Die
priesterliche Keuschheit
Kardinal
Mauro Piacenza
Verehrte
Mitbrüder, liebe Seminaristen,
Es ist
mir eine besondere Freude heute, anlässlich des Tages der Seminaristen der
Region Piemont, unter euch zu sein. Ich danke euch für die liebe Einladung. Das
Thema das ihr mir vorgegeben habt – die priesterliche Keuschheit – ist
besonders aktuell und sollte meines Erachtens jeden Bildungsweg zum Priesteramt
kennzeichnen, da die Erziehung der affektiven Sphäre von den anderen Bereichen
der Ausbildung, sei es die intellektuelle, die geistliche oder die pastorale
Vorbereitung, weder getrennt werden kann, noch trennbar ist. Ich werde meinen
Vortrag anhand zweier grundlegender Anhaltspunkte entwickeln, und versuchen,
aus der Analyse, die ich führen werde, aufschlussreiche Folgerungen zu ziehen.
Die
gegenwärtige Situation
Es wäre
unklug, das wichtige Thema der affektiven Ausbildung in Angriff zu nehmen, ohne
zu berücksichtigen, dass sich seit den siebziger Jahren in der westlichen Welt
eine wahre Revolution abspielt, die durch Ansteckung beinahe die ganze Welt mit
einbezieht. Die Trennung zwischen
Vereinigung und Fruchtbarkeit in der Sexualität hat diesen Akt, der
anthropologisch einer der bedeutendsten ist, auf seine rein instinktive
Dimension reduziert. Das hat katastrophale Folgen, nicht nur auf moralischer
Ebene - was schon schlimm genug wäre - sondern auch, wie es sich in der
Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte herausstellt, auf
psychoanthropologischer Ebene.
Es wäre
undenkbar, das Thema der affektiven Ausbildung in den Seminaren zu erörtern,
ohne von dem klaren Bewusstsein auszugehen, dass all jene, die nach den
siebziger und achtziger Jahren geboren sind, unabhängig von ihrem Willen, im
kulturellen Klima des Pansexualismus und der Hyper-Erotisierung aufgewachsen
sind. In der Tat haben die Mächtigen dieser Welt, die die Freiheit der Menschen
zugunsten verschiedenartiger schandhafter Interessen zu unterjochen suchen,
alle Mittel benutzt, bis hin zu subliminalen Botschaften, die von der kleinsten
Kindheit an eingehämmert werden, wie zum Beispiel durch Zeichentrickfilmen, um
die Dekonstruktion der psychisch affektiven Fakultäten der menschlichen Person
zu erreichen und den Menschen somit seinen eigenen Instinkten zu unterwerfen.
Zusätzlich zu dieser sexuellen nach-achtundsechziger Revolution sei die
Invasion durch die Massenmedien erwähnt, besonders durch das Fernsehen und in
jüngster Zeit auch durch das Internet, welche Bilder in jedes Haus - mehr noch,
in jedes Zimmer - eingeführt haben, die zuvor unzugänglich waren. Diese Bilder
hinterlassen im jüngsten Alter Eindrücke, die das Gedächtnis, die
Vorstellungskraft und sogar das Unterbewusstsein der Person derart
beeinflussen, dass das Verhalten viel schwerer zu kontrollieren ist.
Wenn
infolge der Erbsünde die psychosexuelle Dimension des Menschen schon immer
geschwächt war, so haben die jüngsten Veränderungen schwere Schäden mit sich
gebracht, die sich nicht mehr nur auf die Privatsphäre (jene der Versuchungen)
einschränken, sondern zu einer weit verbreiteten Sitte werden, eine Art Kultur,
die jedes andersartige Verhalten fast als "fremd" beurteilt. Eine
solche Situation, die auf den ersten Blick apokalyptisch zu sein scheint,
beschreibt nicht in erster Linie ethische Einstellungen, sondern viel mehr die
wahre kulturelle Situation, in der sich unter anderem auch diejenigen, die den
Ruf zum Zölibat und zum Priesteramt verspüren, befinden und aus welcher sie
herauskommen.
In
diesem soziokulturellen Kontext möchte ich auch auf etwas aufmerksam machen,
das ich als "Sinnverfall" der Affektivität im Allgemeinen, und der
Sexualität im Besonderen definiere: die künstliche Trennung zwischen Verkehr
und Fruchtbarkeit hat die weite Sphäre der Affektivität unumkehrbar auf die
schlichte Ausübung der Geschlechtlichkeit reduziert und sie ihrer Endgültigkeit
beraubt: auf diese Weise hat sie ihre tiefe Bedeutung verloren und ist heute zu
einem banalen Akt geworden. Eine solche Situation findet nicht selten ihren
Ausdruck in der Oberflächlichkeit mancher Handlungen oder Gesten, die von Natur
aus reife Überlegung und endgültige Entscheidungen verlangen: in einer großen
Mehrheit ist diese Eigenschaft verloren gegangen, ohne jedoch im Geringsten das
Gewissen aufzurütteln. Auch ist es nicht mehr verwunderlich, dass die Jugend in
einem solchen Kontext ihrer Sexualität völlig freien Lauf lässt, mit der
Leichtfertigkeit, mit der man jemandem die Hand reicht, der sie ausstreckt!
Hier
wird klar, wie eine solche kulturelle Situation von den Erziehern aufmerksame
Unterscheidung verlangt, da sie dazu berufen sind, mit Klarheit zu erkennen,
wer eine traditionell christliche Erziehung bekommen hat, die sorgfältig und
gezielt auf ein rechtes Verständnis der Affektivität und der Sexualität gewacht
hat, und wer, im Gegenteil, aus der Welt kommt, von der zu erwarten ist, dass
die Verhaltensweisen derartig geprägt sind, dass sie von selbst vollkommen
erneuert werden, trotz der Hilfe der Gnade.
Ein
derartiges Urteil setzt weder unbedingt die Vorstellung differenzierter
Ausbildungswege voraus, noch bedeutet es, dass es unmöglich wäre, jenes stabile
Gleichgewicht vor der Weihe herzustellen, das der Zölibat fordert. Es verlangt
jedoch bestimmt ein fortschreitendes Bewusstwerden, von Seiten des Kandidaten
wie von Seiten der Erzieher, das angereichert ist mit einer guten Dosis an
demütigem Realismus und an wahrem Engagement, da es nicht so sehr darum geht,
Laster zu überwinden und Tugenden zu erlangen, sondern viel mehr darum, in sich
selbst zu bekämpfen und zu erobern, was die vorherrschende Kultur an der
anthropologischen Struktur verformt hat und was sie weiterhin als Modell
vorlegt. Man muss wirklich frei sein! Diese dominierende Kultur stellt eine
Osmose her, so dass derjenige, der nicht wachsam ist, sich letztendlich von ihr
betäuben lässt, wie durch eine Art Tropf, der die Verweltlichung in die Seele
einführt.
Die
ansteckenden Desorientierung wirkt nicht nur auf psychosexueller Ebene, sondern
durchdringt ebenfalls alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Wer in einem
hyper-erotisierten Umfeld aufwächst, in welchem eine unordentliche Sexualität
herrscht, ist im Unterbewusstsein selbst in seinem täglichen Handeln und in
seinen gewöhnlichen Beziehungen beeinträchtigt.
Doch
liegt das wahre Drama darin, dass das Subjekt, das Opfer, das seiner eigenen
psychisch affektiven Abweichung mehr oder weniger bewusst ist, in einer
radikalen Unzufriedenheit leben, die von der Diskrepanz bestimmt ist zwischen
dem, für das der Mensch erschaffen worden ist (mit der entsprechend tiefen
Bedeutung seiner Affektivität) und seinem gegenwärtigen Leben.
Das
menschliche Herz ist für das Endgültige gemacht. Was auch immer seine Berufung
sein mag - die jungfräuliche oder die bräutliche - zu der Gott einlädt, so wird
nur die Endgültigkeit eine wahre Befriedigung verschaffen können. Als Ebenbild
und Gleichnis Gottes, der unendlichen Liebe, erschaffen, erkennt der Mensch
unter den eigenen grundlegenden Bedürfnissen die Wahrheit, die Freiheit, die
Schönheit, die Gerechtigkeit und die Liebe. Dasjenige, das alle zusammenfasst
und das heutzutage unrechtmäßig verstanden wird, das aber mehr denn je gesucht
und vielleicht behauptet und doch nur vorläufig erreicht wird, ist das Glück!
Alle sind sich darauf einig, dass die Befriedigung solcher Bedürfnisse Ganzheit
verlangt, ja sogar fordert. Keiner genügt sich im Ernst, bloß "ein
wenig" gerecht oder "ein wenig" frei zu sein. Alle möchten, dass
sich diese universalen anthropologischen Bedürfnisse in Fülle verwirklichen,
sei es auf einmal, sei es über einen bestimmten Zeitraum. Eine solche Erfüllung
wird im gewöhnlichen Sprachgebrauch mit dem Ausdruck "Endgültigkeit"
bezeichnet. Die heilige Schrift lehrt, in der Kraft des Glaubens festzustehen,
gegen den Widersacher, der wie ein brüllender Löwe umher geht, auf der Suche
nach dem, den er verschlingen kann (vgl. 1 Petr 5, 8-9), selbst wenn es in uns
den alten Menschen betrifft. Die manchmal extreme Schwäche der Ehen und die
Unfähigkeit junger Menschen, endgültige Entschlüsse zu fassen, haben keine
andere Ursache als die Schwierigkeit, die Affektivität ordentlich zu leben
und im Empfang einer Berufung zum
Zölibat zu reifen. Zu jeder Zeit war es wegen der Schwäche der menschlichen
Natur schwierig, in vollkommener Enthaltsamkeit für das Himmelreich zu leben
und die Erfordernisse des Zölibats umzusetzen, doch erscheint es in unserer
Zeit besonders mühsam, weil das Kommunikationsnetz einen vehementen
Pansexualismus verbreitet, der fähig ist, die Wahrnehmung der affektiven, der
sexualen und der zwischenmenschlichen Sphäre zu verzerren.
Die
affektive Ausbildung zum geweihten Zölibat
Wie ist
ein wirksamer Bildungsweg für Priesterkandidaten, die aus einem derartigen
kulturellen Kontext kommen, zu konzipieren? Von welchem Ausgangspunkt soll man
ausgehen, und wohin, wenn mit den besten menschlichen Mitteln Fehler vermieden
werden sollen, die dramatische Folgen für den zukünftigen Priester mit sich
bringen können? Im Anschluss an eine methodologische Voraussetzung möchte ich
in diesem zweiten Teil des Vortrags, der in diesem Thema zentral ist, drei
Punkte entwickeln, die eigentlich dynamisch ineinander verstrickt sind und die
ich doch aus didaktischen Gründen unterscheiden möchte, bevor ich die innere
Zusammengehörigkeit zum Vorschein bringe. Hierbei werden wir folgende
Dimensionen in Betracht nehmen: 1. die Reinigung des Gedächtnisses; 2. die
Erziehung des affektiven Gegenwartserlebnisses; und schließlich, 3. das Warten,
im Gebet, auf die Gabe des Priestertums mit der dazugehörenden Standesgnade,
die wesentlich ist, um den Zölibat zu leben. Was bisher gesagt worden ist weist
auf die Bedeutung der affektiven Ausbildung und auf das ernste
Verantwortungsbewusstsein, mit dem sie angetreten werden muss.
Es ist
inakzeptabel, dass in der Ausbildung auf das Priesteramt die affektive Frage
umgangen oder nur oberflächlich und peripher behandelt wird. In voller
Beachtung der notwendigen und kanonisch festgesetzten Unterscheidung zwischen
dem Forum Externum und dem Forum Internum muss das Thema der Affektivität
ausdrücklich mit den Oberen der Seminare angesprochen werden; und wenn das
nicht spontan hervorkommt, müssen die Oberen es ansprechen. Das bedeutet, dass
auch sie affektiv reife Personen sein müssen, die mit sich selbst und ihrer
psychisch affektiven Dimension versöhnt sind; dass sie nicht irgend einen Frust
tragen und ihre eigenen Verknotungen auf andere projizieren und dass sie
eventuelle eigene psychisch affektiven Probleme verarbeitet haben, um andere
auf dem Weg der Reifung zu begleiten. Daher muss die Wahl der Erzieher wohl
überlegt vor sich gehen und nicht nur die theologische und pastorale Kompetenz
in Betracht ziehen, sondern auch, und vielleicht ganz besonders, ihre psychisch
affektive Reife und die Harmonie und das Gleichgewicht ihrer Persönlichkeit.
Selbst
wenn die persönliche Verantwortung für den Bildungsweg notwendig ist, darf die
Unterscheidung zwischen der Rolle des Erziehers und der des Kandidaten nicht
vergessen werden - die einen sind vom Bischof dazu eingesetzt worden, die
anderen folgen dem Weg der Priesterausbildung, der den Ersteren anvertraut
worden ist. Ein Missverständnis in diesem Bereich könnte schwere Folgen mit
sich bringen und nicht zuletzt selbst die erzieherische Tätigkeit außer Kraft
setzen.
Die
Reinigung des Gedächtnisses
Wie ich
vorher erwähnt habe, ist zwischen den Kandidaten zu unterscheiden, die eine
bewusst christliche Erziehung erfahren
und somit die wahre Bedeutung der Affektivität verinnerlicht haben, und
denjenigen, die in einer Welt eigentümlicher affektiver und sexualer
Gewohnheiten aufgewachsen sind, in der sie sich jedoch bekehrt, den Ruf verspürt
und an der Tür des Seminars geklopft haben. In beiden Fällen ist ohnehin eine
ganzheitliche Reinigung des Gedächtnisses zu erzielen, sei es aus der
geistlichen Perspektive, sei es aus der moralischen und psychologischen
Perspektive.
Es ist
unmöglich, das Gedächtnis zu reinigen, ohne die Vergangenheit "ins
Gedächtnis zu rufen". Dabei ist es notwendig, seine affektiven Erlebnisse
zu erläutern, um sie Gott in ihrer Schönheit und in ihrer Dramatik, in ihren
Früchten sowie in ihren Niederlagen, in ihren sporadischen und fahrlässigen
Irrtümern sowie in ihren strukturellen und wiederholten Verformungen,
darzubringen, wobei das Risiko zu vermeiden ist, im Sumpf der Erinnerungen an
die Eindrücke und die entsprechenden Sinneserfahrungen stecken zu bleiben.
"Ins Gedächtnis rufen" heißt einen gesunden Realismus zu begünstigen,
ohne den eine wahre Genesung schlicht unmöglich ist! "Ins Gedächtnis
rufen" erlaubt zumindest dem Leiter im Forum Internum - dem Spiritual -
den persönlichen Werdegang jedes Kandidaten genauer zu kennen, so viele
Elemente seiner Geschichte wie nur möglich aufzusammeln, um einen wirksamen
geistlichen Weg aufzuschließen, der zu einer ausreichenden Integrierung der
Affektivität und zu einer mutmaßlichen Treue im Zölibat führt. Anstatt einige
grundlegende und ausschlaggebende Aspekte eurer affektiven Erfahrungen zu
verschweigen, ist es angebracht, meine lieben Freunde, diese mit jemandem zu
besprechen, selbst wenn sie nicht zum Seminar gehören, nämlich die
außerordentlichen Beichtväter, oder mit anderen Priestern, denen man sich
anvertrauen kann, das Thema schrittweise anzugehen oder sogar auszuschöpfen, da
sie eine wertvolle Hilfe leisten können. So soll zumindest die Möglichkeit
gebannt werden, eine so wesentliche Dimension niemals auf den Tisch gelegt und
die Reinheit der Absicht selbst beschmutzt zu haben.
Die
Reinigung des Gedächtnisses, die eine grundlegende Phase zu Beginn der
Seminarzeit darstellt und sich auf das gesamte Leben erstreckt, fordert in
gewissem Sinn eine radikale Demut. Der heilige Ignatius von Loyola lehrt in den
geistlichen Exerzitien die Scheidung der Geister, zu der auch die Reinigung des
Gedächtnisses gehört. Jeder kennt die Schwäche der menschlichen Natur und des
Gedächtnisses, das manchmal hartnäckig Bilder oder Vorstellungen einspeichert,
die der "Macht der Schlüssel" und der göttlichen Barmherzigkeit
widerstehen und zuweilen noch das geistliche Leben beeinträchtigen können,
selbst wenn sie der Gnade unterworfen und ihre Kraft durch sie zerstört wird.
Ferner
neigt die Kultur unserer Zeit dazu, wie ich schon gesagt habe, die Jugendlichen
mit Bildern buchstäblich zu "bombardieren" und damit Erinnerungen für
eine gewisse Zeit einzuprägen. Es genügt, durch die Straßen mancher Städte zu
schlendern, um einem wahrhaften Bilderhagel zu erliegen, geschweige denn was
aus dem Fernsehen oder noch mehr aus Internet herausströmt. Die Studie über
Ursachen bedauerlicher Erfahrungen der Dispens von den priesterlichen Bürden
scheint mir ein Beweis dafür zu sein, dass eine missbrauchte halbe Stunde auf
Internet ein Debakel bewirken kann, den früher nicht einmal ein gesamtes Leben
hervorrufen konnte! Wenn die Priesterkandidaten eine solche Erfahrung hinter
sich haben, ist ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit, den sie selbst
wollen, und bei welchem sie begleitet werden müssen, unumgänglich; ansonsten
ist es kaum denkbar, dass sie es schaffen werden, ihrer Verpflichtung zum
Zölibat treu zu bleiben. Alle Erinnerungen und Laster, die in der
Ausbildungszeit nicht verarbeitet und überwunden worden sind, kommen im
Nachhinein wieder zum Vorschein und bereiten ernsthafte Probleme im Bereich des
psychisch affektiven Gleichgewichtes, was schwere und schmerzhafte geistliche,
moralische und psychologische Folgen haben kann.
Die
Reinigung des Gedächtnis scheint hier vielleicht unerreichbar zu sein, doch
wissen wir, liebe Freunde, dass für Gott nichts unmöglich ist! In dieser Tat
beruht das Wesentliche dieser Reinigung auf die Gnade Gottes, die das kluge
Mitwirken und das feste Trachten, mit Verstand, Willen und Freiheit
vervollkommnet, wenn sie besonders in einem intensiven geistlichen und
sakramentalen Leben erstrebt wird. Was aus unserer Sicht unmöglich erscheint,
wird durch die Intervention Gottes möglich, der selbst aus diesen Steinen Söhne
Abrahams machen kann - wie soll er dann nicht auch ausgeglichene Menschen
bilden können, die versöhnt sind mit ihrer Vergangenheit und keusch leben,
selbst in einer Epoche, die ihre psychisch affektive Orientierung verloren hat
und verlieren lässt.
Die
Erziehung des psychisch affektiven Gegenwartserlebnisses
Das
apostolische Schreiben "Pastores dabo vobis" erklärt (Nr. 44):
"Da das Charisma der Ehelosigkeit, auch wenn es glaubwürdig und erwiesen
ist, die Veranlagungen und Neigungen des Gefühls- und des Trieblebens bestehen
läßt, benötigen die Priesterkandidaten eine affektive Reife, die fähig ist zu
Klugheit, zum Verzicht auf alles, was sie gefährden kann, zum sensiblen Umgang
mit Körper und Geist, zu Hochachtung und Respekt in den zwischenmenschlichen
Beziehungen mit Männern und Frauen". Mit einer äußerst realistischen und
zuweilen, für päpstliche Dokumente, neuen Ausdrucksweise hat uns der selige
Johannes Paul II. eine Säule für die affektive Erziehung zum Zölibat
hinterlassen. Die affektiven Neigungen und Impulse der Instinkte werden durch
die Gnade des Zölibats nicht aufgehoben - so der Text - denn es lässt diese
unversehrt. Daher ist es nötig die eigene Affektivität zu erziehen, ihre
Neigungen und ihre Impulse, so dass es nicht einmal vorstellbar wäre, dass die
Zukunft als Priester im psychisch affektiven und sexualen Bereich vollkommen
anders wäre als im gegenwärtigen Leben im Seminar. Es ist daher nötig zu
verstehen, dass das Seminar die ausreichende Zeit einräumt, um unter anderem
das eigene psychisch affektive Gleichgewicht zu erarbeiten, um deren Neigungen
und Impulse zu integrieren und die hauptsächlichen "Waffen"
auszusuchen und anzulegen für einen Kampf, der sich über das ganze Leben
erstreckt. Das Bewusstsein dessen, dass der Zölibat eine übernatürliche Gabe
des Heiligen Geistes ist verlangt, dass in der Ausbildung das absolute Primat
der Gnade anerkannt werde.
Selbst
wenn die Beiträge der Humanwissenschaften, besonders der Psychologie,
anzuerkennen sind und vernünftig genutzt werden können, soweit sie einer wahren
christlich anthropologischen Vorstellung entsprechen, kann man feststellen,
dass auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten nicht selten schwere
Fehler begangen worden sind.
Einst
mochte man meinen, dass den Humanwissenschaften jenes überlassen werden könne,
das eigentlich den Erziehern zusteht, die die wesentlichen Mittler des
geheimnisvollen und übernatürlichen Wirkens Gottes sind; man mochte denken,
dass die Psychologie das Allheilmittel sämtlicher Übel für alle
Priesterkandidaten sein müsse, und dass es somit allen, ohne Unterschied,
auferlegt werden müsse, ohne zu untersuchen, ob eine sogenannte physiologische
oder ob eine pathologische Neurose vorliegt, die einen klinischen Eingriff
erfordert; man hat geglaubt, dass die Werte des Evangeliums, inklusive der
Zölibat, nicht durch die persönliche, faszinierende und belebende Begegnung mit
dem Herrn zu verinnerlichen seien, sondern durch verschiedene
Dekonstrukionsverfahren der Persönlichkeit, um sie vermeintlich mit neuen
Werten wieder zu strukturieren: diese Experimente sind fehlgelaufen.
Die
Dispensanträge von den Lasten, die sich aus der Weihe ergeben, insbesondere der
Zölibat, machen die dramatischen Folgen der Irrtümer sichtbar, die im Rückgriff
auf die Humanwissenschaften während der Ausbildung auf das Priesteramt begangen
worden sind. Wo hingegen die Kriterien für deren Nutzung eingehalten werden,
erweisen sich derartige Wissenschaften als dienlich.
Allein
in der innigen, verlängerten, realen und persönlichen Beziehung zu Jesus von
Nazareth, Christus dem Herrn, kann die Gnadengabe des Zölibats empfangen
werden, blühen, reifen und sogar die psychologische Persönlichkeit des
Priesters bestimmen! Nur in der betenden Innigkeit mit dem Herrn, in der
fortschreitenden Identifizierung mit seinem Leben, seinen Worten, seinen
Gedanken - "Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus
Jesus entspricht" (Ph 2, 5) - kann das Zölibat empfangen und gelebt
werden. Er ist nicht eine für die Persönlichkeit befremdende Bürde, die mit
Mühe ertragen werden muss, sondern eine Art neue Identität, die der Begegnung
mit Christus, der Umkehr und dem neuen Leben in Christus entspringt. Der
Zölibat eröffnet das Horizont schlechthin, das zuvor unvorstellbar gewesen ist
und das die Begegnung mit Christus in seiner Fülle zur Schau gestellt hat.
Unter Anderem, wie es die gemeinsame Erfahrung beweist, entspricht der
Priesterberufung, geheimnisvoller Weise und wirklich zugleich, ein
außergewöhnliches Blühen an Menschlichkeit. Was wäre in der Tat unsere
Menschheit ohne Christus und ohne jene Berufung, die er uns geschenkt hat? Mit
der Priesterberufung lässt der Herr das Menschsein in Fülle aufblühen, indem es
sich reinigt, und sich großartig und unerwartet ausweitet, um schrittweise
tauglich zu werden, ein derartiges Charisma endgültig zu empfangen und als
höchstes Zeugnis Christi im täglichen Leben als Priester umzusetzen.
Die
Welt, die über die schandhaften Skandale klagt, die wir mit allen Kräften
bekämpfen müssen, sei es durch Prävention in der Ausbildung, sei es durch Buße
und Sühnegebet, wie nicht zuletzt durch Disziplin und Strafmaßnahmen, greift
weder unsere Sozialarbeit noch unsere Werke der Nächstenliebe an; doch kann sie
das Zeugnis der Keuschheit um des Himmelreiches Willen und das entsprechende
ihr entspringende Erziehungskonzept nicht akzeptieren.
Selbst
wenn das Klosterleben, faszinierend ist, wenn es wirklich so gelebt wird, wie
es scheint, kann, liebe Freunde, das Zeugnis eines Weltpriesters, der in seiner
Zeit und in seiner Gesellschaft eingetaucht lebt, paradoxerweise und in
gewissen Bereichen, noch überwältigender sein. Wir sind eben keine Mönche, die
getrennt von der Welt leben, und auf die man mit sentimentalen Augen schaut,
sondern Männer, die völlig in unserer Zeit eingefügt, "in" der Welt
aber nicht "von" der Welt sind: wir bezeugen mit unserer Entscheidung
für den Zölibat, dass Gott existiert, dass er Männer zu sich ruft, und dass er
dem gesamten Erdendasein einen Sinn gibt, für den es sich lohnt, unser Leben
für Ihn zu verausgaben.
Die für
die Erziehung zum Zölibat unverzichtbare Intimität mit Gott lässt sich vor
allem, wie ich schon sagte, im wahren Gebet pflegen: "conversatio nostra
in Coelis est" - auf Erden ist es ganz anders, wo man hetzt und nichts
erreicht! Die Gewohnheit, treu an der täglichen Messfeier, dem Stundengebet,
der Anbetung vor dem Allerheiligsten, der täglichen Meditation, dem
Rosenkranz-Gebet, festzuhalten, um den eigenen Werdegang als Priester jeden Tag
anzuvertrauen, ist das minimale Pensum, um wenigstens hoffen zu können, den Zölibat
einzuhalten. Ein Priester, der nicht betet, der nicht die Notwendigkeit
verspürt, täglich die Messe zu feiern, die unbegründete Theorie des
eucharistischen Fastens oder die empörenden "freien Tage" zu
überwinden, an denen man von der Beziehung zu Christus befreit zu sein scheint
- wie traurig ist es für einen Priester, sich von Christus befreien zu wollen!
- wird schwer seinen Zölibat friedlich und fruchtbar leben können. Während der
Seminarzeit ist es nötig, sich auf diese unentbehrliche Dimension des
priesterlichen Lebens vorzubereiten und Gott um die Gnade zu flehen, dass sie
nicht bloß zu guten und tugendhaften Gewohnheiten werden, sondern dass sie sich
wirklich in die psychische, anthropologische und geistliche Struktur einpräge,
die die persönliche Identität ausmacht. Der Priester feiert nicht nur die
Messe, sondern er identifiziert sich in ihr, so dass sie stufenweise und
objektiv zu seinem Leben wird und er zur Messe wird, die er zelebriert! In
dieser offenkundigen Übernatürlichkeit, auf die er sich schrittweise einstellt
und einstellen lässt, sei jeder Gedanke, jedes Wort, und noch vielmehr jede
Tat, die mit der Größe der Berufung nicht im Einklang steht, vermieden: zum
einen, weil so etwas sündhaft ist, und zum anderen, und meines Erachtens vor
allem deswegen, weil die Diskrepanz mit der Wahrheit des Priestertums oder der
priesterlichen Amtshandlung unglücklich macht.
Die
Humanwissenschaften können einen wertvollen Beitrag zu einem tieferen
Verständnis der Psyche und der Affektivität leisten, indem sie zumindest in
groben Zügen die grundlegende Dynamik beschreiben; sicherlich können die besten
Psychologen die Probleme erkennen und ihnen Abhilfe verschaffen, doch können
sie diese nicht lösen: Christus allein kann die Menschen in ihrer Ganzheit heilen!
Zwei
Elemente in der Erziehung der Affektivität scheinen mir noch wesentlich zu
sein: die Beziehung zur Außenwelt und die intellektuelle Ausbildung.
Was die
Beziehung zur Außenwelt betrifft, über die wir schon im ersten Punkt dieses
Vortrags ausgiebig gesprochen haben, kommt bedauerlicherweise eine extreme
Naivität in den Erziehungsmethoden, die die Seminarleitung anwendet, häufig zum
Vorschein. Während in den fünfziger und sechziger Jahren eine Öffnung auf die
Außenwelt notwendig war, um das Christentum in seiner ganzen Schönheit zu
zeigen und der Welt von Neuem verständlich zu machen, haben wir heute die
entgegengesetzte Grenze übertreten, nämlich jene der Verweltlichung.
Ich
möchte mit Nachdruck wiederholen, dass es in den gegenwärtigen Umständen schlicht
unmöglich ist, sich ernsthaft für eine vollkommene Keuschheit um des
Himmelreiches Willen zu engagieren, wenn man nicht fähig ist, sich radikal von
der Welt, insbesondere von deren Mentalität, los zu sagen. Wie wird man
ansonsten der Gesellschaft dienen können? Kann ein Seminarist genau die
gleichen Gewohnheiten beibehalten, die er als junger Pfarrjugendleiter oder als
junger Student in der Welt besaß? Wie kann er in seinem Praktikum, das manchmal
mehr einer Flucht aus dem Seminar gleicht, die gleichen Orte mit der gleichen
Haltung aufsuchen?
Dabei
geht es nicht darum, liebe Freunde, sich in bigotte Haltungen zu verschanzen,
die uns zu wahren persönlichen Beziehungen unfähig machen. Es geht einfach
darum, vor den Gelegenheiten der Sünde zu fliehen und die eigene Psyche, die
eigene Gefühlswelt und den eigenen Körper nicht systematisch und wiederholt
Situationen auszusetzen, die die vollkommene Enthaltsamkeit um des
Himmelreiches Willen noch schwieriger machen.
Schließlich
sei die Bedeutung der theologischen Ausbildung in der Erziehung zum
priesterlichen Zölibat erwähnt. Eine gesunde Christologie, die sich treu an die
biblischen Daten, an die ununterbrochene Tradition und an das kirchliche
Lehramt hält, wirft ein großartiges Licht auf die Menschlichkeit Christi -
unter anderem auf seine vollkommene Reinheit - und auf die Schönheit der
eigenen Umgestaltung in ihn durch die Priesterweihe. Die Ekklesiologie darf die
Wahrheit des Priestertums nicht verraten, indem sie es auf ein "Beamtentum
für Gott" erniedrigt; sie soll es im Gegenteil, unter einem
übernatürlichen Prisma, als ein geheimnisvolles, notwendiges und total anderes
Amt erkennen, das sich nicht im Grad, sondern im Wesen von jenem der Getauften
unterscheidet, wenngleich es sich auf die Förderung der Taufe bezieht.
Ich bin
fest überzeugt, dass die Lücken in der Theologie, die über zahlreiche
akademische Institute verbreitet sind, eine große Verantwortung tragen, nicht
zuletzt in der Erhaltung von Priesterberufungen, die ohne angemessene
Begründungen dem heftigen und hartnäckigen Einschlag der Welt natürlich nicht
widerstehen.
Im
Abschluss zum Thema des affektiven Gegenwartserlebnisses möchte ich noch einmal
das absolute und unwiderlegbare Primat der Gnade in der Erziehung zum Zölibat
unterstreichen. Besonders fällt uns die Barmherzigkeit ins Auge, die im
Sakrament der Versöhnung vollzogen, gefeiert und kontinuierlich erfleht wird.
Sie ist die erste "Medizin" gegen die Störungen der Lust, die es
ermöglicht von ihr zu genesen und schrittweise die Enthaltsamkeit um des
Himmelreiches Willen in Fülle zu leben, die so eng mit dem Priesteramt
verbunden ist, dass sie die Kirche dazu führt, ihre Priester ausschließlich
unter denjenigen zu erwählen, die das Charisma dazu bekommen haben. Was für den
Menschen allein schier unmöglich zu sein scheint, wird aus Erfahrung durch die
Gnade ermöglicht, der man sich ununterbrochen und stets von neuem anvertrauen
muss.
Das
Warten, im Gebet, auf die Gabe des Priestertums
Die
Seminargemeinschaft findet im Abendmahlssaal zu Jerusalem, in welchem die
Apostel nach ihrer Begegnung mit dem auferstandenen Herrn ihren höchsten
Ausdruck: in seinem Namen versammelt warten sie im Gebet auf die Gabe des
Heiligen Geistes, in Vereinigung mit der seligen Jungfrau Maria. Da die Weihe
als eine Ausgießung des Heiligen Geistes verstanden wird, die dazu befähigt,
neue Sprachen zu sprechen, das Reich Gottes wirksam zu verkünden, mit der
Gewalt der Sakramente das Heil zu spenden und jede weitere echte Amtstat zu
vollbringen, erlebt das Seminar im wahrsten Sinne des Wortes dasselbe Zönakel,
in dem es sich nährt, wächst und sich bewegt. Ebenso wie im Zönakel alle
Apostel in einer persönlichen Beziehung zu Christus stehen und ihn als
Auferstandenen gesehen haben, soll jedes Seminar eine Gemeinschaft von Männern
sein, die Jesus Christus in ihrem eigenen Leben begegnet sind und die einen
Wandel im Leben erfahren haben. Männer, die eine tiefe Erfahrung vom
Auferstandenen gemacht haben und die Kirche als das erwählte Volk betrachten,
als seinen wahren Körper, der heute in der Zeit und in der Geschichte
weiterlebt.
Der
Riese an Heiligkeit und an menschlicher Weisheit, nämlich der heilige Benedikt,
fordert in seiner Regel dazu auf, diejenigen ohne zu zögern vom Kloster
fortzuschicken, die aus anderen Gründen eintreten als die Suche nach Gott. Ich
denke, dass mit gleicher Klarheit und Festigkeit der Eintritt in den
Abendmahlssaal, nämlich das Seminar, erwogen werden soll.
Alle
Schwächen können in der Seminargemeinschaft akzeptiert, ertragen und ihre
Überwindung unterstützt werden, denn sie ist naturgemäß eine
Ausbildungsgemeinschaft, die vorübergehend ist - selbst die Apostel sind nicht
ihr ganzes Leben lang im Zönakel geblieben; der Mangel an Reinheit der Absicht
hingegen - das Verbleiben im Seminar aus anderen Gründen als die Suche nach
Gott und den Dienst an der Kirche kann nicht angenommen werden, weil es den Weg
einer echten Bekehrung und einer wahren Erziehung behindert. Die
Abendmahlsgemeinschaft, nämlich das Seminar, muss sich als eine betenden
Gemeinschaft erweisen. Eine Seminargemeinschaft, die das Gebet nicht zu ihrem
Mittelpunkt stellte, könnte nur schwer ihrer Aufgabe gerecht werden.
Das
Gebet ist nicht eine Unterbrechung der täglichen Aktivitäten; im Gegenteil wird
das Gebet unterbrochen, um sich praktischen Tätigkeiten zu widmen, die aber
ebenfalls in einem Geist des Gebets vollbracht werden sollen. Die Reform des
Klerus, die von vielen herbeigewünscht ist, wird nur Frucht einer radikalen
Neuentdeckung der übernatürlichen Dimension des Amtspriestertums sein, die das
Primat einer Beziehung zu Gott im Gebet mit einbezieht. Ein Primat, das im
offiziellen Gebet im Seminar klar zum Vorschein kommen muss: die Treue in der
Liturgie, so wie sie die Kirche lehrt, die Sorgfalt in den Gesten und in den
Haltungen. Dabei darf man natürlich keineswegs formalistisch werden. Die rechte
Form soll nur dazu verhelfen, das Wesentliche zu bewahren und zu vermitteln.
Neben
dem Gebet der Kirche - heilige Messe und Stundengebet zum einen, und zum
anderen auch eucharistische Anbetung, Rosenkranzgebet und andere
Frömmigkeitsübungen - soll die Seminargemeinschaft die zukünftigen Priester
auch zum persönlichen Gebet führen, für Stille und Andacht sorgen und wahre
Räume der göttlichen Intimität schaffen.
Da es
sich um "Erziehung" handelt, kann die geistliche Ausbildung nicht
allein der persönlichen Verantwortung und Kreativität überlassen werden,
sondern es müssen Momente der Stille und der eucharistischen Anbetung angeboten
werden, die systematisch in den Stundenplänen und Wochenplänen eingefügt
werden, selbst wenn der Zutritt frei bleiben soll. Meine persönliche Erfahrung
ist, dass das Einfügen einer Stunde täglicher eucharistischer Anbetung eine
großartige Wirkung auf dem Weg der Seminaristen hat, dass sie eine Vertrautheit
mit dem Herrn erweckt, die sie im Priestertum trägt und ihre Freiheit dazu
anspornt, aus der Nostalgie "mit Jesus zu weilen", erneut und
wiederholt solche Gelegenheiten aufzusuchen.
Das
Warten im Gebet auf die Gabe des Priestertums gibt dem gesamten Gebet eine Richtung.
Man betet nicht unabhängig von der Berufung, sondern man geht von ihr aus, um
sich vor dem Herrn zu stellen und einen süßen Vorgeschmack des Priestertums zu
bekommen: die Feier der heiligen Messe, die Spende der göttlichen
Barmherzigkeit, die göttliche Intimität, die durch die Priesterweihe zu einer
ontologischen Realität wird und zu deren inneren Vorbereitung ihr aufgerufen
seid. Aus dem menschlichen Standpunkt kann nichts improvisiert werden, und aus
dem göttlichen Standpunkt kann nichts vorausgegriffen werden. In diesem Sinn
müssen die Befürchtungen, unter anderem jene der siebziger Jahre über eine
"überzogene Nähe zu Gott", überwunden werden. Es ist nötig
aufzuwachen: die Geschichte ist fortgeschritten! Wenn heute ein Problem vor Augen
gehalten werden muss, dann ist es jenes der menschlichen Schwäche einerseits
und der priesterlichen Identität andererseits, die aufgrund zahlreicher
theologischer Schwankungen nicht klar abgegrenzt ist und selten mit der
psychologischen Situation des Kandidaten übereinstimmt.
Der
heilige Johannes Maria Vianney, Vorbild der Priester, den wir dank des Jahres
der Priester näher kennengelernt haben, ist für seine vollkommene
Identifizierung mit dem eigenen Priestertum beispielhaft. Dies ist eine
Bedingung für die apostolische Wirksamkeit wie für den inneren Frieden, für die
Gelassenheit und vor allem für die Verwirklichung als Priester, im Dienst
Gottes, der Kirche und der Menschen.
Schlussfolgerungen
Zum
Abschluss unserer langen Fahrt können wir folgende Schlüsse ziehen, die
vielleicht nicht endgültig sind aber dennoch die affektive Erziehung in der
Seminarlaufbahn orientieren können. Der Einfachheit halber und für ein besseres
Verständnis werde ich sie als Liste präsentieren.
1. Die
thematisierende Erinnerung an die eigene konkrete psychisch affektive und
sexuale Vergangenheit ist ein grundlegender Bestandteil eines ertragreichen
Werdeganges, im wachsamen Bewusstsein und in der konstruktiven Kritik an der
gegenwärtigen und problematischen kulturellen Situation, in der die
Verschiebung von der objektiven Kenntnis zum willkürlichsten Subjektivismus an
der Tagesordnung steht, mit dem dazugehörenden Relativismus, der sich von
Letzterem ableitet.
2. In
der affektiven Erziehung muss das absolute Primat der Gnade anerkannt werden,
ohne die ein wirklich keusches Leben nicht einmal denkbar wäre. Dieses Primat
drückt sich im Vorrang der geistlichen Dimension, die aus Gebet und aus
sakramentalem Leben besteht, sowie in der fortschreitenden - auch
psychologischen - Abgrenzung der priesterlichen Persönlichkeit aus.
3. Es
ist nötig, dass die Seminargemeinschaft ein rechtes Gleichgewicht herstellt
zwischen der missionarischen Sehnsucht, die nicht in eine Zentrifugalkraft
entarten soll, und einer Gemeinschaft, die nahe zu Jesus steht, wie im
Abendmahlssaal zu Jerusalem, mit Maria, in der Erwartung auf die Gabe des
Heiligen Geistes zur Aussendung, ohne dass sie sich in sich selbst einsperrt.
4. Die
Identifizierung, von der Seminarzeit an, mit dem Priesteramt, das zu seiner
Zeit anvertraut wird, begünstigt die rechte Orientierung der affektiven
Erziehung. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist der Seminarist die juristisch
schwächste Gestalt im gesamten kirchlichen Körper, da er bis zur Diakonweihe
dem Klerus, zugunsten einer gerechte Bewahrung seiner Freiheit, nicht angehört,
selbst wenn er alle Pflichten der Disziplin und des Gehorsams einhalten muss,
die dem klerikalen Stand zu eigen sind. Die juristische Schwächeposition darf
nicht als Situation der Ungewissheit gelten, als stimme die Existenz der
Seminaristen, zumindest in Vorausschau nicht mit einem bestimmten Lebensstand
überein, das sich engagiert, für Christus Zeugnis abzulegen, durch die eigene
Ausbildung und der Hingabe des Lebens, in der vollkommenen Enthaltsamkeit für
das Himmelreich.
5. Die
theologische Vorbereitung spielt auch in der affektiven Erziehung eine
grundlegende Rolle. Möge sie dem Labyrinth der verschiedenen theologischen
Meinungen ausweichen und sich treu an das halten, was das Dokument Sapientia
Christiana verlangt: das Studium der Heiligen Schrift, die Tradition zweier
Jahrtausende ununterbrochener kirchlicher Lehre, als ein unverzichtbares
Skelett für den institutionellen Kursus. Dem theologischen Relativismus zu
widersagen und eine klare Lehre anzubieten trägt in einer ausschlaggebenden
Weise dazu bei, eine stabile priesterliche Persönlichkeit aufzubauen, und in
ihr, eine gezielte affektive Erziehung zu erlangen.
Auch
ist eine korrekte Hermeneutik der Texte des II. vatikanischen Konzils, in der
Reform und Kontinuität Hand in Hand gehen sollten, ein unentbehrlich Faktor.
Dazu haben sowohl der selige Johannes Paul II. als auch der Heilige Vater,
Papst Benedikt XVI. aufgerufen. Das bewirkt in der Kirche ein Wachstum, das sie
dazu befähigt, jedwede (weltliche oder politische) Zwietracht zu überwinden,
indem sie die Ursachen von Beginn an entfernt, die zu Parteienbildung führt -
zwischen den "Progressisten" und den "Konservativen" - und
die bisher große Wunden dem kirchlichen Leib hinterlassen hat und noch heute
hinterlässt.
6. Der Seminarist
von heute ist der Priester von morgen! Wenn es wahr ist, dass man erst ab der
Priesterweihe wirklich lernt, Priester zu sein und als solcher zu handeln, ist
es ebenfalls wahr, dass sich nichts improvisieren lässt, besonders im Bereich der
affektiven Erziehung. Es ist daher ratsam und moralisch erforderlich, von sich
aus eine zusätzliche Zeit zu nehmen, bevor man sich um die Beförderung zur
Weihe bewirbt, anstatt den Versuch zu wagen, ohne grundlegende affektive Fragen
gelöst zu haben. In diesem Bereich wie auch im Bereich der Doktrin ist eine
erprobte Reife besser als das bloße Fehlen von Hindernissen. Ich vertraue der
seligen Jungfrau Maria, der zarten Mutter der Priester, diese Gedanken an, in
der festen Hoffnung, dass wir mit dem großartigen Beispiel vor Augen, einer
versöhnten Affektivität, ihrer Fähigkeit zu einer echten, tiefen und
fruchtbaren Liebe und zu einer vollkommenen Keuschheit, auf dem strahlenden Weg
des Priestertums voranschreiten können, der uns in einem ganz besonderen Rahmen
ihre Kinder werden lässt.