiden und noch heute herrscht ein „seltsamer
Bruch“ in jenen vor, die vom Konzil schwärmen aber andererseits dem Katechismus
ablehnend gegenüberstehen, eben weil sie darin einen regelrechten Verrat an der
Lehre des Konzils zu erkennen glauben.
Zugegebenermaßen handelt es sich – auch
wenn die Kommunikationsmittel ständig diese Stimmen hörbar machen – zahlenmäßig
um kleine Minderheiten, die eher ihre Standpunkte häufig wiederholen, als dass
sie kreativ wären. Oft sind sie unfähig, dort, wo sich die Kirche als ein Leib entwickelt,
jene Kräfte zu entdecken, die der Geist auf verschiedene Arten und Weisen und
zu verschiedenen Zeiten weckt.
In den weitaus meisten Fällen hingegen
wurde der Katechismus in allen Teilkirchen der Welt als ein Geschenk für die
Hirten und die Gläubigen aufgenommen, als sicherer Bezugspunkt für die
Erarbeitung regionaler (nationaler und diözesaner) Katechismen – was er in
Wirklichkeit auch ist –und als Beitrag, der den Schwerpunkt des Glaubens der
Kirche definiert.
Wir dürfen nicht vergessen, dass vor
zwanzig Jahren das Umfeld ein anderes war, als es heute der Fall ist. Aufgrund
der Schnelligkeit des durch die Unmittelbarkeit der Kommunikation verursachten
soziokulturellen Wandels stellen zwanzig Jahre einen ausreichende Zeitspanne
dar, um sagen zu können, dass das kulturelle Klima sich gründlich gewandelt hat.
In diesem Sinne ist die Veröffentlichung des Katechismus ein Beweis für die
Stärke der Kirche und den Mut des seligen Johannes Pauls II.!
Ebenfalls sehr beachtlich war in diesen
Jahren die Rezeption des päpstlichen Lehramtes, das unaufhörlich auf ihn
verwiesen hat, – so wie es das auch in Bezug auf die Texte des Zweiten
Vatikanischen Konzils tat, wobei es diese Texte bisweilen mithilfe des Katechismus
als einem sicheren Werkzeug der Auslegung erklärte. Ähnlich weitreichend fiel
diese Rezeption in den lehramtlichen Dokumenten der Kurie sowie im ordentlichen Lehramt der Hirten aus.
Es bleibt jedoch noch viel zu tun, um
zu einer korrekten Beziehung zwischen Theologie und Katechismus zu gelangen und
in diesem Sinne Fortschritte zu machen. Wir sind uns dessen klar bewusst, dass
es nicht Aufgabe der Theologie ist, die offenbarte Wahrheit einfach zu wiederholen.
Sie soll vielmehr die Erkenntnis der offenbarten Wahrheit vertiefen. Im Bereich
der Theologie scheint man sich jedoch nicht genug darum gekümmert zu haben, jenen
kostbaren Dienst und Beitrag zur Unterstützung der Argumente zu leisten, welche
die doktrinären Aussagen untermauern. Wahrscheinlich wäre die Theologie viel
fruchtbarer, wenn sie in Bezug auf die wesentlichen Wahrheiten unseres Glaubens
die eigenen Kräfte in einer weniger zentrifugalen und fast schmerzhaft
marginalen Weise einsetzen würde.
Die von der Kongregation für die
Glaubenslehre herausgegebene Instruktion über die kirchliche Berufung des
Theologen, welche die Unterschrift des damaligen Präfekten, Kardinal Joseph
Ratzinger, trägt (24.05.1990), erinnert
in klarer Weise an die unersetzliche Rolle der Theologie in der Kirche und es
wäre wirklich wünschenswert, dass, vor allem an den Theologischen Fakultäten,
ausgesuchte Lehrstühle über den Katechismus der Katholischen Kirche, an denen
man seine Entstehungsgeschichte, seine Rezeption, seine Entwicklung und vor
allem seinen fruchtbaren Einsatz in der Pastoral studieren könnte, eingerichtet
würden.
Wie Papst Benedikt vergangene Karwoche
bei seiner Predigt im Rahmen der Chrisam-Messe gesagt hat: »All unsere Verkündigung muss Maß nehmen
an dem Wort Jesu Christi: „Meine Lehre ist nicht meine Lehre“ (Joh 7,16). Wir
verkündigen nicht private Theorien und Meinungen, sondern den Glauben der
Kirche, deren Diener wir sind. Aber das darf natürlich nicht heißen, dass ich
nicht mit meinem ganzen Ich hinter dieser Lehre und in ihr stehen würde.« Vor allem diese letzte Passage – der Papst meinte,
es sei seine Pflicht, dies klar zu betonen – zeigt, welche Position jeder
Christ in Bezug auf die Lehre, die im Katechismus der Katholischen Kirche
dargeboten ist, einnehmen sollte – und a fortiori gilt das dann
auch für jeden Priester, Theologen und Bischof.
Dass man Diener
der kirchlichen Lehre ist und sich völlig in sie hineinversetzt hat, gehört zu
jener christlichen und priesterlichen Identität, die letztendlich auch
thematisch den Grundtenor und Kern des Priester-Jahres, das wir von 2009-2010
gefeiert haben, stellte.
Der
Prozess der offiziellen Rezeption des Katechismus der Katholischen Kirche ist
vielleicht langwieriger als jener der realen Rezeption, wie diese sich vor
allem auf der Ebene der Gemeinschaften, religiösen Familien, Vereinigungen, Bewegungen
usw. abzeichnet. Das Jahr des Glaubens, das aus Anlass der Jahrestage des
Konzils und des Katechismus einberufen wurde, hat auch folgenden Zweck: Eine
noch intensivere und breitgefächerte Rezeption des Katechismus in seiner
Eigenschaft als Werkzeug sicherer Lehre und einer korrekten Auslegung des
Zweiten Vatikanischen Konzils zu gewähren.
Es ist
vielleicht an der Zeit, mit hinreichender Deutlichkeit zu sagen, dass
diejenigen sich gründlich irren, die behaupten, »der Katechismus habe das
Konzil verraten« oder »der Katechismus sei ein Schritt hinter das Konzil«. Hinter
solchen Slogans
verbirgt sich, nicht einmal allzu schwer erkennbar, ein Verständnismangel nicht
nur für das Konzil selbst, sondern auch für das Wesen der ganzen Kirche als
Leib Christi. Behauptungen dieser Art kommen vor allem aus Umfeldern, in denen
man sich zu jener Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruchs bekennt, die
vom Heiligen Vater ganz klar als für schwere Verwirrung im Volk Gottes
verantwortlich ausgewiesen worden ist.
Darüber
hinaus meine ich, dass solche Haltungen extrem schädlich sind und dem Konzil
einen Bärendienst erweisen, sei es, weil sie leider Gottes zu widersetzlichen
Reaktionen führen, die auch das Risiko des Bruchs mit sich bringen, sei es weil
sie hauptsächlich mit ideologischen Verbrämungen den nüchternen Zugang zu den
Texten des Konzils verbauen und somit die vergleichende Gegenüberstellung mit
der ständigen Tradition und der kirchlichen Lehre sowie die Rezeption der
grundlegenden Konzilstexte im nachfolgenden Lehramt, wie sich dieses unter dem
Diener Gottes Paul VI. und vor allem unter dem seligen Johannes Paul II.
ergeben hat, aufhalten.
Es ist
viel geleistet worden, doch bleibt noch viel zu tun, damit der Katechismus der
Katholischen Kirche auf rechte Weise rezipiert wird. Je mehr wir uns für seine
Rezeption einsetzen und verwenden, umso mehr hat unser Engagement letztlich mit
der Neuevangelisierung zu tun.
3. Der Katechismus der Katholischen Kirche und die Neuevangelisierung
In der oben zitierten Predigt, die
Benedikt XVI. während der Chrisam-Messe hielt, sagte er: »Das Jahr des Glaubens, das Gedenken an
die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren soll uns ein Anlass
sein, mit neuem Eifer und neuer Freude die Botschaft des Glaubens zu
verkündigen. Die finden wir natürlich grundlegend und zuallererst in der
Heiligen Schrift, die wir nicht genug lesen und bedenken können. Aber dabei
machen wir alle die Erfahrung, dass wir Hilfe brauchen, um sie recht in die
Gegenwart zu übertragen; dass sie uns wirklich ins Herz trifft. Diese Hilfe finden
wir zuallererst im Wort der lehrenden Kirche: Die Texte des II. Vaticanums und
der Katechismus der Katholischen Kirche sind die wesentlichen Instrumente, die
uns unverfälscht zeigen, was die Kirche vom Wort Gottes her glaubt. Und
natürlich gehört der ganze, noch längst nicht ausgeschöpfte Schatz der
Dokumente dazu, die uns Papst Johannes Paul II. geschenkt hat.«
Der Papst
selbst also erkennt die ununterbrochene Kontinuität des Lehramtes an, die
zwischen den Texten des II. Vaticanums und dem Katechismus besteht und lädt die
Kirche ein, den bei weitem noch nicht hinreichend ausgebeuteten Schatz an
Dokumenten – ein mehr als zwanzigjähriger Bestand, den uns der selige Johannes
Paul II. hinterlassen hat –, nutzbar zu machen.
Wenn man vom
Zitat des Papstes ausgeht, kann man zwei Aspekte hervorheben, die sich auf die
Beziehung zwischen Katechismus und Neuevangelisierung auswirken.
Den Ersten
entnehmen wir den eigenen Worten Benedikts XVI., der feststellt: »[D]abei machen wir alle die Erfahrung, dass wir Hilfe brauchen, um sie recht
in die Gegenwart zu übertragen; dass sie uns wirklich ins Herz trifft.«
Das Werk der
Evangelisierung ist also nicht einfach ein menschliches „Tun“. Vielmehr bedarf
es dabei in jedem Fall einer übernatürlichen Hilfe, die sich durch die Vermittlung
von Zweitursachen ergibt (unter ihnen auch der Katechismus), die in die Lage
versetzen, den rechten Glauben weiterzugeben. Jene Weitergabe muss „in der
Gegenwart“ stattfinden, das heißt im Heute des täglichen Lebens und in diesem
Sinne ist Evangelisierung stets neu, denn sie ist selbst eine stets neuerliche
Verkündigung des Evangeliums in der Gegenwart. Zugleich erneuert sie, denn sie
„macht denjenigen neu“, der die Verkündigung annimmt.
Außerdem
meint der Heilige Vater mit gewisser prophetischer Vorahnung, dass all das
notwendig ist, damit »sie uns wirklich ins Herz trifft«, und bestätigt dabei, dass der Christ gerade
bei der Verkündigung des Evangeliums erlebt, wie sein Herz getroffen ist und er
somit gemäß dem Prinzip der Übereinstimmung des eigenen Lebens mit der
geglaubten Wahrheit, den Ruf zur Erneuerung verspürt.
Vor diesem
Hintergrund dürfen wir hoffen, dass wir die Neuevangelisierung nicht
entsprechend mehr oder weniger erfolgreichen menschlichen Strategien
auszuführen haben oder dass sie nur ein Werk ist, das wir in zukünftigen Jahren
vollbringen müssen. Ganz im Gegenteil! Sie wird in dem Maße verwirklicht, in
dem der ganze Leib der Kirche den eigenen Glauben bekennt und durch dieses
Glaubensbekenntnis von neuem selbst evangelisiert wird. Die Neuevangelisierung
wird kein Werk sein, das von Hirten und Gläubigen bewerkstelligt wird. Vielmehr
wird sie mit dem Werk der Verkündigung des Evangeliums selbst zusammenfallen, einer
Verkündigung, die in dem Moment, in dem sie stattfindet, denjenigen, der sie
vollbringt, erneuert. Und zugleich wird sie dabei Samenkorn der Hoffnung für
denjenigen sein, der sie beachtet und aufnimmt.
Vergleichsweise
könnte man sagen – erlauben Sie mir diesen Exkurs aufgrund meines Dienstes in
der Kongregation für den Klerus –, dass die Neuevangelisierung ein wenig so
aussieht, wie die Ausübung des Dienstes vonseiten der Priester: Dieser Dienst
ist nicht von ihrer Person, von der ihnen eigenen Identität und Mission zu
unterscheiden. Vielmehr fällt er damit zusammen und gerade in der Ausübung des
Dienstes bekennen die Priester ihren Glauben, nehmen wahr, wie er sich erneuert
und in eine Kraft verwandelt, die die Evangelisierung vorantreibt.
Der zweite
Aspekt – und hier tritt nun ganz klar der Katechismus mit seinem ganzen doktrinären
Gewicht in Erscheinung – ergibt sich aus der Beziehung zwischen der
Verkündigung Christi, den man im eigenen Leben als Heiland und Erlöser
anerkennt, und der Annahme dessen, was er uns über sich selbst, den Vater, die
Kirche und den Menschen offenbart hat.
Mit anderen
Worten ist es nicht möglich, Christus anzunehmen, ohne das anzunehmen, was er
uns über Gott mitgeteilt hat. Eine Neuevangelisierung, die sich von den
Glaubenswahrheiten und der Lehre trennt, ist nicht möglich, denn gerade diese
sind ihr Inhalt und diese stellt sie ins Licht.
In diesem
Sinne ist die Kenntnis des Katechismus der Katholischen Kirche, seine
Verbreitung und fortschreitende Vermittlung im Netz des kirchlichen Geflechts
schon ein Werk, das als Neuevangelisierung bezeichnet werden kann, denn so
etwas wird unmöglich seine Wirkung auf die neu zu evangelisierende
Zivilgesellschaft verfehlen, da die eigene innere Kraft immer eine
ausstrahlende Wirkung hat.
Die
Einteilung des Katechismus in vier Teile: Glaube im Bekenntnis, gefeierter
Glaube, gelebter Glaube und Glaube im Gebet, übernimmt in
treuer Weise die Einteilung des Römischen Katechismus ad parrocos,
welcher nach dem Konzil von Trient erarbeitet worden war und bietet diese von
neuem dar. Dieser Einteilung kann man vier fundamentale Leitlinien entlehnen,
die man auch auf die Neuevangelisierung anzuwenden vermag.
Die vier
oben genannten Bezugnahmen zum Glauben stellen also ebenso viele Pfade dar,
deren Begehung für den Erfolg der Neuevangelisierung entscheidend ist. Wie es
in den für das Jahr des Glaubens von der Kongregation für die Glaubenslehre
gegebenen Hinweisen heißt, bedeutet eine Erneuerung des Glaubens, den man
bekennt sicherlich auch Gelegenheiten zu finden, während derer man sich
öffentlich zu diesem Glauben bekennt. Dabei soll natürlich die stets notwendige
kulturelle Vertiefung, durch die das Denken fortschreitend erzogen wird, auch
nicht vergessen werden. Durch die Lösung der Gedanken von der Verstrickung mit
der Welt beginnt der Geist, die Vernunft fortschreitend im Sinne einer
Glaubenshaltung einzusetzen und die wertvollen Hinweise des Lehrschreibens vom
seligen Johannes Paul II., Fides et ratio, in konkrete Erfahrung umzusetzen.
Wie im
zweiten Teil des Katechismus dargestellt, beinhaltet der gefeierte Glaube
eine klare, an alle Gemeinschaften, die die Sakramente feiern, gerichtete Einladung,
den Sinn für das Heilige wiederzuentdecken. Manche liturgische Feiern werden zu
oberflächlich, ja bisweilen sogar auf banale Weise zelebriert, was zu einer
inneren Abwendung vom Ritus geführt hat. Und mit dem Verlust der
Mysteriendimension gingen auch zugleich der ureigene Sinn und die Bedeutung
dieser Handlungen verloren. Man begeht einen eklatanten Fehler, wenn man meint,
dass eine Kürzung der Dimension des Heiligen und der Anbetung die Riten besser
verstehbar machen würde. Die Seele des Einzelnen, die Kraft des gefeierten
Sakraments und die Gnade, die dieses schenkt, treten in einen geheimnisvollen
Austausch, der durch den Heiligen Geist und sicher nicht durch unsere „besonders
aktiv gestalteten“ Messfeiern zustande kommt. In dem Maße, in dem man in den
Teilkirchen und den einzelnen Gemeinschaften sich wieder tiefer dessen bewusst
wird, dass zur Feier des Glaubens die Anbetung gehört, wird auch die
Neuevangelisierung einen kräftigen Impuls empfangen, denn wo der Glaube
entsprechend den liturgischen Normen der Kirche und in Kontinuität mit ihrer
ununterbrochenen Tradition gefeiert wird, kommt man mit dem in Berührung, was
die größte Anziehungskraft besitzt und so gefeierter Glaube trägt in sich
selbst evangelisierende Kraft.
Wir wissen sehr
wohl, dass die Verkündigung der Wahrheit einhergehen muss mit der Kraft des
Zeugnisses. Seit seinen Anfängen gehörte zum Christentum diese tiefe Einheit
zwischen der verkündeten Wahrheit und der gelebten Liebe. In rechter Weise
verstanden, stellt der dritte Teil des Katechismus eine große Stütze dar, um zu
einer Verlebendigung des Glaubens aufzurufen. Gelebter Glaube trägt in
sich eine große evangelisierende Kraft, denn ohne Worte übt er ein unbesiegbares
Lehramt aus. Vergessen wir nicht, dass, um die Wahrheit zum Schweigen zu
bringen, es in der Geschichte in nicht wenigen Fällen nötig war, nicht nur jene
aus dem Verkehr zu ziehen, die die Wahrheit verkündeten, sondern auch jene, die
sie lebten. Wie viele Märtyrer, die den Glauben bezeugt haben und bezeugen, hat
es doch in nicht zu sehr entfernter Vergangenheit und in der Gegenwart gegeben!
Die untrennbare Einheit zwischen dem Glauben, den man bekennt, feiert und lebt,
wird also der vorrangigste dynamische Faktor der Neuevangelisierung sein. Wenn
die Kirche in authentischerer und treuerer Weise glaubt, feiert und lebt, wird
sie ihre Kraft zur Evangelisierung erneuern.
Hiermit
komme ich nun zum Abschluss.
Schließlich ist,
wie vom Katechismus der Katholischen Kirche vorgeschlagen, das Gebet
Dreh- und Angelpunkt sowie Lebenssaft der Neuevangelisierung. Ganz gleich, wie sehr
wir uns anstrengen, es wird nichts geschehen, wenn nicht alles vom Gebet ausgeht
und zum Gebet zurückkehrt: dorthin, wo wir als Einzelne und als Gemeinschaft vor
Gottes Angesicht stehen, aufmerksam auf sein Wort und auf seinen Willen hören, für
Kirche und Welt.
Nur das
Gebet birgt die authentische Kraft zur Reform. Man kann sich nur schwer
vorstellen, dass derjenige, der nicht betet, Charismen zur Reform empfängt.
Vielmehr wird er sie sich selbst anmaßen. Inwieweit sich in der Kirche eine
authentische Reform ergibt, hängt vom Geist des Gebets ab. Ebenso hängt es vom
Gebet ab, inwieweit eine Neuevangelisierung stattfindet, von jenem Gebet, das
jeder von uns in der eigenen Existenz entdeckt, im Hören auf die Stimme des
Herrn, in geistlicher Verbundenheit mit Petrus und den Aposteln, im Obergemach
versammelt mit Maria, der Mutter der Kirche!