ENZYKLIKA
CARITAS
IN VERITATE
VON PAPST
BENEDIKT XVI.
AN DIE BISCHÖFE
AN DIE PRIESTER UND DIAKONE
AN DIE PERSONEN
GOTTGEWEIHTEN LEBENS
AN DIE CHRISTGLÄUBIGEN LAIEN
UND AN ALLE MENSCHEN
GUTEN WILLENS
ÜBER DIE GANZHEITLICHE
ENTWICKLUNG DES MENSCHEN
IN DER LIEBE
UND IN DER WAHRHEIT
EINLEITUNG
1. Caritas in veritate – die Liebe in der
Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem irdischen Leben und vor allem mit
seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche Antrieb
für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit.
Die Liebe – »caritas« – ist eine außerordentliche Kraft, welche die
Menschen drängt, sich mutig und großherzig auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und
des Friedens einzusetzen. Es ist eine Kraft, die ihren Ursprung in Gott hat,
der die ewige Liebe und die absolute Wahrheit ist. Jeder findet sein Glück,
indem er in den Plan einwilligt, den Gott für ihn hat, um ihn vollkommen zu
verwirklichen: In diesem Plan findet er nämlich seine Wahrheit, und indem er dieser
Wahrheit zustimmt, wird er frei (vgl. Joh 8, 22). Die Wahrheit zu
verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu
bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe. Denn
diese »freut sich an der Wahrheit« (1 Kor 13, 6). Alle Menschen spüren
den inneren Impuls, wahrhaft zu lieben: Liebe und Wahrheit weichen niemals
gänzlich von ihnen, denn sie sind die Berufung, die Gott ins Herz und in den
Geist eines jeden Menschen gelegt hat. Jesus Christus reinigt und befreit die
Suche nach der Liebe und der Wahrheit von unseren menschlichen Armseligkeiten
und offenbart uns vollends die Initiative der Liebe und den Plan eines wahren
Lebens, das Gott für uns vorbereitet hat. Die Liebe in der Wahrheit wird
zum Gesicht Christi; und in Christus wird sie zur Berufung für uns, unsere
Mitmenschen in der Wahrheit seines Planes zu lieben. Er selbst ist ja die
Wahrheit (vgl. Joh 14, 6).
2. Liebe ist der Hauptweg der Soziallehre der
Kirche. Jede von dieser Lehre beschriebene Verantwortung und Verpflichtung geht
aus der Liebe hervor, die nach den Worten Jesu die Zusammenfassung des ganzen
Gesetzes ist (vgl. Mt 22, 36-40). Sie verleiht der persönlichen
Beziehung zu Gott und zum Nächsten einen wahren Gehalt; sie ist das Prinzip
nicht nur der Mikro-Beziehungen – in Freundschaft, Familie und kleinen Gruppen
–, sondern auch der Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und politischen Zusammenhängen. Für die Kirche ist – vom Evangelium her – die
Liebe alles, denn, wie uns der heilige Johannes lehrt (vgl. 1 Joh
4, 8.16) und ich in meiner ersten Enzyklika in Erinnerung gerufen habe: »Gott
ist Liebe« (Deus caritas est): Aus der Liebe Gottes geht alles
hervor, durch sie nimmt alles Gestalt an, und alles strebt ihr zu. Die
Liebe ist das größte Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, sie ist seine
Verheißung und unsere Hoffnung.
Ich weiß um die Entstellungen und die
Sinnentleerungen, denen die Liebe ausgesetzt war und ist, mit der
entsprechenden Gefahr, daß sie mißverstanden, aus der ethischen Lebenspraxis
ausgeschlossen und in jedem Fall daran gehindert wird, in rechter Weise zur
Geltung zu kommen. Im gesellschaftlichen, rechtlichen, kulturellen, politischen
und wirtschaftlichen Bereich, also in den Zusammenhängen, die für diese Gefahr
am anfälligsten sind, wird die Liebe leicht als unerheblich für die
Interpretation und die Orientierung der moralischen Verantwortung erklärt.
Daher ist es notwendig, die Liebe und die Wahrheit nicht nur in der vom
heiligen Paulus angegebenen Richtung der »veritas in caritate« (Eph
4, 15) miteinander zu verbinden, sondern auch in der entgegengesetzten und
komplementären von »caritas in veritate«. Die Wahrheit muß in der
»Ökonomie« der Liebe gesucht, gefunden und ausgedrückt werden, aber die Liebe
muß ihrerseits im Licht der Wahrheit verstanden, bestätigt und praktiziert
werden. Auf diese Weise werden wir nicht nur der von der Wahrheit erleuchteten
Liebe einen Dienst erweisen, sondern wir werden auch dazu beitragen, daß sich
die Wahrheit glaubwürdig erweist, indem wir ihre Authentizität und ihre
Überzeugungskraft im konkreten gesellschaftlichen Leben deutlich machen. Das
ist heute von nicht geringer Bedeutung in einem sozialen und kulturellen
Umfeld, das die Wahrheit relativiert und ihr gegenüber oft gleichgültig und
ablehnend eingestellt ist.
3. Wegen dieser engen Verbindung mit der Wahrheit
kann die Liebe als authentischer Ausdruck des Menschseins und als ein Element
von grundlegender Bedeutung in den menschlichen Beziehungen – auch im
öffentlichen Bereich – erkannt werden. Nur in der Wahrheit erstrahlt die
Liebe und kann glaubwürdig gelebt werden. Die Wahrheit ist ein Licht, das
der Liebe Sinn und Wert verleiht. Es ist das Licht der Vernunft wie auch des
Glaubens, durch das der Verstand zur natürlichen und übernatürlichen Wahrheit
der Liebe gelangt: er erfaßt ihre Bedeutung als Hingabe, Annahme und
Gemeinschaft. Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird
ein leeres Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann. Das ist die
verhängnisvolle Gefahr für die Liebe in einer Kultur ohne Wahrheit. Sie wird
Opfer der zufälligen Gefühle und Meinungen der einzelnen, ein Wort, das
mißbraucht und verzerrt wird, bis es schließlich das Gegenteil bedeutet. Die
Wahrheit befreit die Liebe von den Verengungen einer Emotionalisierung, die sie
rationaler und sozialer Inhalte beraubt, und eines Fideismus, der ihr die menschliche
und universelle Weite nimmt. In der Wahrheit spiegelt die Liebe die persönliche
und zugleich öffentliche Dimension des Glaubens an den biblischen Gott wider,
der zugleich »Agape« und »Logos« ist: Caritas und
Wahrheit, Liebe und Wort.
4. Da die Liebe voll Wahrheit ist, kann sie vom
Menschen in ihrem Reichtum an Werten begriffen, zustimmend angenommen und
vermittelt werden. Denn die Wahrheit ist „lógos“, der „diá-logos“
schafft und damit Austausch und Gemeinschaft bewirkt. Indem die Wahrheit die
Menschen aus den subjektiven Meinungen und Empfindungen herausholt, gibt sie
ihnen die Möglichkeit, kulturelle und geschichtliche Festlegungen zu überwinden
und in der Beurteilung von Wert und Wesen der Dinge einander zu begegnen. Die
Wahrheit öffnet den Verstand der Menschen und vereint ihre Intelligenz im Logos
der Liebe: Das ist die Botschaft und das christliche Zeugnis der Liebe. Wenn
wir im augenblicklichen sozialen und kulturellen Umfeld, in dem die Tendenz zur
Relativierung der Wahrheit verbreitet ist, die Liebe in der Wahrheit leben,
kommen wir zu der Einsicht, daß die Zustimmung zu den Werten des Christentums
ein nicht nur nützliches, sondern unverzichtbares Element für den Aufbau einer
guten Gesellschaft und einer echten ganzheitlichen Entwicklung des Menschen
ist. Ein Christentum der Liebe ohne Wahrheit kann leicht mit einem Vorrat an
guten, für das gesellschaftliche Zusammenleben nützlichen, aber nebensächlichen
Gefühlen verwechselt werden. Auf diese Weise gäbe es keinen eigentlichen Platz
mehr für Gott in der Welt. Ohne die Wahrheit wird die Liebe in einen begrenzten
und privaten Bereich von Beziehungen verbannt. Aus den Planungen und den
Prozessen zum Aufbau einer menschlichen Entwicklung von umfassender Tragweite –
im Dialog zwischen Wissen und Praxis – wird sie ausgeschlossen.
5. Caritas ist empfangene und geschenkte
Liebe. Sie ist »Gnade« (cháris). Ihre Quelle ist die ursprüngliche Liebe
des Vaters zum Sohn im Heiligen Geist. Sie ist Liebe, die vom Sohn her zu uns
herabfließt. Sie ist schöpferische Liebe, aus der wir unser Sein haben; sie ist
erlösende Liebe, durch die wir wiedergeboren sind. Sie ist von Christus
offenbarte und verwirklichte Liebe (vgl. Joh 13, 1), »ausgegossen in
unsere Herzen durch den Heiligen Geist« (Röm 5, 5). Als Empfänger der
Liebe Gottes sind die Menschen eingesetzt, Träger der Nächstenliebe zu sein,
und dazu berufen, selbst Werkzeuge der Gnade zu werden, um die Liebe
Gottes zu verbreiten und Netze der Nächstenliebe zu knüpfen.
Auf diese Dynamik der empfangenen und geschenkten
Liebe geht die Soziallehre der Kirche ein. Sie ist »caritas in
veritate in re sociali«: Verkündigung der Wahrheit der Liebe Christi in der
Gesellschaft. Diese Lehre ist Dienst der Liebe, aber in der Wahrheit. Die
Wahrheit ist Hüterin und Ausdruck der befreienden Kraft der Liebe in den immer
neuen Wechselfällen der Geschichte. Sie ist zugleich Wahrheit des Glaubens und
der Vernunft, in der Unterscheidung ebenso wie im Zusammenwirken der beiden
Erkenntnisbereiche. Für die Entwicklung, den gesellschaftlichen Wohlstand und
eine angemessene Lösung der schweren sozioökonomischen Probleme, welche die
Menschheit plagen, ist diese Wahrheit notwendig. Und noch notwendiger dafür
ist, daß diese Wahrheit geliebt und bezeugt wird. Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen
und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale
Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen und
Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um so mehr in
einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen
Situationen wie der augenblicklichen.
6. »Caritas in veritate«ist das Prinzip, um
das die Soziallehre der Kirche kreist, ein Prinzip, das in
Orientierungsmaßstäben für das moralische Handeln wirksame Gestalt annimmt.
Besonders zwei von ihnen möchte ich erwähnen, die speziell beim Einsatz für die
Entwicklung in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung erforderlich
sind: die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl.
Zunächst die Gerechtigkeit. Ubi societas, ibi
ius: Jede Gesellschaft erarbeitet ein eigenes Rechtssystem. Die Liebe
geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen
von dem geben, was „mein“ ist; aber sie ist nie ohne die Gerechtigkeit, die
mich dazu bewegt, dem anderen das zu geben, was „sein“ ist, das, was ihm
aufgrund seines Seins und seines Wirkens zukommt. Ich kann dem anderen nicht
von dem, was mein ist, „schenken“, ohne ihm an erster Stelle das gegeben zu
haben, was ihm rechtmäßig zusteht. Wer den anderen mit Nächstenliebe begegnet,
ist vor allem gerecht zu ihnen. Die Gerechtigkeit ist der Liebe nicht nur in
keiner Weise fremd, sie ist nicht nur kein alternativer oder paralleler Weg zur
ihr: Die Gerechtigkeit ist untrennbar mit der Liebe verbunden,[1] sie ist ein ihr innewohnendes Element. Die Gerechtigkeit ist der erste Weg
der Liebe oder – wie Paul VI. sagte – ihr »Mindestmaß«,[2] ein wesentlicher Bestandteil jener Liebe »in Tat und Wahrheit« (1 Joh
3, 18), zu der der Apostel Johannes aufruft. Zum einen erfordert die Liebe die
Gerechtigkeit: die Anerkennung und die Achtung der legitimen Rechte der
einzelnen und der Völker. Sie setzt sich für den Aufbau der „Stadt des
Menschen“ nach Recht und Gerechtigkeit ein. Zum andern geht die Liebe über die
Gerechtigkeit hinaus und vervollständigt sie in der Logik des Gebens und
Vergebens.[3] Die „Stadt des Menschen“ wird nicht nur durch Beziehungen auf der
Grundlage von Rechten und Pflichten gefördert, sondern noch mehr und zuerst
durch Verbindungen, die durch Unentgeltlichkeit, Barmherzigkeit und
Gemeinsamkeit gekennzeichnet sind. Die Nächstenliebe offenbart auch in den
menschlichen Beziehungen immer die Liebe Gottes; diese verleiht jedem Einsatz
für Gerechtigkeit in der Welt einen theologalen und heilbringenden Wert.
7. Ferner muß besonderer Wert auf das Gemeinwohl
gelegt werden. Jemanden lieben heißt sein Wohl im Auge haben und sich
wirkungsvoll dafür einsetzen. Neben dem individuellen Wohl gibt es eines, das
an das Leben der Menschen in Gesellschaft gebunden ist: das Gemeinwohl. Es ist
das Wohl jenes „Wir alle“, das aus einzelnen, Familien und kleineren Gruppen
gebildet wird, die sich zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen.[4] Es ist nicht ein für sich selbst gesuchtes Wohl, sondern für die Menschen,
die zu der sozialen Gemeinschaft gehören und nur in ihr wirklich und
wirkungsvoller ihr Wohl erlangen können. Das Gemeinwohl wünschen und
sich dafür verwenden ist ein Erfordernis von Gerechtigkeit und Liebe.
Sich für das Gemeinwohl einzusetzen bedeutet, die Gesamtheit der Institutionen,
die das soziale Leben rechtlich, zivil, politisch und kulturell strukturieren,
einerseits zu schützen und andererseits sich ihrer zu bedienen, so daß auf
diese Weise die Polis, die Stadt Gestalt gewinnt. Man liebt den Nächsten
um so wirkungsvoller, je mehr man sich für ein gemeinsames Gut einsetzt, das
auch seinen realen Bedürfnissen entspricht. Jeder Christ ist zu dieser
Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung und entsprechend seinen
Einflußmöglichkeiten in der Polis. Das ist der institutionelle – wir
können auch sagen politische – Weg der Nächstenliebe, der nicht weniger
tauglich und wirksam ist als die Liebe, die dem Nächsten unmittelbar, außerhalb
der institutionellen Vermittlungen der Polis entgegenkommt. Wenn der
Einsatz für das Gemeinwohl von der Liebe beseelt ist, hat er eine höhere
Wertigkeit als der nur weltliche, politische. Wie jeder Einsatz für die
Gerechtigkeit gehört er zu jenem Zeugnis der göttlichen Liebe, das, während es
in der Zeit wirkt, die Ewigkeit vorbereitet. Wenn das Handeln des Menschen auf
Erden von der Liebe inspiriert und unterstützt wird, trägt es zum Aufbau jener
universellen Stadt Gottes bei, auf die sich die Geschichte der
Menschheitsfamilie zu bewegt. In einer Gesellschaft auf dem Weg zur
Globalisierung müssen das Gemeinwohl und der Einsatz dafür unweigerlich die
Dimensionen der gesamten Menschheitsfamilie, also der Gemeinschaft der Völker
und der Nationen,[5] annehmen, so daß sie der Stadt des Menschen die Gestalt der Einheit
und des Friedens verleihen und sie gewissermaßen zu einer vorausdeutenden
Antizipation der grenzenlosen Stadt Gottes machen.
8. Durch die Veröffentlichung der Enzyklika Populorum
progressio im Jahr 1967 hat mein verehrter Vorgänger Paul VI. das große Thema der Entwicklung der Völker unter
dem Glanz der Wahrheit und dem Licht der Liebe Christi beleuchtet. Er hat
bekräftigt, daß die Verkündigung Christi der erste und hauptsächliche
Entwicklungsfaktor ist,[6] und er hat uns aufgegeben, auf dem Weg der Entwicklung mit unserem Herzen
und all unserer Intelligenz voranzugehen,[7] das heißt mit dem Feuer der Liebe und der Weisheit der Wahrheit. Es ist
die ursprüngliche Wahrheit der Liebe Gottes, eine uns geschenkte Gnade, die
unser Leben für die Gabe öffnet und es möglich macht, eine Entwicklung »des
ganzen Menschen und der ganzen Menschheit«,[8] einen Übergang »von weniger menschlichen zu menschlicheren Bedingungen«[9] zu erhoffen, der durch die Überwindung der unweigerlich auf dem Weg
anzutreffenden Schwierigkeiten erreicht wird.
Über vierzig Jahre nach der Veröffentlichung der
Enzyklika möchte ich dem Gedenken des großen Papstes Paul VI. Anerkennung zollen und Ehre erweisen, indem ich
seine Lehren über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen aufnehme
und mich auf den von ihnen vorgezeichneten Weg begebe, um sie in der
gegenwärtigen Zeit zu aktualisieren. Dieser Prozeß der Aktualisierung begann
mit der Enzyklika Sollecitudo rei socialis, mit welcher der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. der Veröffentlichung von Populorum
progressio anläßlich ihres zwanzigsten Jahrestags gedenken wollte. Ein
solches Andenken war bis dahin nur der Enzyklika Rerum novarum zuteil
geworden. Nachdem nun weitere zwanzig Jahre vergangen sind, bringe ich meine
Überzeugung zum Ausdruck, daß die Enzyklika Populorum progressio
verdient, als »die Rerum novarum unserer Zeit« angesehen zu werden,
welche die Schritte der Menschheit auf dem Weg zu einer Einigung erleuchtet.
9. Die Liebe in der Wahrheit – caritas in
veritate – ist eine große Herausforderung für die Kirche in einer Welt der
fortschreitenden und um sich greifenden Globalisierung. Die Gefahr unserer Zeit
besteht darin, daß der tatsächlichen Abhängigkeit der Menschen und der Völker
untereinander keine ethische Wechselbeziehung von Gewissen und Verstand der
Beteiligten entspricht, aus der eine wirklich menschliche Entwicklung als
Ergebnis hervorgehen könnte. Nur mit der vom Licht der Vernunft und des
Glaubens erleuchteten Liebe ist es möglich, Entwicklungsziele zu erreichen,
die einen menschlicheren und vermenschlichenderen Wert besitzen. Das Teilen der
Güter und der Ressourcen, aus dem die echte Entwicklung hervorgeht, wird nicht
allein durch technischen Fortschritt und durch bloß vom Kalkül bestimmte
Beziehungen gewährleistet, sondern durch das Potential der Liebe, die das Böse
durch das Gute besiegt (vgl. Röm 12, 21) und die Menschen dafür öffnet,
in ihrem Gewissen und mit ihrer Freiheit aufeinander einzugehen.
Die Kirche hat keine technischen Lösungen
anzubieten[10] und beansprucht keineswegs, »sich in die staatlichen Belange
einzumischen«.[11] Sie hat aber zu allen Zeiten und unter allen Gegebenheiten eine Sendung
der Wahrheit zu erfüllen für eine Gesellschaft, die dem Menschen und seiner
Würde und Berufung gerecht wird. Ohne Wahrheit verfällt man in eine
empiristische und skeptische Lebensauffassung, die unfähig ist, sich über die
Praxis zu erheben, weil sie nicht daran interessiert ist, die Werte – und
bisweilen sogar die Bedeutungen – zu erfassen, mit denen diese zu beurteilen
und nach denen sie auszurichten ist. Die Treue zum Menschen erfordert die Treue
zur Wahrheit, die allein Garant der Freiheit (vgl. Joh 8, 32)
und der Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung ist.
Darum sucht die Kirche die Wahrheit, verkündet sie unermüdlich und erkennt sie
an, wo immer sie sich offenbart. Diese Sendung der Wahrheit ist für die Kirche
unverzichtbar. Ihre Soziallehre ist ein besonderer Aspekt dieser Verkündigung:
Sie ist Dienst an der Wahrheit, die befreit. Offen für die Wahrheit,
gleichgültig aus welcher Wissensrichtung sie kommt, nimmt die Soziallehre der
Kirche sie auf, setzt die Bruchstücke, in der sie sie häufig vorfindet, zu
einer Einheit zusammen und vermittelt sie in die immer neue Lebenspraxis der
Gesellschaft der Menschen und der Völker hinein.[12]
ERSTES
KAPITEL
DIE
BOTSCHAFT VON POPULORUM PROGRESSIO
10. Die erneute Lektüre von Populorum
progressio über vierzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung regt dazu an,
ihrer Botschaft der Liebe und der Wahrheit treu zu bleiben und sie im Kontext
der spezifischen Lehre Papst Paul VI. und allgemeiner innerhalb der Tradition der
Soziallehre der Kirche zu betrachten. Alsdann sind die anderen Bedingungen zu
erwägen, unter denen sich das Problem der Entwicklung heute im Unterschied zu
damals stellt. Der richtige Gesichtspunkt ist also jener der Überlieferung des
apostolischen Glaubens,[13] des alten und neuen Erbes, außerhalb dessen Populorum progressio
ein Dokument ohne Wurzeln wäre und die Entwicklungsfragen sich einzig auf
soziologische Daten reduzieren würden.
11. Die Publikation von Populorum progressio
geschah unmittelbar nach Abschluß des Zweiten Vatikanischen
Konzils. Die Enzyklika
selbst weist in den ersten Absätzen auf ihre enge Beziehung zum Konzil hin.[14] Papst Johannes Paul II. unterstrich zwanzig Jahre danach in Sollicitudo
rei socialis seinerseits die fruchtbare Verbindung jener Enzyklika zum
Konzil, insbesondere zur Pastoralkonstitution Gaudium et spes.[15] Auch ich möchte hier an die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils
für die Enzyklika Papst Paul VI. und für das gesamte nachfolgende Lehramt der
Päpste in sozialen Fragen erinnern. Das Konzil vertiefte, was seit jeher zur
Wahrheit des Glaubens gehört, daß nämlich die Kirche, da sie im Dienst Gottes
steht, bezüglich der Liebe und der Wahrheit im Dienst der Welt steht. Genau von
dieser Sicht ging Papst Paul VI. aus, um uns zwei große Wahrheiten
mitzuteilen. Die erste ist, daß die ganze Kirche, wenn sie verkündet,
Eucharistie feiert und in der Liebe wirkt, in all ihrem Sein und Handeln darauf
ausgerichtet ist, die ganzheitliche Entwicklung des Menschen zu fördern.
Sie hat eine öffentliche Rolle, die sich nicht in ihrem Einsatz in der Fürsorge
oder der Erziehung erschöpft, sondern all ihre besonderen Kräfte im Dienst der
Förderung des Menschen und der weltweiten Geschwisterlichkeit offenbart, wenn
sie sich eines freiheitlichen Regimes bedienen kann. In nicht wenigen Fällen
ist diese Freiheit behindert durch Verbote und Verfolgungen oder auch
eingeschränkt, wenn die öffentliche Präsenz der Kirche einzig auf ihre
karitativen Aktivitäten begrenzt wird. Die zweite Wahrheit ist, daß die
echte Entwicklung des Menschen einheitlich die Gesamtheit der Person in all
ihren Dimensionen betrifft.[16] Ohne die Aussicht auf ein ewiges Leben fehlt dem menschlichen Fortschritt
in dieser Welt der große Atem. Wenn er innerhalb der Geschichte eingeschlossen
bleibt, ist er der Gefahr ausgesetzt, sich auf eine bloße Zunahme des Besitztums
zu beschränken; so verliert die Menschheit den Mut, für die höheren Güter
aufnahmebereit zu sein, für die großen und selbstlosen Initiativen, zu denen
die universale Nächstenliebe drängt. Der Mensch entwickelt sich nicht bloß mit
den eigenen Kräften, noch kann die Entwicklung ihm einfach von außen gegeben
werden. Im Laufe der Geschichte hat man oft gemeint, die Schaffung von
Institutionen genüge, um der Menschheit die Erfüllung ihres Rechtes auf
Entwicklung zu gewährleisten. Leider hat man in solche Institutionen ein
übertriebenes Vertrauen gesetzt, so als könnten sie das ersehnte Ziel
automatisch erlangen. In Wirklichkeit reichen die Institutionen allein nicht
aus, denn die ganzheitliche Entwicklung des Menschen ist vor allem Berufung und
verlangt folglich von allen eine freie und solidarische Übernahme von
Verantwortung. Eine solche Entwicklung erfordert außerdem eine transzendente
Sicht der Person, sie braucht Gott: Ohne ihn wird die Entwicklung entweder
verweigert oder einzig der Hand des Menschen anvertraut, der in die Anmaßung
der Selbst-Erlösung fällt und schließlich eine entmenschlichte Entwicklung
fördert. Im übrigen gestattet nur die Begegnung mit Gott, nicht »im anderen
immer nur den anderen zu sehen«,[17] sondern in ihm das göttliche Bild zu erkennen und so dahin zu gelangen,
wirklich den anderen zu entdecken und eine Liebe reifen zu lassen, die »Sorge
um den anderen und für den anderen«[18] wird.
12. Die Verbindung zwischen Populorum
progressio und dem Zweiten Vatikanischen Konzil stellt nicht etwa einen
Bruch zwischen dem Lehramt Papst Paul VI. in sozialen Fragen und dem seiner Vorgänger auf
dem Stuhl Petri dar, denn das Konzil ist eine Vertiefung dieser Lehre in der
Kontinuität des Lebens der Kirche.[19] In diesem Sinn tragen gewisse abstrakte Unterteilungen der modernen
Soziallehre der Kirche, die auf die sozialen Aussagen der Päpste ihr fremde
Kategorien anwenden, nicht zur Klärung bei. Es gibt nicht zwei Typologien von
Soziallehre, eine vorkonziliare und eine nachkonziliare, die sich voneinander
unterscheiden, sondern eine einzige kohärente und zugleich stets neue Lehre.[20] Es ist richtig, die Besonderheiten der einen oder der anderen Enzyklika,
der Lehre des einen oder des anderen Papstes hervorzuheben, man darf dabei aber
niemals die Kohärenz des gesamten Corpus der Lehre aus den Augen
verlieren.[21] Kohärenz bedeutet nicht ein Einschließen in ein System, sondern vielmehr
dynamische Treue zu einem empfangenen Licht. Die Soziallehre der Kirche
beleuchtet die immer neuen Probleme, die auftauchen, mit einem Licht, das sich
nicht verändert.[22] Das gewährleistet den sowohl permanent aktuellen als auch geschichtlichen
Charakter dieses doktrinellen »Erbes«,[23] das mit seinen spezifischen Merkmalen Teil der stets lebendigen
Überlieferung der Kirche ist.[24] Die Soziallehre der Kirche ist auf dem Fundament aufgebaut, das die
Apostel den Kirchenvätern übermittelt haben und das dann von den großen
christlichen Lehrmeistern aufgenommen und vertieft wurde. Diese Lehre greift
letztlich auf den Neuen Menschen zurück, auf den »Letzten Adam«, der »lebendig
machender Geist« wurde (1 Kor 15, 45) und Ursprung jener Liebe ist, die
»niemals aufhört« (1 Kor 13, 8). Sie ist bezeugt von den Heiligen und
von allen, die auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens ihr Leben für
Christus, den Erlöser, hingegeben haben. In ihr kommt die prophetische Aufgabe
der Päpste zum Ausdruck, die Kirche Christi apostolisch zu leiten und die
jeweils neuen Erfordernisse der Evangelisierung zu erkennen. Aus diesen Gründen
ist die in den großen Strom der Überlieferung eingebettete Enzyklika
Populorum progressio imstande, uns heute noch etwas zu sagen.
13. Außer ihrer bedeutenden Verbindung mit der
ganzen Soziallehre der Kirche ist die Enzyklika Populorum progressio
mit dem gesamten Lehramt Papst Paul VI. und insbesondere mit seinem Lehramt in
sozialen Fragen verknüpft. Seine Unterweisungen zu diesem Thema waren
durchaus von großer Wichtigkeit: Er betonte die unabdingbare Rolle des
Evangeliums für den Aufbau der Gesellschaft im Sinne von Freiheit und
Gerechtigkeit, in der geistigen und historischen Perspektive einer von der Liebe
geleiteten Zivilisation. Papst Paul VI. erfaßte klar, daß die soziale Frage weltweit
geworden war,[25] und sah die innere Entsprechung zwischen dem Drängen auf eine
Vereinheitlichung der Menschheit und dem christlichen Ideal einer einzigen, in
der allgemeinen Brüderlichkeit solidarischen Familie der Völker. Er bezeichnete
die menschlich und christlich verstandene Entwicklung als das Herz der
christlichen Soziallehre und stellte die christliche Liebe als die
hauptsächliche Kraft im Dienst der Entwicklung dar. Von dem Wunsch bewegt, die
Liebe Christi dem heutigen Menschen ganz sichtbar zu machen, ging Papst Paul
VI. mit Festigkeit wichtige ethische Fragen an, ohne den Schwächen der Kultur
seiner Zeit nachzugeben.
14. Mit dem Apostolischen Schreiben Octogesima
adveniens von 1971 thematisierte Papst Paul VI. dann den Sinn der Politik und die Gefahr
seitens utopistischer und ideologischer Visionen, die ihre ethische und
menschliche Qualität beeinträchtigten. Es handelt sich um Argumente, die mit
der Entwicklung eng verbunden sind. Leider treiben die negativen Ideologien
fortwährend Blüten. Vor der technokratischen Ideologie, die heute besonders
verbreitet ist, hatte Papst Paul VI. bereits gewarnt,[26] wohl wissend, daß es sehr gefährlich ist, den gesamten Entwicklungsprozeß
allein der Technik zu überlassen, denn auf diese Weise würde ihm die
Orientierung fehlen. Technik, für sich genommen, ist ambivalent. Wenn heute
einerseits die Neigung besteht, ihr den besagten Entwicklungsprozeß gänzlich
anzuvertrauen, ist andererseits das Aufkommen von Ideologien zu beobachten,
welche die Nützlichkeit der Entwicklung überhaupt leugnen, weil sie sie für
grundsätzlich anti-menschlich halten und meinen, sie führe zu allgemeinem
Verfall. So verurteilt man letztlich nicht nur die verzerrte und ungerechte
Weise, in der die Menschen manchmal den Fortschritt orientieren, sondern die
wissenschaftlichen Entdeckungen selbst, die hingegen, wenn sie recht genutzt
werden, eine Wachstumschance für alle darstellen. Die Vorstellung von einer
Welt ohne Entwicklung drückt Mißtrauen gegenüber dem Menschen und gegenüber
Gott aus. Es ist also ein schwerer Irrtum, die menschlichen Fähigkeiten zur
Kontrolle von Auswüchsen in der Entwicklung geringzuschätzen, oder sogar zu ignorieren,
daß der Mensch konstitutiv dem »Mehr-Sein« entgegenstrebt. Den technischen
Fortschritt ideologisch zu verabsolutieren oder die Utopie einer zum
ursprünglichen Naturzustand zurückgekehrten Menschheit zu erträumen, sind zwei
gegensätzliche Weisen, den Fortschritt von der moralischen Bewertung und somit
von unserer Verantwortung zu trennen.
15. Zwei weitere Dokumente Papst Pauls VI., die nicht unmittelbar mit der
Soziallehre zusammenhängen – die Enzyklika Humanae vitae vom 25. Juli
1968 und das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi vom 8. Dezember
1975 – sind sehr wichtig, um den vollkommen menschlichen Gehalt der von der
Kirche vorgeschlagenen Entwicklung zu beschreiben. Es ist also angebracht,
auch diese beiden Texte in Verbindung mit Populorum progressio zu lesen.
Die Enzyklika Humanae vitae unterstreicht
die zweifache Bedeutung der Sexualität als Vereinigung und als Zeugung und
gründet damit die Gesellschaft auf das Fundament des Ehepaares, eines Mannes
und einer Frau, die sich gegenseitig annehmen in ihrer Unterschiedenheit und
Komplementarität; eines Paares also, das offen ist für das Leben.[27] Es handelt sich nicht um eine bloß individuelle Moral: Humanae vitae zeigt
die starken Verbindungen auf, die zwischen der Ethik des Lebens und
der Sozialethik bestehen und hat damit eine lehramtliche Thematik eröffnet,
die nach und nach in verschiedenen Dokumenten Gestalt gewonnen hat, zuletzt in
der Enzyklika Evangelium vitae Papst Johannes Paul II.[28] Die Kirche betont mit Nachdruck diesen Zusammenhang zwischen der Ethik des
Lebens und der Sozialethik, denn sie weiß: Unmöglich »kann eine Gesellschaft
gesicherte Grundlagen haben, die – während sie Werte wie Würde der Person,
Gerechtigkeit und Frieden geltend macht – sich von Grund auf widerspricht, wenn
sie die verschiedensten Formen von Mißachtung und Verletzung des menschlichen
Lebens akzeptiert oder duldet, vor allem, wenn es sich um schwaches oder
ausgegrenztes Leben handelt«.[29]
Das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi
hat seinerseits eine sehr enge Beziehung zur Entwicklung, denn »die
Evangelisierung wäre nicht vollkommen«, schrieb Papst Paul VI., »wenn sie nicht dem Umstand Rechnung tragen
würde, daß sich im Lauf der Zeit das Evangelium und das konkrete, persönliche
und gemeinschaftliche Leben des Menschen gegenseitig fordern«.[30] »Zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung – Entwicklung und
Befreiung – bestehen in der Tat enge Verbindungen«:[31] Von dieser Kenntnis ausgehend, stellte Papst Paul VI. die Beziehung zwischen der Verkündigung Christi
und der Förderung des Menschen in der Gesellschaft klar heraus. Das Zeugnis
für die Liebe Christi durch Werke der Gerechtigkeit, des Friedens und der
Entwicklung gehört zur Evangelisierung, denn dem uns in Liebe zugewandten
Jesus Christus liegt der ganze Mensch am Herzen. Auf diese wichtigen Lehren
gründet sich der missionarische Aspekt[32] der Soziallehre der Kirche als wesentliches Element der Evangelisierung.[33] Die Soziallehre der Kirche ist Glaubensverkündigung und Glaubenszeugnis.
Sie ist Instrument und unverzichtbarer Ort der Erziehung zum Glauben.
16. In der Enzyklika Populorum progressio
wollte Papst Paul VI. uns vor allem sagen, daß der Fortschritt in
seinem Ursprung und seinem Wesen nach eine Berufung ist: »Nach dem Plan
Gottes ist jeder Mensch gerufen, sich zu entwickeln; denn das ganze Leben ist
Berufung«.[34] Genau dieses Faktum rechtfertigt das Eingreifen der Kirche in den
Problemkomplex der Entwicklung. Wenn es nur um technische Aspekte des
menschlichen Lebens ginge und der Mensch weder den Sinn seines Voranschreitens
in der Geschichte gemeinsam mit seinen Mitmenschen, noch die Zielbestimmung
dieses Weges beachten würde, dann hätte die Kirche kein Recht, über diese Dinge
zu sprechen. Papst Paul VI. war sich – wie schon sein Vorgänger Papst Leo XIII. in der Enzyklika Rerum novarum[35] – bewußt, eine seinem Amt eigene Pflicht zu erfüllen, indem er das Licht
des Evangeliums auf die sozialen Fragen seiner Zeit warf.[36]
Wenn man sagt, daß die Entwicklung eine
Berufung ist, bedeutet das anzuerkennen, daß sie zum einen aus einem
transzendenten Ruf hervorgeht und zum andern nicht in der Lage ist, sich selbst
ihren letzten Sinn zu geben. Nicht ohne Grund kommt das Wort »Berufung« auch an
einer anderen Stelle der Enzyklika vor, wo es heißt: »Nur jener Humanismus also
ist der wahre, der sich zum Absoluten hin öffnet, in Dank für eine Berufung,
die die richtige Auffassung vom menschlichen Leben schenkt«.[37] Diese Sicht der Entwicklung ist das Herz von Populorum progressio
und motiviert alle Reflexionen Papst Pauls VI. über die Freiheit, die Wahrheit und die
Liebe in der Entwicklung. Sie ist auch der Hauptgrund, warum diese Enzyklika in
unseren Tagen noch aktuell ist.
17. Die Berufung ist ein Appell, der eine freie
und verantwortliche Antwort verlangt. Die ganzheitliche menschliche
Entwicklung setzt die verantwortliche Freiheit der Person und der
Völker voraus: keine Struktur kann diese Entwicklung garantieren, wenn
sie die menschliche Verantwortung beiseite läßt oder sich über sie stellt. Die
»Messianismen«, reich an »Verheißungen, die doch nur Gaukler einer Traumwelt
sind«,[38] gründen ihre eigenen Vorschläge immer auf die Leugnung der transzendenten
Dimension der Entwicklung, in der Sicherheit, daß diese ihnen ganz zur Verfügung
steht. Diese falsche Sicherheit verwandelt sich in Schwäche, weil sie die
Unterjochung des Menschen mit sich bringt, der zu einem Mittel für die
Entwicklung herabgewürdigt wird, während die Demut dessen, der eine Berufung
annimmt, sich in wahre Autonomie verwandelt, weil sie den Menschen frei macht.
Papst Paul VI. bezweifelt nicht, daß Hindernisse und
Bedingtheiten die Entwicklung hemmen, aber er ist auch sicher, daß »jeder seines
Glückes Schmied, seines Versagens Ursache [ist], wie immer auch die Einflüsse
sind, die auf ihn wirken«.[39] Diese Freiheit betrifft die Entwicklung, die wir vor uns haben, aber sie
betrifft zugleich auch die Situationen von Unterentwicklung, die nicht ein
Ergebnis des Zufalls oder einer geschichtlichen Notwendigkeit sind, sondern von
der menschlichen Verantwortung abhängen. Aus diesem Grund bitten »die Völker,
die Hunger leiden, … die Völker im Wohlstand dringend um Hilfe«.[40] Auch das ist Berufung, ein von freien Menschen an freie Menschen
gerichteter Appell für eine gemeinsame Übernahme von Verantwortung. Papst Paul VI. hatte ein lebendiges Empfinden für die
Wichtigkeit der wirtschaftlichen Strukturen und der Institutionen, aber ebenso
deutlich war sein Empfinden für deren eigentliches Wesen als Werkzeuge der
menschlichen Freiheit. Nur wenn sie frei ist, kann die Entwicklung ganz
menschlich sein; nur in Verhältnissen von verantwortlicher Freiheit kann sie in
angemessener Weise wachsen.
18. Neben der Forderung nach Freiheit verlangt
die ganzheitliche menschliche Entwicklung als Berufung auch, daß ihre Wahrheit
respektiert wird. Die Berufung zum Fortschritt drängt die Menschen, »mehr
[zu] handeln, mehr [zu] erkennen, mehr [zu] besitzen, um mehr zu sein«.[41] Doch da stellt sich das Problem: Was bedeutet »mehr sein«? Auf diese Frage
antwortet Papst Paul VI., indem er auf das wesentliche Kennzeichen der
»wahren Entwicklung« verweist: Sie muß »umfassend sein, sie muß den ganzen
Menschen im Auge haben und die gesamte Menschheit«.[42] In der Konkurrenz der verschiedenen Auffassungen vom Menschen, von denen
es in der heutigen Gesellschaft noch mehr gibt als zur Zeit Papst Pauls VI., hat die christliche Sichtweise die
Besonderheit, den unveräußerlichen Wert des Menschen und den Sinn seines
Wachsens zu bekräftigen und zu rechtfertigen. Die christliche Berufung zur
Entwicklung hilft, die Förderung aller Menschen und des ganzen Menschen zu
verfolgen. Papst Paul VI. schrieb: »Was für uns zählt, ist der Mensch, der
einzelne, die Gruppe von Menschen bis zur gesamten Menschheit«.[43] Der christliche Glaube kümmert sich um die Entwicklung, ohne sich auf
Privilegien oder auf Machtpositionen und nicht einmal auf die Verdienste der
Christen zu verlassen, auch wenn es sie gab und auch heute abgesehen von
natürlichen Grenzen gibt.[44] Der Glaube setzt vielmehr einzig auf Christus, auf den jede echte Berufung
zur ganzheitlichen menschlichen Entwicklung zurückzuführen ist. Das
Evangelium ist grundlegendes Element der Entwicklung, denn darin macht
Christus »in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem
Menschen den Menschen selbst voll kund«.[45] Von ihrem Herrn belehrt, erforscht die Kirche die Zeichen der Zeit, deutet
sie und bietet der Welt »ihr Ureigenstes: eine umfassende Sicht des Menschen
und der Menschheit«.[46] Gerade weil Gott das größte »Ja« zum Menschen sagt,[47] kann der Mensch nicht darauf verzichten, sich der göttlichen Berufung zu
öffnen, um die eigene Entwicklung zu verwirklichen. Die Wahrheit der
Entwicklung besteht in ihrer Ganzheit: Wenn die Entwicklung nicht den ganzen
Menschen und jeden Menschen betrifft, ist sie keine wahre Entwicklung. Das ist
die zentrale Botschaft von Populorum progressio, die heute und immer
gilt. Die ganzheitliche Entwicklung des Menschen auf der natürlichen Ebene als
Antwort auf eine Berufung durch den Schöpfergott[48] erfordert ihre Verwirklichung in einem »Humanismus jenseitiger … Art, der
[dem Menschen] eine umgreifende Vollendung schenkt: das ist das Ziel und der
letzte Sinn menschlicher Entwicklung«.[49] Die christliche Berufung zu dieser Entwicklung betrifft also sowohl die
natürliche als auch die übernatürliche Ebene; aus diesem Grund gilt: »Wenn Gott
in den Schatten gestellt wird, schwindet unsere Fähigkeit, die natürliche
Ordnung, ihr Ziel und das ‚Gute‘ zu erkennen, allmählich dahin«.[50]
19. Schließlich verlangt die Auffassung von der
Entwicklung als Berufung, daß in ihr die Liebe im Zentrum steht. Papst Paul VI. stellte in der Enzyklika Populorum progressio
fest, daß die Ursachen der Unterentwicklung nicht in erster Linie materieller
Art sind. Er forderte uns auf, sie in anderen Dimensionen des Menschen zu
suchen. Vor allem im Willen, der oft die Pflichten der Solidarität mißachtet.
An zweiter Stelle im Denken, das den Willen nicht immer in rechter Weise zu
orientieren weiß. Zu begleiten wäre die Entwicklung daher durch »weise Menschen
mit tiefen Gedanken, die nach einem neuen Humanismus Ausschau halten, der den
Menschen von heute sich selbst finden läßt«.[51] Aber das ist nicht alles. Die Unterentwicklung hat eine Ursache, die noch
wichtiger ist als die Unzulänglichkeit im Denken: Es ist das »Fehlen des
brüderlichen Geistes unter den Menschen und unter den Völkern«.[52] Können die Menschen eine solche Brüderlichkeit jemals aus eigenem Antrieb
erreichen? Die zunehmend globalisierte Gesellschaft macht uns zu Nachbarn, aber
nicht zu Geschwistern. Die Vernunft für sich allein ist imstande, die Gleichheit
unter den Menschen zu begreifen und ein bürgerliches Zusammenleben
herzustellen, aber es gelingt ihr nicht, Brüderlichkeit zu schaffen. Diese hat
ihren Ursprung in einer transzendenten Berufung durch Gott den Vater, der uns
zuerst geliebt hat und uns durch den Sohn lehrt, was geschwisterliche Liebe
ist. In seiner Darstellung der verschiedenen Ebenen des Entwicklungsprozesses
des Menschen stellte Papst Paul VI., nachdem er den Glauben erwähnt hatte, an
die Spitze »die Einheit in der Liebe Christi, der alle gerufen hat, als Kinder
am Leben des lebendigen Gottes teilzunehmen, des Vaters aller Menschen«.[53]
20. Diese von Populorum progressio
eröffneten Perspektiven bleiben grundlegend, um unserem Einsatz für die
Entwicklung der Völker Schwung und Orientierung zu verleihen. Die Enzyklika
unterstreicht außerdem immer wieder die Dringlichkeit von Reformen[54] und ruft dann auf, angesichts der großen Probleme der Ungerechtigkeit in
der Entwicklung der Völker mutig und ohne Zögern zu handeln. Auch die Liebe
in der Wahrheit schreibt diese Dringlichkeit vor. Die Liebe Christi ist es,
die uns drängt: »caritas Christi urget nos« (2 Kor 5, 14). Die
Dringlichkeit liegt nicht nur in den Gegebenheiten, sie ergibt sich nicht nur
daraus, daß die Ereignisse und Probleme sich überstürzen, sondern auch aus der
ausgesetzten Prämie: die Verwirklichung einer echten Brüderlichkeit. Dieses
Ziel hat eine solche Bedeutung, daß es unsere Aufgeschlossenheit erfordert, damit
wir es zutiefst begreifen und uns konkret und »von Herzen« dafür engagieren,
daß die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse zu wahrhaft
menschlichen Ergebnissen führen.
ZWEITES
KAPITEL
DIE
ENTWICKLUNG DES MENSCHEN IN UNSERER ZEIT
21. Papst Paul VI. hatte eine differenzierte Sicht der
Entwicklung. Mit dem Begriff »Entwicklung« wollte er das Ziel anzeigen, den
Völkern vor allem zu einer Überwindung von Hunger, Elend, endemischen
Krankheiten und Analphabetismus zu verhelfen. Das bedeutete vom ökonomischen
Gesichtspunkt aus ihre aktive Teilnahme am internationalen Wirtschaftsprozeß
unter paritätischen Bedingungen; vom sozialen Gesichtspunkt aus ihre
Entwicklung zu gebildeten und solidarischen Gesellschaften; vom politischen
Gesichtspunkt aus die Konsolidierung demokratischer Regime, die imstande sind,
Freiheit und Frieden zu sichern. Während wir nun nach vielen Jahren mit
Besorgnis auf die Entwicklungen und auf die Perspektiven der Krisen schauen,
die in diesen Zeiten einander folgen, fragen wir uns, wie weit die
Erwartungen Papst Pauls VI. von dem in den letzten Jahrzehnten angewendeten
Entwicklungsmodell befriedigt worden sind. Wir erkennen so, daß die
Befürchtungen der Kirche bezüglich der Fähigkeiten des rein technisch
orientierten Menschen, sich realistische Ziele zu setzen und die zur Verfügung
stehenden Mittel in angemessener Weise zu handhaben, begründet waren. Der
Gewinn ist nützlich, wenn er in seiner Eigenschaft als Mittel einem Zweck
zugeordnet ist, welcher der Art und Weise seiner Erlangung ebenso wie der
seiner Verwendung einen Sinn verleiht. Die ausschließliche Ausrichtung auf
Gewinn läuft, wenn dieser auf ungute Weise erzielt wird und sein Endzweck nicht
das Allgemeinwohl ist, Gefahr, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen. Die
von Papst Paul VI. herbeigewünschte wirtschaftliche Entwicklung
sollte so geartet sein, daß sie ein reales, auf alle ausdehnbares und konkret
nachhaltiges Wachstum hervorruft. Es trifft zu, daß die Entwicklung ein
positiver Faktor war und weiterhin ist, der Milliarden von Menschen aus dem
Elend befreit und in letzter Zeit vielen Ländern die Möglichkeit gegeben hat,
wirksame Partner in der internationalen Politik zu werden. Man muß jedoch
zugeben, daß ebendiese wirtschaftliche Entwicklung durch Verzerrungen und
dramatische Probleme belastet war und weiterhin ist, die durch die
augenblickliche Krisensituation noch mehr in den Vordergrund treten. Diese
stellt uns unaufschiebbar vor Entscheidungen, die zunehmend die Bestimmung des
Menschen selbst betreffen, der im übrigen nicht von seiner Natur absehen kann.
Die auf dem Plan befindlichen technischen Kräfte, die weltweiten
Wechselbeziehungen, die schädlichen Auswirkungen einer schlecht eingesetzten
und darüber hinaus spekulativen Finanzaktivität auf die Realwirtschaft, die
stattlichen, oft nur ausgelösten und dann nicht angemessen geleiteten
Migrationsströme, die unkontrollierte Ausbeutung der Erdressourcen – all das
veranlaßt uns heute, über die notwendigen Maßnahmen zur Lösung von Problemen
nachzudenken, die im Vergleich zu den von Papst Paul VI. unternommenen nicht nur neu sind,
sondern auch und vor allem einen entscheidenden Einfluß auf das gegenwärtige
und zukünftige Wohl der Menschheit haben. Die Aspekte der Krise und ihrer
Lösungen wie auch die einer zukünftigen neuen möglichen Entwicklung sind immer
mehr miteinander verbunden, sie bedingen sich gegenseitig, erfordern neue
Bemühungen um ein Gesamtverständnis und eine neue humanistische Synthese.
Die Kompliziertheit und Schwere der augenblicklichen wirtschaftlichen Krise
besorgt uns zu Recht, doch müssen wir mit Realismus, Vertrauen und Hoffnung die
neuen Verantwortungen übernehmen, zu denen uns das Szenario einer Welt ruft,
die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung von
Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist. Die Krise
verpflichtet uns, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue
Einsatzformen zu finden, auf positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen
zu verwerfen. So wird die Krise Anlaß zu Unterscheidung und neuer Planung.
In dieser eher zuversichtlichen als resignierten Grundhaltung müssen die
Schwierigkeiten des gegenwärtigen Augenblicks in Angriff genommen werden.
22. Heute ist der Rahmen der Entwicklung
polyzentrisch. Die Akteure und die Ursachen sowohl der Unterentwicklung als
auch der Entwicklung sind vielgestaltig, Schuld und Verdienste sind voneinander
zu unterscheiden. Diese Gegebenheit müßte dazu drängen, sich von den Ideologien
zu befreien, die in oft künstlicher Weise die Realität vereinfachen, und dazu veranlassen,
objektiv die menschliche Komplexität der Probleme zu überprüfen. Die
Demarkationslinie zwischen reichen und armen Ländern ist nicht mehr so deutlich
wie zur Zeit der Enzyklika Populorum progressio; darauf hatte schon
Papst Johannes Paul II. hingewiesen.[55] Absolut gesehen, nimmt der weltweite Reichtum zu, doch die
Ungleichheiten vergrößern sich. In den reichen Ländern
verarmen neue Gesellschaftsklassen, und es entstehen neue Formen der Armut. In
ärmeren Regionen erfreuen sich einige Gruppen einer Art verschwenderischer und
konsumorientierter Überentwicklung, die in unannehmbarem Kontrast zu
anhaltenden Situationen entmenschlichenden Elends steht. »Der Skandal
schreiender Ungerechtigkeit«[56] hält an. Korruption und Illegalität gibt es leider im Verhalten
wirtschaftlicher und politischer Vertreter der alten und neuen reichen Länder
ebenso wie in den armen Ländern selbst. Manchmal sind es große transnationale
Unternehmen oder auch lokale Produktionsgruppen, welche die Menschenrechte der
Arbeiter nicht respektieren. Die internationalen Hilfen sind oft durch
Verantwortungslosigkeiten sowohl in der Kette der Geber als auch in der der
Nutznießer zweckentfremdet worden. Auch im Bereich der nicht materiellen oder
der kulturellen Ursachen der Entwicklung bzw. der Unterentwicklung können wir
die gleiche Aufteilung der Verantwortung finden. Es gibt übertriebene Formen
des Wissensschutzes seitens der reichen Länder durch eine zu strenge Anwendung
des Rechtes auf geistiges Eigentum, speziell im medizinischen Bereich. Zugleich
bestehen in einigen armen Ländern kulturelle Leitbilder und gesellschaftliche
Verhaltensnormen fort, die den Entwicklungsprozeß bremsen.
23. Viele Regionen der Erde haben sich heute, wenn
auch auf problematische und nicht homogene Weise, fortentwickelt und sind in
den Kreis der großen Mächte eingetreten, die dazu bestimmt sind, in Zukunft
wichtige Rollen zu spielen. Es muß jedoch unterstrichen werden, daß ein Fortschritt
allein unter wirtschaftlichem und technologischem Gesichtspunkt nicht genügt.
Es ist notwendig, daß die Entwicklung vor allem echt und ganzheitlich ist. Das
Heraustreten aus dem wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand, ein an sich
positives Faktum, löst nicht die komplexe Problematik der Förderung des
Menschen: weder für die unmittelbar von diesem Fortschritt selbst betroffenen
Länder, noch für die wirtschaftlich bereits entwickelten, und auch nicht für
die noch armen Länder, die nicht nur unter den alten Formen der Ausbeutung,
sondern auch unter den negativen Konsequenzen eines durch Verzerrungen und
Unausgeglichenheiten gekennzeichneten Wachstums leiden können.
Nach dem Zusammenbruch der wirtschaftlichen und
politischen Systeme der kommunistischen Länder Osteuropas und dem Ende der
sogenannten „gegnerischen Blöcke“ wäre ein umfassendes Überdenken der
Entwicklung nötig gewesen. Das hatte Papst Johannes Paul II. gefordert, der 1987 die Existenz dieser
„Blöcke“ als eine der Hauptursachen der Unterentwicklung ausgewiesen hatte,[57] insofern die Politik der Wirtschaft und der Kultur Geldmittel entzog
und die Ideologie die Freiheit behinderte. Im Jahr 1991, nach den Ereignissen
von 1989, forderte er auch, daß dem Ende der „Blöcke“ eine globale
Neuplanung der Entwicklung entsprechen müsse, und zwar nicht nur in jenen
Ländern, sondern auch im Westen und in jenen Teilen der Welt, die sich im
Stadium der Entwicklung befanden.[58] Das ist nur zum Teil geschehen und bleibt weiter eine echte Verpflichtung,
der Genüge getan werden muß, indem man vielleicht gerade aus den zur
Überwindung der aktuellen wirtschaftlichen Probleme notwendigen Entscheidungen
Nutzen zieht.
24. Obwohl man angesichts des schon
fortgeschrittenen Prozesses der Sozialisierung von einer weltweit gewordenen
sozialen Frage sprechen konnte, war die Welt, die Papst Paul VI. vor sich hatte, noch viel weniger
zusammengewachsen als die heutige. Wirtschaftliche Aktivität und politische
Tätigkeit spielten sich großenteils im selben räumlichen Bereich ab und konnten
sich so aufeinander verlassen. Die produktive Tätigkeit geschah vornehmlich
innerhalb der nationalen Grenzen, und die finanziellen Investitionen hatten
eine eher begrenzte Zirkulation im Ausland, so daß die Politik vieler Staaten
noch die Prioritäten der Wirtschaft festsetzen und mit den ihr noch zur
Verfügung stehenden Mitteln deren Fortgang in gewisser Weise regeln konnte. Aus
diesem Grund schrieb Populorum progressio der »staatlichen Gewalt«[59] eine zentrale, wenn auch nicht ausschließliche Aufgabe zu.
In unserer Zeit sieht sich der Staat mit der
Situation konfrontiert, sich mit den Beschränkungen auseinanderzusetzen zu
müssen, die der neue internationale ökonomisch-kommerzielle und finanzielle
Kontext seiner Souveränität in den Weg legt – ein Kontext, der sich auch durch
eine zunehmende Mobilität des Finanzkapitals und der materiellen wie nicht
materiellen Produktionsmittel auszeichnet. Dieser neue Kontext hat die
politische Macht der Staaten verändert.
Heute – auch unter dem Eindruck der Lektion, die
uns die augenblickliche Wirtschaftskrise erteilt, in der die staatliche
Gewalt unmittelbar damit beschäftigt ist, Irrtümer und Mißwirtschaft zu
korrigieren – scheint eine neue Wertbestimmung der Rolle und der Macht
der Staaten realistischer; beides muß klug neu bedacht und abgeschätzt werden,
so daß die Staaten wieder imstande sind – auch durch neue Modalitäten der
Ausübung –, sich den Herausforderungen der heutigen Welt zu stellen. Mit einer
besser ausgewogenen Rolle der staatlichen Gewalt kann man davon ausgehen, daß
sich jene neuen Formen der Teilnahme an der nationalen und internationalen
Politik stärken, die sich durch die Tätigkeit der in der Zivilgesellschaft
arbeitenden Organisationen verwirklichen. Es ist wünschenswert, daß in dieser
Richtung eine tiefer empfundene Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Bürger an
der Res publica wachse.
25. Vom sozialen Gesichtspunkt aus haben die
Schutz- und Fürsorgeeinrichtungen, die es schon zur Zeit Papst Pauls VI. in vielen Ländern gab, Mühe – und in
Zukunft könnte es noch schwieriger werden –, ihre Ziele wirklicher sozialer
Gerechtigkeit in einem zutiefst veränderten Kräftespiel zu verfolgen. Der
global gewordene Markt hat vor allem bei den reichen Ländern die Suche nach
Zonen angetrieben, in die die Produktion zu Niedrigpreisen verlagert werden
kann, mit dem Ziel, die Preise vieler Waren zu senken, die Kaufkraft zu
steigern und somit die auf vermehrtem Konsum basierenden Wachstumsraten für den
eigenen internen Markt zu erhöhen. Folglich hat der Markt neue Formen des
Wettstreits unter den Staaten angeregt, die darauf abzielen, mit verschiedenen
Mitteln – darunter günstige Steuersätze und die Deregulierung der Arbeitswelt –
Produktionszentren ausländischer Unternehmen anzuziehen. Diese Prozesse haben
dazu geführt, daß die Suche nach größeren Wettbewerbsvorteilen auf dem
Weltmarkt mit einer Reduzierung der Netze der sozialen Sicherheit
bezahlt wurde, was die Rechte der Arbeiter, die fundamentalen Menschenrechte
und die in den traditionellen Formen des Sozialstaates verwirklichte
Solidarität in ernste Gefahr bringt. Die Systeme der sozialen Sicherheit können
die Fähigkeit verlieren, ihre Aufgabe zu erfüllen, und zwar nicht nur in den
armen Ländern, sondern auch in den Schwellenländern und in den seit langem
entwickelten Ländern. Hier kann die Haushaltspolitik mit Streichungen in den
Sozialausgaben, die häufig auch von den internationalen Finanzinstituten
angeregt werden, die Bürger machtlos neuen und alten Gefahren aussetzen; diese
Machtlosigkeit wird durch das Fehlen eines wirksamen Schutzes durch die
Arbeitnehmervereinigungen noch erhöht. Die Gesamtheit der gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Veränderungen bewirkt, daß die Gewerkschaftsorganisationen
bei der Ausübung ihrer Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten,
auf größere Schwierigkeiten stoßen, auch weil die Regierungen aus Gründen des
wirtschaftlichen Nutzens oft die gewerkschaftlichen Freiheiten oder die
Verhandlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften selbst einschränken. So haben die
traditionellen Netze der Solidarität wachsende Hindernisse zu überwinden. Der
Vorschlag seitens der Soziallehre der Kirche – angefangen von der Enzyklika Rerum
novarum[60] –, Arbeitnehmervereinigungen zur Verteidigung der eigenen Rechte ins Leben
zu rufen, sollte darum heute noch mehr nachgekommen werden als früher, indem
man vor allem eine sofortige und weitblickende Antwort auf die Dringlichkeit
gibt, neue Formen des Zusammenwirkens nicht nur auf lokaler, sondern auch auf
internationaler Ebene einzuführen.
Die Arbeitsmobilität ist in Verbindung mit
der verbreiteten Deregulierung ein wichtiges Phänomen nicht ohne positive
Aspekte gewesen, denn sie ist imstande, die Produktion von neuem Vermögen und
den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen anzuregen. Wenn jedoch die
Unsicherheit bezüglich der Arbeitsbedingungen infolge von Prozessen der
Mobilität und der Deregulierung um sich greift, bilden sich Formen
psychologischer Instabilität aus, Schwierigkeiten, eigene konsequente
Lebensplanungen zu entwickeln, auch im Hinblick auf die Ehe. In der Folge
ergeben sich Situationen nicht nur sozialer Kräftevergeudung, sondern auch
menschlichen Niedergangs. Vergleicht man dies mit dem, was in der
Industriegesellschaft der Vergangenheit geschah, so provoziert die
Arbeitslosigkeit heute neue Aspekte wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit, und
die augenblickliche Krise kann die Situation nur noch verschlechtern. Der
langzeitige Ausschluß von der Arbeit oder die längere Abhängigkeit von
öffentlicher oder privater Hilfe untergraben die Freiheit und die Kreativität
der Person sowie ihre familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, was
schwere Leiden auf psychologischer und spiritueller Ebene mit sich bringt.
Allen, besonders den Regierenden, die damit beschäftigt sind, den Wirtschafts-
und Gesellschaftsordnungen der Welt ein erneuertes Profil zu geben, möchte ich
in Erinnerung rufen, daß das erste zu schützende und zu nutzende Kapital der
Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit – »ist doch der Mensch Urheber,
Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft«.[61]
26. Auf kultureller Ebene ist der Unterschied im
Vergleich zur Zeit Papst Paul VI. noch markanter. Damals waren die Kulturen
ziemlich gut umschrieben und hatten größere Chancen, sich vor Versuchen
kultureller Homogenisierung zu schützen. Heute haben die Möglichkeiten der Wechselwirkung
zwischen den Kulturen beträchtlich zugenommen und geben Raum für neue
Perspektiven des interkulturellen Dialogs – eines Dialogs, der, um wirkungsvoll
zu sein, von den verschiedenen Gesprächspartnern als Ausgangspunkt das tiefe
Bewußtsein ihrer spezifischen Identität verlangt. Man darf dabei allerdings
nicht außer Acht lassen, daß die zunehmende Kommerzialisierung des
Kulturaustauschs heute eine zweifache Gefahr begünstigt. An erster Stelle ist
ein häufig unkritisch angenommener kultureller Eklektizismus zu
beobachten: Die Kulturen werden einfach nebeneinander gestellt und als im
wesentlichen gleichwertig und untereinander austauschbar betrachtet. Das
fördert das Abgleiten in einen Relativismus, der dem wahren interkulturellen
Dialog wenig hilfreich ist; auf gesellschaftlicher Ebene bewirkt der kulturelle
Relativismus ein getrenntes Nebeneinanderher-Leben der Kulturgruppen ohne
echten Dialog und folglich ohne wirkliche Integration. An zweiter Stelle
existiert die entgegengesetzte Gefahr, die in der kulturellen Verflachung
und der Vereinheitlichung der Verhaltensweisen und der Lebensstile besteht. Auf
diese Weise geht die tiefe Bedeutung der Kultur der verschiedenen Nationen und
der Traditionen der verschiedenen Völker verloren, in denen der Mensch sich mit
den Grundfragen der Existenz auseinandersetzt.[62] Eklektizismus und kulturelle Nivellierung laufen auf die Trennung der
Kultur von der menschlichen Natur hinaus. So können die Kulturen ihr Maß nicht
mehr in einer Natur finden, die über sie hinausgeht,[63] und reduzieren den Menschen schließlich auf ein bloßes kulturelles
Phänomen. Wenn das geschieht, gerät die Menschheit in neue Gefahren der
Hörigkeit und der Manipulation.
27. In vielen armen Ländern hält als Folge der
Nahrungsmittelknappheit die extreme Unsicherheit des Lebens an und läuft
Gefahr, sich noch zu verschärfen: Der Hunger rafft noch zahllose Opfer
unter den vielen Menschen gleich dem »Lazarus« hinweg, denen es nicht gestattet
ist, mit dem Reichen an derselben Tafel zu sitzen – wie Papst Paul VI. es gewünscht hatte.[64] Den Hungrigen zu essen geben (vgl. Mt
25, 35.37.42) ist ein ethischer Imperativ für die Weltkirche, die den Lehren
ihres Gründers Jesus Christus über Solidarität und Teilen entspricht. Den
Hunger in der Welt zu beseitigen, ist darüber hinaus in der Ära der
Globalisierung auch ein Ziel geworden, das notwendigerweise verfolgt werden muß,
um den Frieden und die Stabilität auf der Erde zu bewahren. Der Hunger hängt
weniger von einem materiellen Mangel ab, als vielmehr von einem Mangel an
gesellschaftlichen Ressourcen, deren wichtigste institutioneller Natur ist. Das
heißt, es fehlt eine Ordnung wirtschaftlicher Institutionen, die in der Lage
sind, sowohl einen der richtigen Ernährung angemessenen regulären Zugang zu
Wasser und Nahrungsmitteln zu garantieren, als auch die Engpässe zu bewältigen,
die mit den Grundbedürfnissen und dem Notstand im Fall echter
Nahrungsmittelkrisen verbunden sind – Krisen, die natürliche Ursachen haben
können oder auch durch nationale und internationale politische
Verantwortungslosigkeit hervorgerufen werden. Das Problem der Unsicherheit auf
dem Gebiet der Ernährung muß in einer langfristigen Perspektive in Angriff
genommen werden, indem man die strukturellen Ursachen, die sie hervorrufen,
beseitigt und die landwirtschaftliche Entwicklung der ärmsten Länder fördert.
Dies kann geschehen durch Investitionen in die ländliche Infrastruktur, in
Bewässerungssysteme, in Transportwesen, in die Organisation von Märkten, in die
Bildung und Verbreitung von geeigneten landwirtschaftlichen Techniken – also
durch Investitionen, die geeignet sind, die menschlichen, natürlichen und
sozioökonomischen Ressourcen, die auf lokaler Ebene am zugänglichsten sind,
bestmöglich zu nutzen, so daß die Nachhaltigkeit dieser Investitionen auch
langfristig gewährleistet ist. All das muß verwirklicht werden, indem man die
lokalen Gemeinschaften in die Auswahl des Ackerlandes und die Entscheidungen
bezüglich seiner Nutzung mit einbezieht. Aus dieser Sicht könnte es sich als
hilfreich erweisen, die neuen Horizonte zu betrachten, die sich durch einen
richtigen Einsatz der traditionellen wie auch der innovativen
landwirtschaftlichen Produktionstechniken auftun, vorausgesetzt, daß letztere
nach angemessener Prüfung als zweckmäßig, umweltfreundlich und für die am
meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen als zuträglich erkannt
wurden. Gleichzeitig sollte die Frage einer gerechten Agrarreform in den
Entwicklungsländern nicht vernachlässigt werden. Das Recht auf Ernährung sowie
das auf Wasser spielen eine wichtige Rolle für die Erlangung anderer Rechte,
angefangen vor allem mit dem Grundrecht auf Leben. Darum ist es notwendig, daß
ein solidarisches Bewußtsein reift, welches die Ernährung und den Zugang zum
Wasser als allgemeine Rechte aller Menschen betrachtet, ohne
Unterscheidungen und Diskriminierungen.[65] Außerdem ist es wichtig zu verdeutlichen, wie der Weg der Solidarisierung
mit den armen Ländern ein Projekt zur Lösung der augenblicklichen weltweiten
Krise darstellen kann; Politiker und Verantwortliche internationaler
Institutionen haben das in letzter Zeit erfaßt. Indem man durch solidarisch
ausgerichtete Finanzierungspläne die armen Länder wirtschaftlich unterstützt,
damit sie selber dafür sorgen, die Nachfrage ihrer Bürger nach Konsumgütern und
Entwicklung zu befriedigen, kann man nicht nur ein echtes Wirtschaftswachstum
erzielen, sondern auch dazu beitragen, die Produktionskapazitäten der reichen
Länder zu erhalten, die Gefahr laufen, durch die Krise in Mitleidenschaft
gezogen zu werden.
28. Einer der augenscheinlichsten Aspekte der
heutigen Entwicklung ist die Wichtigkeit des Themas der Achtung vor dem
Leben, das in keiner Weise von den Fragen bezüglich der Entwicklung der
Völker getrennt werden kann. Es handelt sich um einen Aspekt, der in letzter
Zeit eine immer größere Bedeutung gewinnt und uns verpflichtet, die Begriffe
von Armut[66] und Unterentwicklung auf die Fragen auszudehnen, die mit der Annahme des
Lebens verbunden sind, vor allem dort, wo dieses in verschiedener Weise
behindert wird.
Nicht nur die Situation der Armut verursacht noch
in vielen Regionen hohe Quoten der Kindersterblichkeit, sondern in
verschiedenen Teilen der Welt gibt es weiterhin Praktiken der
Bevölkerungskontrolle durch die Regierungen, die oft die Empfängnisverhütung
verbreiten und sogar so weit gehen, die Abtreibung anzuordnen. In den
wirtschaftlich mehr entwickelten Ländern sind die lebensfeindlichen
Gesetzgebungen sehr verbreitet und haben bereits die Gewohnheit und die Praxis
entscheidend beeinflußt; sie tragen dazu bei, eine geburtenfeindliche Mentalität
zu lancieren, die man häufig auch auf andere Staaten zu übertragen sucht, als
stelle sie einen kulturellen Fortschritt dar.
Einige Nichtregierungsorganisationen arbeiten
aktiv für die Verbreitung der Abtreibung und fördern manchmal in den armen
Ländern die Entscheidung für die Praxis der Sterilisierung, auch bei Frauen,
die sich der Bedeutung des Eingriffs nicht bewußt sind. Außerdem besteht der
begründete Verdacht, daß gelegentlich die Entwicklungshilfe selbst an bestimmte
Formen der Gesundheitspolitik geknüpft wird, die de facto die Auferlegung
starker Geburtenkontrollen einschließen. Besorgniserregend sind ferner
Gesetzgebungen, welche die Euthanasie vorsehen, und ebenso beunruhigend auch
der Druck von nationalen und internationalen Gruppen, die deren rechtliche
Anerkennung fordern.
Die Offenheit für das Leben steht im Zentrum der
wahren Entwicklung. Wenn
eine Gesellschaft den Weg der Lebensverweigerung oder -unterdrückung
einschlägt, wird sie schließlich nicht mehr die nötigen Motivationen und Energien
finden, um sich für das wahre Wohl des Menschen einzusetzen. Wenn der
persönliche und gesellschaftliche Sinn für die Annahme eines neuen Lebens
verlorengeht, verdorren auch andere, für das gesellschaftliche Leben hilfreiche
Formen der Annahme.[67] Die Annahme des Lebens stärkt die moralischen Kräfte und befähigt zu
gegenseitiger Hilfe. Wenn die reichen Völker die Offenheit für das Leben
pflegen, können sie die Bedürfnisse der armen Völker besser verstehen, die
Verwendung ungeheurer wirtschaftlicher und intellektueller Ressourcen zur
Befriedigung egoistischer Wünsche bei den eigenen Bürgern vermeiden und statt
dessen gute Aktionen im Hinblick auf eine moralisch gesunde und solidarische
Produktion fördern, in der Achtung des Grundrechtes jedes Volkes und jedes
Menschen auf das Leben.
29. Es gibt noch einen anderen Aspekt des heutigen
Lebens, der mit der Entwicklung sehr eng verbunden ist: die Verweigerung des Rechtes
auf Religionsfreiheit. Ich beziehe mich nicht nur auf die Kämpfe und
Konflikte, die in der Welt noch aus religiösen Gründen ausgefochten werden,
auch wenn das Religiöse manchmal nur der Deckmantel für andersartige Gründe ist
wie die Gier nach Herrschaft und Reichtum. Tatsächlich wird heute oft im
heiligen Namen Gottes getötet, wie mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. und ich selbst wiederholt öffentlich
betont und mißbilligt haben.[68] Gewalt aller Art bremst die authentische Entwicklung und behindert den
Übergang der Völker zu größerem sozioökonomischen und geistigen Wohlbefinden.
Das gilt speziell für den Terrorismus mit fundamentalistischem Hintergrund,[69] der Leid, Verwüstung und Tod verursacht, den Dialog zwischen den Nationen
blockiert und große Geldmittel von ihrem friedlichen und zivilen Einsatz
abzieht. Es muß jedoch hinzugefügt werden, daß außer dem religiösen Fanatismus,
der in einigen Bereichen die Ausübung des Rechtes auf Religionsfreiheit
verhindert, auch die planmäßige Förderung der religiösen Indifferenz oder des
praktischen Atheismus durch viele Länder den Bedürfnissen der Entwicklung der
Völker widerspricht, indem sie ihnen spirituelle und humane Reichtümer
entzieht. Gott ist der Garant der wahren Entwicklung des Menschen, denn
da er ihn nach seinem Bild geschaffen hat, begründet er auch seine
transzendente Würde und nährt sein Grundverlangen, »mehr zu sein«. Der Mensch
ist nicht etwa ein verlorenes Atom in einem Zufalls-Universum,[70] sondern ein Geschöpf Gottes, das von ihm eine unsterbliche Seele empfangen
hat und von Ewigkeit her geliebt worden ist. Wenn der Mensch nur das Ergebnis
des Zufalls bzw. der Notwendigkeit wäre oder wenn er seine Bestrebungen auf den
begrenzten Horizont der Situationen reduzieren müßte, in denen er lebt, wenn
alles allein Geschichte und Kultur wäre und der Mensch nicht eine Natur besäße,
die dazu bestimmt ist, sich in einem übernatürlichen Leben selbst zu
überschreiten, könnte man von Wachstum oder Evolution sprechen, aber nicht von
Entwicklung. Wenn der Staat Formen eines praktischen Atheismus fördert, lehrt
oder sogar durchsetzt, entzieht er seinen Bürgern die moralische und geistige
Kraft, die für den Einsatz in der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung
unentbehrlich ist, und hindert sie, mit neuer Lebendigkeit im eigenen
Engagement für eine großherzigere menschliche Antwort auf die göttliche Liebe
voranzuschreiten.[71] Es kommt auch vor, daß die wirtschaftlich entwickelten Länder oder die
Schwellenländer im Rahmen ihrer kulturellen, kommerziellen und politischen
Beziehungen diese herabwürdigende Sicht des Menschen und seiner Bestimmung in
die armen Länder exportieren. Das ist der Schaden, den die »Überentwicklung«[72] der echten Entwicklung zufügt, wenn sie von der »moralischen
Unterentwicklung«[73] begleitet ist.
30. In dieser Richtung bekommt das Thema der
ganzheitlichen Entwicklung des Menschen eine noch umfassendere Tragweite: Die
Wechselbeziehung zwischen ihren vielfältigen Elementen erfordert, daß man sich
darum bemüht, die verschiedenen Ebenen des menschlichen Wissens im
Hinblick auf die Förderung einer wahren Entwicklung der Völker interagieren
zu lassen. Oft wird die Meinung vertreten, die Entwicklung bzw. die
entsprechenden sozioökonomischen Maßnahmen verlangten nur ihre Realisierung als
Frucht eines gemeinsamen Handelns. Dieses gemeinsame Handeln muß aber
orientiert werden, denn »alles soziale Handeln setzt eine Lehre voraus«.[74] Angesichts der Komplexität der Probleme ist es klar, daß die verschiedenen
Disziplinen mittels einer geordneten Interdisziplinarität zusammenarbeiten
müssen. Die Liebe schließt das Wissen nicht aus, ja, sie verlangt, fördert und
belebt es von innen her. Das Wissen ist niemals allein das Werk der
Intelligenz. Es kann zwar auf ein Kalkül oder Experiment reduziert werden, wenn
es aber Weisheit sein will, die imstande ist, den Menschen im Licht der
Grundprinzipien und seiner letzten Ziele zu orientieren, dann muß sie mit dem
»Salz« der Liebe »gewürzt« sein. Das Tun ist blind ohne das Wissen, und das
Wissen ist steril ohne die Liebe. Denn »der wahre Liebende [ist] erfinderisch
im Entdecken von Ursachen des Elends, im Finden der Mittel, es zu überwinden
und zu beseitigen«.[75] Gegenüber den vor uns liegenden Phänomenen verlangt die Liebe in der
Wahrheit vor allem ein Erkennen und ein Verstehen im Bewußtsein und in der
Achtung der spezifischen Kompetenz jeder Ebene des Wissens. Die Liebe ist keine
nachträgliche Hinzufügung, gleichsam ein Anhängsel an die von den verschiedenen
Disziplinen bereits getane Arbeit, sondern sie steht mit diesen von Anfang an
im Dialog. Die Ansprüche der Liebe stehen zu denen der Vernunft nicht im Widerspruch.
Das menschliche Wissen ist ungenügend, und die Schlußfolgerungen der
Wissenschaften können allein den Weg zur ganzheitlichen Entwicklung des
Menschen nicht weisen. Es ist immer nötig, darüber hinaus weiter
vorzustoßen – das verlangt die Liebe in der Wahrheit.[76] Darüber hinaus zu gehen bedeutet jedoch niemals, von den Schlüssen der
Vernunft abzusehen, noch ihren Ergebnissen zu widersprechen. Intelligenz und
Liebe stehen nicht einfach nebeneinander: Es gibt die an Intelligenz reiche
Liebe und die von Liebe erfüllte Intelligenz.
31. Das bedeutet, daß die moralischen Bewertungen
und die wissenschaftliche Forschung gemeinsam wachsen müssen und daß die Liebe
sie in einer harmonischen interdisziplinären Ganzheit, die aus Einheit und
Unterschiedenheit besteht, beseelen muß. Die Soziallehre der Kirche, die »eine
wichtige interdisziplinäre Dimension«[77] hat, kann aus dieser Perspektive eine Funktion von außerordentlicher
Wirksamkeit erfüllen. Sie gestattet dem Glauben, der Theologie, der Metaphysik
und den Wissenschaften, ihren Platz innerhalb einer Zusammenarbeit im Dienst
des Menschen zu finden. Vor allem hier realisiert die Soziallehre der Kirche
ihre auf der Weisheit beruhende Dimension. Papst Paul VI. hatte deutlich
gesehen, wie die Unterentwicklung unter anderem auch dadurch verursacht wird,
daß es an Weisheit, an Reflexion, an einem Denken fehlt, das imstande ist, eine
richtungweisende Synthese aufzustellen;[78] für sie bedarf es »einer klaren Konzeption auf wirtschaftlichem, sozialem,
kulturellem und geistigem Gebiet«.[79] Die übertriebene Aufteilung des Wissens in Fachbereiche,[80] das Sich-Verschließen der Humanwissenschaften gegenüber der Metaphysik,[81] die Schwierigkeiten im Dialog der Wissenschaften mit der Theologie schaden
nicht nur der Entwicklung des Wissens, sondern auch der Entwicklung der Völker,
denn in diesen Fällen wird der Blick auf das ganze Wohl des Menschen in den
verschiedenen Dimensionen, die es charakterisieren, verstellt. Die »Ausweitung
unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs«[82] ist unerläßlich, um alle Elemente der Frage nach der Entwicklung und der
Lösung der sozioökonomischen Probleme angemessen abwägen zu können.
32. Die großen Neuheiten, die das Gesamtbild der
Entwicklung der Völker heute aufweist, machen in vielen Fällen neue Lösungen
erforderlich. Sie müssen unter Beachtung der Eigengesetze jeder Realität und
zugleich im Licht einer ganzheitlichen Sicht des Menschen gesucht werden –
einer Sicht, welche die verschiedenen Aspekte des Menschen widerspiegelt, wie
sie sich dem von der Liebe geläuterten Blick darstellen. Dann wird man
einzigartige Übereinstimmungen und konkrete Lösungsmöglichkeiten entdecken,
ohne auf irgendeinen fundamentalen Bestandteil des menschlichen Lebens zu
verzichten.
Die Würde der Person und die Erfordernisse der
Gerechtigkeit verlangen, daß – vor allem heute – die wirtschaftlichen
Entscheidungen die Unterschiede im Besitztum nicht in übertriebener und
moralisch unhaltbarer Weise vergrößern[83] und daß als Priorität weiterhin das Ziel verfolgt wird, allen
Zugang zur Arbeit zu verschaffen und für den Erhalt ihrer
Arbeitsmöglichkeit zu sorgen. Recht besehen erfordert das auch die
»wirtschaftliche Vernunft«. Die systembedingte Zunahme der Ungleichheit unter
Gesellschaftsgruppen innerhalb eines Landes und unter den Bevölkerungen
verschiedener Länder bzw. das massive Anwachsen der relativen Armut, neigt
nicht nur dazu, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben, und bringt
auf diese Weise die Demokratie in Gefahr. Auch auf wirtschaftlicher Ebene wirkt
sie sich negativ aus: durch fortschreitende Abtragung des
»Gesellschaftskapitals«, bzw. durch Untergrabung jener Gesamtheit von
Beziehungen, die auf Vertrauen, Zuverlässigkeit und Einhaltung der Regeln
gründen und die unverzichtbar sind für jedes bürgerliche Zusammenleben.
Zudem sagt uns die Wirtschaftswissenschaft, daß
eine strukturelle Situation der Unsicherheit Verhaltensweisen erzeugt, welche
die Produktion hemmen und menschliche Ressourcen verschwenden, insofern der
Arbeitnehmer dazu neigt, sich passiv den automatischen Mechanismen zu fügen,
anstatt Kreativität zu entwickeln. Auch in diesem Punkt gibt es eine
Übereinstimmung zwischen Wirtschaftswissenschaft und moralischer Bewertung. Der
menschliche Preis ist immer auch ein wirtschaftlicher Preis, und die
wirtschaftlichen Mißstände fordern immer auch einen menschlichen Preis.
Ferner muß daran erinnert werden, daß die
Reduzierung der Kulturen auf die technologische Dimension, selbst wenn sie
kurzfristig die Erlangung eines Gewinns fördern mag, auf lange Sicht die
gegenseitige Bereicherung und die Dynamiken der Zusammenarbeit behindert. Es
ist wichtig, zwischen kurzfristigen und langfristigen wirtschaftlichen oder
soziologischen Überlegungen zu unterscheiden. Die Senkung des Rechtsschutzniveaus
für die Arbeiter oder der Verzicht auf Mechanismen der Umverteilung des
Gewinns, damit das Land eine größere internationale Wettbewerbsfähigkeit
erlangt, verhindern, daß sich eine langfristige Entwicklung durchsetzen kann.
So sollten die Konsequenzen, welche die aktuellen Tendenzen zu einer
kurzfristig, bisweilen extrem kurzfristig angelegten Wirtschaft für die
Menschen haben, aufmerksam abgewogen werden. Das verlangt »eine neue und
vertiefte Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer Ziele«[84] sowie eine tiefgreifende und weitblickende Revision des
Entwicklungsmodells, um seine Mißstände und Verzerrungen zu korrigieren.
Tatsächlich ist dies ein Erfordernis der ökologischen Gesundheit des Planeten;
und vor allem ist es eine Notwendigkeit, die sich aus der kulturellen und
moralischen Krise des Menschen ergibt, deren Symptome seit langem in allen
Teilen der Welt sichtbar sind.
33. Über vierzig Jahre nach der Enzyklika Populorum
progressio ist ihr Grundthema, eben der Fortschritt, nach wie vor ein
noch offenes Problem, das sich durch die augenblickliche Wirtschafts- und
Finanzkrise verschärft hat und noch dringender geworden ist. Wenn einige
Regionen der Erde, die einst durch die Armut belastet waren, bemerkenswerte
Änderungen im Sinn eines wirtschaftlichen Wachstums und einer Beteiligung an
der Weltproduktion erfahren haben, so leben andere Zonen noch in einer
Situation des Elends, die jener zur Zeit Papst Pauls VI. vergleichbar ist, ja, in einigen Fällen
kann man sogar von einer Verschlechterung sprechen. Es ist bezeichnend, daß
einige Ursachen dieser Situation bereits in Populorum progressio
ausgemacht worden waren, wie zum Beispiel die von den wirtschaftlich
entwickelten Ländern festgesetzten hohen Grenzzölle, welche die Produkte aus
den armen Ländern immer noch daran hindern, auf die Märkte der reichen Länder
zu gelangen. Andere Ursachen hingegen, welche die Enzyklika nur angedeutet
hatte, sind in der Folge deutlicher hervorgetreten. Das trifft auf die
Bewertung des Entkolonisierungsprozesses zu, der damals in vollem Gange war.
Papst Paul VI. wünschte sich einen autonomen Verlauf,
der sich in Freiheit und Frieden vollziehen sollte. Nach über vierzig Jahren
müssen wir eingestehen, wie schwierig dieser Verlauf gewesen ist, sei es
aufgrund neuer Formen von Kolonialismus und Abhängigkeit von alten und neuen
Hegemonialländern, sei es durch schwerwiegende Verantwortungslosigkeiten
innerhalb der Länder selbst, die sich unabhängig gemacht haben.
Die hauptsächliche Neuheit war die Explosion
der weltweiten wechselseitigen Abhängigkeit, die inzwischen unter der
Bezeichnung »Globalisierung« allgemein bekannt ist. Papst Paul VI. hatte sie teilweise vorausgesehen, doch das
Ausmaß und die Heftigkeit, mit der sie sich entwickelt hat, sind erstaunlich.
In den wirtschaftlich entwickelten Ländern entstanden, hat dieser Prozeß seiner
Natur entsprechend eine Einbeziehung sämtlicher Ökonomien verursacht. Er war
der Hauptantrieb für das Heraustreten ganzer Regionen aus der Unterentwicklung
und stellt an sich eine große Chance dar. Ohne die Führung der Liebe in der
Wahrheit kann dieser weltweite Impuls allerdings dazu beitragen, die Gefahr
bisher ungekannter Schäden und neuer Spaltungen in der Menschheitsfamilie
heraufzubeschwören. Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit vor einen ganz
neuen und kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex ist. Es
geht darum, die Vernunft auszuweiten und sie fähig zu machen, diese
eindrucksvollen neuen Dynamiken zu erkennen und auszurichten, indem man sie
im Sinn jener »Kultur der Liebe« beseelt, deren Samen Gott in jedes Volk und in
jede Kultur gelegt hat.
DRITTES
KAPITEL
BRÜDERLICHKEIT,
WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UND ZIVILGESELLSCHAFT
34. Die Liebe in der Wahrheit stellt den
Menschen vor die staunenswerte Erfahrung des Geschenks. Die Unentgeltlichkeit
ist in seinem Leben in vielerlei Formen gegenwärtig, die aufgrund einer nur
produktivistischen und utilitaristischen Sicht des Daseins jedoch oft nicht
erkannt werden. Der Mensch ist für das Geschenk geschaffen, das seine
transzendente Dimension ausdrückt und umsetzt. Manchmal ist der moderne Mensch
fälschlicherweise der Überzeugung, der einzige Urheber seiner selbst, seines
Lebens und der Gesellschaft zu sein. Diese Überheblichkeit ist eine Folge des
egoistischen Sich-in-sich-selbst-Verschließens und rührt – in Begriffen des
Glaubens gesprochen – von der Ursünde her. Die Weisheit der
Kirche hat stets vorgeschlagen, die Erbsünde auch bei der Interpretation der
sozialen Gegebenheiten und beim Aufbau der Gesellschaft zu beachten: »Zu
übersehen, daß der Mensch eine verwundete, zum Bösen geneigte Natur hat, führt
zu schlimmen Irrtümern im Bereich der Erziehung, der Politik, des
gesellschaftlichen Handelns und der Sittlichkeit«.[85] Zur Aufzählung der Bereiche, in denen sich die schädlichen Auswirkungen
der Sünde zeigen, gehört nun schon seit langer Zeit auch jener der Wirtschaft.
Auch unsere Zeit liefert uns dafür einen offensichtlichen Beleg. Die
Überzeugung, sich selbst zu genügen und in der Lage zu sein, das in der
Geschichte gegenwärtige Übel allein durch das eigene Handeln überwinden zu
können, hat den Menschen dazu verleitet, das Glück und das Heil in immanenten
Formen des materiellen Wohlstands und des sozialen Engagements zu sehen. Weiter
hat die Überzeugung, daß die Wirtschaft Autonomie erfordert und keine
moralische „Beeinflussung“ zulassen darf, den Menschen dazu gedrängt, das
Werkzeug der Wirtschaft sogar auf zerstörerische Weise zu mißbrauchen.
Langfristig haben diese Überzeugungen zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen
und politischen Systemen geführt, die die Freiheit der Person und der
gesellschaftlichen Gruppen unterdrückt haben und genau aus diesem Grund nicht
in der Lage waren, für die Gerechtigkeit zu sorgen, die sie versprochen hatten.
Wie ich schon in meiner Enzyklika Spe salvi geschrieben habe, entfernt
man auf diese Weise die christliche Hoffnung aus der Geschichte,[86] die jedoch ein kraftvolles Potential im Dienste der umfassenden
Entwicklung des Menschen darstellt, die in der Freiheit und in der
Gerechtigkeit gesucht wird. Die Hoffnung ermutigt die Vernunft und gibt ihr die
Kraft, den Willen zu lenken.[87] Sie ist bereits im Glauben gegenwärtig, von dem sie geradezu geweckt wird.
Die Liebe in der Wahrheit nährt sich aus ihr und macht sie zugleich sichtbar.
Da die Hoffnung ein völlig unentgeltliches Geschenk Gottes ist, tritt sie als
etwas Ungeschuldetes in unser Leben herein, das über jedes Gesetz der
Gerechtigkeit hinausgeht. Das Geschenk übertrifft seinem Wesen nach den
Verdienst, sein Gesetz ist das Übermaß. Es kommt uns in unserer Seele zuvor als
Zeichen der Gegenwart Gottes in uns und seiner Erwartung an uns. Die Wahrheit,
die wie die Liebe ein Geschenk ist, ist, so lehrt der heilige Augustinus,
größer als wir.[88] Auch die Wahrheit über uns selbst, über unsere eigene Erkenntnis, ist uns
zu aller erst „geschenkt“. Denn in jedem Erkenntnisvorgang wird die Wahrheit
nicht von uns erzeugt, sondern immer gefunden, oder besser, empfangen. Die
Wahrheit kommt wie die Liebe »nicht aus Denken und Wollen, sondern übermächtigt
gleichsam den Menschen«.[89]
Da die Liebe in der Wahrheit eine Gabe ist, die
alle empfangen, stellt sie eine Kraft dar, die Gemeinschaft stiftet, die die
Menschen auf eine Weise vereint, die keine Barrieren und Grenzen kennt. Die
Gemeinschaft der Menschen kann von uns selbst gestiftet werden, aber sie wird
allein aus eigener Kraft nie eine vollkommen brüderliche Gemeinschaft sein und
jede Abgrenzung überwinden, das heißt, eine wirklich universale Gemeinschaft
werden: die Einheit des Menschengeschlechts, eine brüderliche Gemeinschaft
jenseits jedweder Teilung, wird aus dem zusammenrufenden Wort Gottes, der die
Liebe ist, geboren. Bei der Behandlung dieser entscheidenden Frage müssen wir
einerseits präzisieren, daß die Logik des Geschenks die Gerechtigkeit nicht
ausschließt oder ihr in einem zweiten Moment und von außen hinzugefügt wird,
und andererseits, daß eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische
Entwicklung, die wahrhaft menschlich sein will, dem Prinzip der
Unentgeltlichkeit als Ausdruck der Brüderlichkeit Raum geben muß.
35. Der Markt ist, wenn gegenseitiges und
allgemeines Vertrauen herrscht, die wirtschaftliche Institution, die die
Begegnung zwischen den Menschen ermöglicht, welche als Wirtschaftstreibende
ihre Beziehungen durch einen Vertrag regeln und die gegeneinander
aufrechenbaren Güter und Dienstleistungen austauschen, um ihre Bedürfnisse und
Wünsche zu befriedigen. Der Markt unterliegt den Prinzipien der sogenannten ausgleichenden
Gerechtigkeit, die die Beziehungen des Gebens und Empfangens zwischen
gleichwertigen Subjekten regelt. Aber die Soziallehre der Kirche hat stets die
Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit und der sozialen
Gerechtigkeit für die Marktwirtschaft selbst betont, nicht nur weil diese
in das Netz eines größeren sozialen und politischen Umfelds eingebunden ist,
sondern auch aufgrund des Beziehungsgeflechts, in dem sie abläuft. Denn wenn
der Markt nur dem Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter überlassen
wird, ist er nicht in der Lage, für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen, den er
jedoch braucht, um gut zu funktionieren. Ohne solidarische und von
gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der
Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen.
Heute ist dieses Vertrauen verlorengegangen, und der Vertrauensverlust ist ein
schwerer Verlust.
Papst Paul VI. hat in der Enzyklika Populorum progressio richtigerweise
die Tatsache unterstrichen, daß allgemein verbreitete gerechte Handlungsweisen
für das Wirtschaftssystem selbst einen Vorteil darstellen, da die reichen
Länder die ersten Nutznießer des wirtschaftlichen Aufschwungs der armen Länder
sind.[90] Dabei handelte es sich nicht nur darum, Fehlfunktionen durch
Hilfsleistungen zu korrigieren. Die Armen dürfen nicht als eine »Last«[91] angesehen werden, sondern als eine Ressource, auch unter streng
wirtschaftlichem Gesichtspunkt. Es muß jedoch die Sichtweise jener als
unrichtig verworfen werden, nach denen die Marktwirtschaft strukturell auf eine
Quote von Armut und Unterentwicklung angewiesen sei, um bestmöglich
funktionieren zu können. Es ist im Interesse des Marktes, Emanzipierung zu
fördern, aber um dies zu erreichen, darf er sich nicht nur auf sich selbst
verlassen, denn er ist nicht in der Lage, von sich aus das zu erreichen, was
seine Möglichkeiten übersteigt. Er muß vielmehr auf die moralischen Kräfte
anderer Subjekte zurückgreifen, die diese hervorbringen können.
36. Das Wirtschaftsleben kann nicht alle
gesellschaftlichen Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Geschäftsdenkens
überwinden. Es soll auf das Erlangen des Gemeinwohls ausgerichtet
werden, für das auch und vor allem die politische Gemeinschaft sorgen muß. Es
darf daher nicht vergessen werden, daß die Trennung zwischen der
Wirtschaftstätigkeit, der die Aufgabe der Schaffung des Reichtums zukäme, und
der Politik, die sich mittels Umverteilung um die Gerechtigkeit zu kümmern
habe, schwere Störungen verursacht.
Die Kirche vertritt seit jeher, daß die
Wirtschaftstätigkeit nicht als antisozial angesehen werden darf. Der Markt ist
an sich nicht ein Ort der Unterdrückung des Armen durch den Reichen und darf
daher auch nicht dazu werden. Die Gesellschaft muß sich nicht vor dem Markt
schützen, als ob seine Entwicklung ipso facto zur Zerstörung wahrhaft
menschlicher Beziehungen führen würde. Es ist sicher richtig, daß der Markt
eine negative Ausrichtung haben kann, nicht weil dies seinem Wesen entspräche,
sondern weil eine gewisse Ideologie ihm diese Ausrichtung geben kann. Es darf
nicht vergessen werden, daß es den Markt nicht in einer Reinform gibt. Er
erhält seine Gestalt durch die kulturellen Gegebenheiten, die ihm eine konkrete
Prägung und Orientierung geben. Die Wirtschaft und das Finanzwesen können,
insofern sie Mittel sind, tatsächlich schlecht gebraucht werden, wenn der
Verantwortliche sich nur von egoistischen Interessen leiten läßt. So können an
sich gute Mittel in schadenbringende Mittel verwandelt werden. Doch diese
Konsequenzen bringt die verblendete Vernunft der Menschen hervor, nicht die
Mittel selbst. Daher muß sich der Appell nicht an das Mittel, sondern an den
Menschen richten, an sein moralisches Gewissen und an seine persönliche und
soziale Verantwortung.
Die Soziallehre der Kirche ist der Ansicht, daß
wahrhaft menschliche Beziehungen in Freundschaft und Gemeinschaft, Solidarität
und Gegenseitigkeit auch innerhalb der Wirtschaftstätigkeit und nicht nur
außerhalb oder »nach« dieser gelebt werden können. Der Bereich der Wirtschaft ist
weder moralisch neutral noch von seinem Wesen her unmenschlich und antisozial.
Er gehört zum Tun des Menschen und muß, gerade weil er menschlich ist, nach
moralischen Gesichtspunkten strukturiert und institutionalisiert werden.
Vor uns liegt eine große Herausforderung, die von
den Problemen der Entwicklung in dieser Zeit der Globalisierung hervorgebracht
und durch die Wirtschafts- und Finanzkrise noch weiter erschwert wurde: Wir
müssen in unserem Denken und Handeln nicht nur zeigen, daß die traditionellen
sozialethischen Prinzipien wie die Transparenz, die Ehrlichkeit und die
Verantwortung nicht vernachlässigt oder geschwächt werden dürfen, sondern auch,
daß in den geschäftlichen Beziehungen das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die
Logik des Geschenks als Ausdruck der Brüderlichkeit im normalen
wirtschaftlichen Leben Platz haben können und müssen. Das ist ein Erfordernis
des Menschen in unserer jetzigen Zeit, aber auch um ein Erfordernis des
wirtschaftlichen Denkens selbst. Es ist zugleich ein Erfordernis der Liebe und
der Wahrheit.
37. Die Soziallehre der Kirche hat immer
bekräftigt, daß die Gerechtigkeit alle Phasen der Wirtschaftstätigkeit
betrifft, da diese stets mit dem Menschen und mit seinen Bedürfnissen zu
tun hat. Die Beschaffung von Ressourcen, die Finanzierung, die Produktion, der
Konsum und alle übrigen Phasen haben unvermeidbar moralische Folgen. So hat
jede wirtschaftliche Entscheidung eine moralische Konsequenz. All das
bestätigt sich auch in den Sozialwissenschaften und in den Tendenzen der heutigen
Wirtschaft. Vielleicht war es früher denkbar, der Wirtschaft die Schaffung des
Reichtums anzuvertrauen, um dann der Politik die Aufgabe zu übertragen, diesen
zu verteilen. Heute erscheint das schwieriger, da die wirtschaftlichen
Tätigkeiten nicht an territoriale Grenzen gebunden sind, während die Autorität
der Regierungen weiter vorwiegend örtlich beschränkt ist. Darum müssen die
Regeln der Gerechtigkeit von Anfang an beachtet werden, während der
wirtschaftliche Prozeß in Gang ist, und nicht mehr danach oder parallel dazu.
Darüber hinaus ist es nötig, daß Räume für wirtschaftliche Tätigkeiten
geschaffen werden, die von Trägern durchgeführt werden, die ihr Handeln aus
freiem Entschluß nach Prinzipien ausrichten, die sich vom reinen Profitstreben
unterscheiden, die aber dennoch weiter wirtschaftliche Werte hervorbringen
wollen. Die vielen Ausdrucksformen der Wirtschaft, die aus konfessionellen und
nicht konfessionellen Initiativen hervorgegangen sind, zeigen, daß das eine
konkrete Möglichkeit ist.
In der Zeit der Globalisierung leidet die
Wirtschaft an konkurrierenden Modellen, die von sehr unterschiedlichen Kulturen
abhängig sind. Die daraus hervorgehenden wirtschaftlich-unternehmerischen
Verhaltensweisen finden vorwiegend in der Beachtung der ausgleichenden
Gerechtigkeit einen Berührungspunkt. Das Wirtschaftsleben braucht ohne
Zweifel Verträge, um den Tausch von einander entsprechenden Werten zu
regeln. Ebenso sind jedoch gerechte Gesetze, von der Politik geleitete Mechanismen
zur Umverteilung und darüber hinaus Werke, die vom Geist des Schenkens
geprägt sind, nötig. Die globalisierte Wirtschaft scheint die erste Logik, jene
des vertraglich vereinbarten Gütertausches, zu bevorzugen, aber direkt und
indirekt zeigt sie, daß sie auch die anderen beiden Formen braucht, die Logik
der Politik und die Logik des Geschenks ohne Gegenleistung.
38. Mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. hat auf
diese Problematik hingewiesen, als er in der Enzyklika Centesimus annus die
Notwendigkeit eines Systems mit drei Subjekten aufgezeigte: dem Markt,
dem Staat und der Zivilgesellschaft.[92] In der Zivilgesellschaft sah er den geeignetsten Bereich für eine Wirtschaft
der Unentgeltlichkeit und der Brüderlichkeit, aber er wollte diese nicht
für die anderen beiden Bereiche ausschließen. Heute können wir sagen, daß das
Wirtschaftsleben als eine mehrdimensionale Realität verstanden werden muß: In
allen muß in unterschiedlichem Umfang und in eigenen Formen der Aspekt der
brüderlichen Gegenseitigkeit vorhanden sein. In der Zeit der Globalisierung
kann die Wirtschaftstätigkeit nicht auf die Unentgeltlichkeit verzichten, die die
Solidarität und das Verantwortungsbewußtsein für die Gerechtigkeit und das
Gemeinwohl in seinen verschiedenen Subjekten und Akteuren verbreitet und nährt.
Es handelt sich dabei schließlich um eine konkrete und tiefgründige Form
wirtschaftlicher Demokratie. Solidarität bedeutet vor allem, daß sich alle für
alle verantwortlich fühlen,[93] und daher kann sie nicht allein dem Staat übertragen werden. Während man
früher der Ansicht sein konnte, daß man zuerst für Gerechtigkeit sorgen müsse
und daß die Unentgeltlichkeit danach als ein Zusatz hinzukäme, muß man heute
festhalten, daß ohne die Unentgeltlichkeit auch die Gerechtigkeit nicht
erreicht werden kann. Es bedarf daher eines Marktes, auf dem Unternehmen mit
unterschiedlichen Betriebszielen frei und unter gleichen Bedingungen tätig sein
können. Neben den gewinnorientierten Privatunternehmen und den verschiedenen
Arten von staatlichen Unternehmen sollen auch die nach wechselseitigen und
sozialen Zielen strebenden Produktionsverbände einen Platz finden und tätig
sein können. Aus ihrem Zusammentreffen auf dem Markt kann man sich erhoffen,
daß es zu einer Art Kreuzung und Vermischung der unternehmerischen
Verhaltensweisen kommt und daß in der Folge spürbar auf eine Zivilisierung
der Wirtschaft geachtet wird. Liebe in der Wahrheit bedeutet in diesem
Fall, daß jenen wirtschaftlichen Initiativen Gestalt und Struktur verliehen
wird, die den Gewinn zwar nicht ausschließen, aber über die Logik des
Äquivalenzprinzips und des Gewinns als Selbstzweck hinausgehen wollen.
39. Papst Paul VI. sprach sich in der Enzyklika Populorum
progressio für die Schaffung eines Marktwirtschaftsmodells aus, das
wenigstens tendenziell alle Völker einschließen kann und nicht nur jene, die
über entsprechende Möglichkeiten und Fähigkeiten verfügen. Er verlangte,
sich dafür einzusetzen, daß eine für alle menschlichere Welt entstehe, eine
Welt, »wo alle geben und empfangen können, ohne daß der Fortschritt der einen
ein Hindernis für die Entwicklung der anderen ist«.[94] Damit dehnte er die Forderungen und Ziele der Enzyklika Rerum novarum auf
eine universale Ebene aus. Als jene Enzyklika als Antwort auf die industrielle
Revolution erschien, setzte sich zum ersten Mal der damals sicher
fortschrittliche Gedanke durch, daß der Fortbestand der gesellschaftlichen
Ordnung auch eines umverteilenden Eingreifens des Staates bedarf. Heute erweist
sich diese Sicht auch abgesehen davon, daß sie durch die Öffnung der Märkte und
der gesellschaftlichen Gruppen in Krise geraten ist, als unvollständig und kann
die Ansprüche an eine voll und ganz menschliche Wirtschaft nicht erfüllen. Was
die Soziallehre der Kirche ausgehend von ihrer Sicht des Menschen und der
Gesellschaft immer vertreten hat, ist heute auch aufgrund der Dynamiken
erforderlich, die die Globalisierung mit sich bringt.
Wenn die Logik des Marktes und die Logik des
Staates mit gegenseitigem Einverständnis auf dem Monopol ihrer jeweiligen
Einflußbereiche beharren, gehen langfristig die Solidarität in den Beziehungen
zwischen den Bürgern, die Anteilnahme und die Beteiligung sowie die
unentgeltliche Tätigkeit verloren. Diese unterscheiden sich vom „Geben, um zu
haben“, das die Logik des Tausches ausmacht, und vom „Geben aus Pflicht“, das
für die öffentlichen Verhaltensweisen gilt, die durch staatliche Gesetze
auferlegt werden. Die Überwindung der Unterentwicklung erfordert ein Eingreifen
nicht nur zur Verbesserung der auf Gütertausch beruhenden Transaktionen, nicht
nur im Bereich der Leistungen der öffentlichen Hilfseinrichtungen, sondern vor
allem eine fortschreitende Offenheit auf weltweiter Ebene für
wirtschaftliche Tätigkeiten, die sich durch einen Anteil von Unentgeltlichkeit
und Gemeinschaft auszeichnen. Die exklusive Kombination Markt-Staat
zersetzt den Gemeinschaftssinn. Die Formen solidarischen Wirtschaftslebens
hingegen, die ihren fruchtbarsten Boden im Bereich der Zivilgesellschaft
finden, ohne sich auf diese zu beschränken, schaffen Solidarität. Es gibt
keinen Markt der Unentgeltlichkeit, und eine Haltung der Unentgeltlichkeit kann
nicht per Gesetz verordnet werden. Dennoch brauchen sowohl der Markt als auch
die Politik Menschen, die zur Hingabe aneinander bereit sind.
40. Die derzeitigen internationalen
wirtschaftlichen Dynamiken mit ihren schwerwiegenden Verzerrungen und
Mißständen erfordern, daß sich auch das Verständnis des Unternehmens
tiefgreifend verändern muß. Alte Formen der Unternehmertätigkeit gehen
ihrem Ende entgegen, doch am Horizont werden neue vielversprechende Formen
sichtbar. Eine der größten Gefahren ist sicher die, daß das Unternehmen fast
ausschließlich gegenüber den Investoren verantwortlich ist und so letztendlich
an Bedeutung für die Gesellschaft einbüßt. Aufgrund der wachsenden Größe und
des zunehmenden Kapitalbedarfs hängen immer weniger Unternehmen von einem
gleichbleibenden Unternehmer ab, der sich langfristig – und nicht nur
vorübergehend – für die Tätigkeit und die Ergebnisse seines Unternehmens
verantwortlich fühlt, und immer seltener hängen Unternehmen nur von einer
Region ab. Außerdem kann die sogenannte Auslagerung der Produktionstätigkeit
das Verantwortungsbewußtsein des Unternehmers gegenüber Interessensträgern wie
den Arbeitnehmern, den Zulieferern, den Konsumenten, der Umwelt und dem
größeren gesellschaftlichen Umfeld zugunsten der Aktionäre verringern, die
nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind und daher außerordentlich beweglich
sind. Der internationale Kapitalmarkt bietet heute tatsächlich einen großen
Handlungsspielraum. Zugleich wächst aber auch das Bewußtsein für die
Notwendigkeit einer weiterreichenden „sozialen Verantwortung“ des
Unternehmens. Auch wenn nicht alle ethischen Konzepte, die heute die Debatte
über die soziale Verantwortung des Unternehmens bestimmen, aus der Sicht der
Soziallehre der Kirche annehmbar sind, so ist es doch eine Tatsache, daß sich
eine Grundüberzeugung ausbreitet, nach der die Führung des Unternehmens
nicht allein auf die Interessen der Eigentümer achten darf, sondern muß auch
auf die von allen anderen Personenkategorien eingehen, die zum Leben des
Unternehmens beitragen: die Arbeitnehmer, die Kunden, die Zulieferer der
verschiedenen Produktionselemente, die entsprechende Gemeinde. In den vergangenen
Jahren war eine Zunahme einer kosmopolitischen Klasse von Managern zu
beobachten, die sich oft nur nach den Anweisungen der Hauptaktionäre richten,
bei denen es sich normalerweise um anonyme Fonds handelt, die de facto
den Verdienst der Manager bestimmen. Auch heute gibt es jedoch viele Manager,
die sich dank weitblickender Analysen immer mehr der tiefgreifenden
Verbindungen bewußt werden, die ihr Unternehmen mit der Region oder den
Regionen, in denen es arbeitet, hat. Papst Paul VI. lud dazu ein, ernsthaft zu bedenken, welchen
Schaden es dem eigenen Land zufügen kann, wenn Kapital nur zum persönlichen
Vorteil ins Ausland geschafft wird.[95] Papst Johannes Paul II. merkte an, daß eine Investition neben
der wirtschaftlichen immer auch eine moralische Bedeutung hat.[96] Es muß betont werden, daß all das auch heute gilt, auch wenn der
Kapitalmarkt stark liberalisiert worden ist und die moderne technologische
Denkweise dazu verleiten kann, in einer Investition nur einen technischen
Vorgang und nicht auch eine menschliche und ethische Handlung zu sehen. Es gibt
keinen Grund zu leugnen, daß ein gewisses Kapital Gutes bewirken kann, wenn es
im Ausland und nicht in der Heimat investiert wird. Es müssen aber die aus
Gerechtigkeit bestehenden Ansprüche gewährt sein, wobei auch zu beachten ist,
wie dieses Kapital entstanden ist und welchen Schaden die Menschen davontragen,
wenn es nicht an den Orten eingesetzt wird, wo es geschaffen wurde.[97] Man muß vermeiden, daß die finanziellen Ressourcen zur Spekulation
verwendet werden und man der Versuchung nachgibt, nur einen kurzfristigen
Gewinn zu suchen und nicht auch den langfristigen Bestand des Unternehmens, den
Nutzen der Investition für die Realwirtschaft und die Sorge für die angemessene
und gelegene Förderung von wirtschaftlichen Initiativen in Entwicklungsländern.
Ebenso gibt es keinen Grund zu leugnen, daß eine Verlagerung ins Ausland, wenn
sie mit Investitionen und Ausbildung verbunden ist, für die Bevölkerung des
betreffenden Landes Gutes bewirken kann. Die Arbeit und das technische Wissen
werden überall gebraucht. Es ist aber nicht zulässig, eine Auslagerung nur
vorzunehmen, um von bestimmten Begünstigungen zu profitieren oder gar um andere
auszubeuten, ohne einen echten Beitrag für die Gesellschaft vor Ort zur
Schaffung eines stabilen Produktions- und Sozialwesens zu leisten, das eine
unverzichtbare Bedingung für eine beständige Entwicklung darstellt.
41. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich,
darauf hinzuweisen, daß die unternehmerische Tätigkeit eine mehrwertige
Bedeutung hat und dieser immer mehr gerecht werden muß. Die seit längerer
Zeit vorherrschende Kombination Markt-Staat hat uns daran gewöhnt, nur an den
privaten Unternehmer nach kapitalistischer Art und andererseits an die Leiter
staatlicher Unternehmen zu denken. In Wirklichkeit ist ein differenziertes
Verständnis der unternehmerischen Tätigkeit erforderlich. Das resultiert aus
einer Reihe von metaökonomischen Beweggründen. Die unternehmerische Tätigkeit
hat noch vor ihrer beruflichen eine menschliche Bedeutung.[98] Sie ist Teil einer jeden Arbeit, wenn sie als »actus personae«[99] betrachet wird; daher ist es gut, jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu
geben, seinen persönlichen Beitrag zu leisten, so daß er selbst »das Bewußtsein
hat, im eigenen Bereich zu arbeiten«.[100] Nicht zufällig lehrte Papst Paul VI. daß »jeder, der arbeitet, schöpferisch tätig
ist«.[101] Gerade um den Erfordernissen und der Würde des arbeitenden Menschen sowie
den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden, gibt es verschiedene Arten
von Unternehmen, weit hinaus über die alleinige Unterscheidung zwischen
»privat« und »staatlich«. Jede erfordert und verwirklicht eine besondere
unternehmerische Fähigkeit. Um eine Wirtschaft zu erreichen, die sich in der
nahen Zukunft in den Dienst des nationalen und weltweiten Gemeinwohls stellen
kann, ist es angebracht, diese weitreichende Bedeutung der unternehmerischen
Tätigkeit zu beachten. Diese umfassendere Sicht fördert den Austausch und die
gegenseitige Prägung unter den verschiedenen Arten von unternehmerischer
Tätigkeit mit einem Kompetenzfluß vom nicht-gewinnorienten Bereich zum
gewinnorientierten und umgekehrt, vom öffentlichen zu dem der
Zivilgesellschaft, von den fortgeschrittenen Wirtschaftsregionen zu jenen der
Entwicklungsländer.
Auch die „politische Autorität“ hat eine mehrwertige
Bedeutung, die auf dem Weg zur Verwirklichung einer neuen sozial
verantwortlichen und nach dem Maß des Menschen ausgerichteten
wirtschaftlich-produktiven Ordnung nicht vergessen werden darf. So wie man auf
der ganzen Welt eine differenzierte unternehmerische Tätigkeit pflegen will, so
muß auch eine verteilte und auf verschiedenen Ebenen wirkende politische
Autorität gefördert werden. Die zusammengewachsene Wirtschaft unserer Zeit
eliminiert die Rolle der Staaten nicht, sie verpflichtet die Regierungen
vielmehr zu einer engeren Zusammenarbeit untereinander. Gründe der Weisheit und
der Klugheit raten davon ab, vorschnell das Ende des Staates auszurufen.
Hinsichtlich der Lösung der derzeitigen Krise, zeichnet sich ein Wachstum
seiner Rolle ab, indem er viele seiner Kompetenzen wiedererlangt. Es gibt auch
Länder, in denen der Aufbau oder der Wiederaufbau des Staates weiterhin ein Schlüsselelement
für ihre Entwicklung ist. Die internationale Hilfe sollte gerade im
Rahmen eines solidarischen Plans zur Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen
Probleme die Festigung der Verfassungs-, Rechts- und Verwaltungssysteme in den
Ländern, die sich dieser Güter noch nicht vollkommen erfreuen, eher fördern.
Neben der wirtschaftlichen Hilfe bedarf es der Unterstützung, um die dem Rechtsstaat
eigenen Garantien, ein wirksames System der öffentlichen Ordnung und des
Gefängniswesens unter Einhaltung der Menschenrechte und wirklich demokratische
Institutionen zu stärken. Der Staat muß nicht überall dieselben Ausprägungen
haben: Die Unterstützung zur Stärkung der schwachen Verfassungssysteme kann auf
hervorragende Weise von der Entwicklung anderer politischer Akteure neben dem
Staat begleitet werden, die kultureller, sozialer, regionaler oder religiöser
Art sind. Die Gliederung der politischen Autorität auf lokaler Ebene, auf der
Ebene der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft und auf der Ebene der
übernationalen und weltweiten Gemeinschaft ist auch einer der Hauptwege, um die
wirtschaftliche Globalisierung lenken zu können. Sie ist auch die
Vorgangsweise, um zu verhindern, daß diese de facto die Fundamente der
Demokratie untergräbt.
42. Manchmal sind gegenüber der Globalisierung
fatalistische Einstellungen bemerkbar, als ob die herrschenden Dynamiken von
unpersönlichen anonymen Kräften und von vom menschlichen Wollen unabhängigen
Strukturen hervorgebracht würden.[102] Diesbezüglich ist es gut, in Erinnerung zu rufen, daß die Globalisierung
gewiß einen sozioökonomischen Prozeß darstellt, dies aber nicht ihre einzige
Dimension ist. Hinter dem deutlicher sichtbaren Prozeß steht eine zunehmend
untereinander verflochtene Menschheit; diese setzt sich aus Personen und
Völkern zusammen, denen dieser Prozeß zum Nutzen und zur Entwicklung gereichen soll,[103] weil sowohl die Einzelnen als auch die Gesamtheit die jeweiligen
Verantwortungen auf sich nehmen. Die Überwindung der Grenzen ist nicht nur eine
materielle Angelegenheit, sondern hinsichtlich ihrer Gründe und Auswirkungen
auch eine kulturelle Frage. Wenn die Globalisierung deterministisch
interpretiert wird, gehen die Kriterien für ihre Bewertung und ihre Ausrichtung
verloren. Sie ist eine menschliche Realität, hinter der verschiedene kulturelle
Ausrichtungen stehen können, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Die
Wahrheit des Globalisierungsprozesses und sein grundlegendes ethisches
Kriterium sind in der Einheit der Menschheitsfamilie und in ihrem
Voranschreiten im Guten gegeben. Es ist daher ein unablässiger Einsatz zur Förderung
einer personalistischen und gemeinschaftlichen sowie für die Transzendenz
offenen kulturellen Ausrichtung des globalen Integrationsprozesses
erforderlich.
Trotz einiger ihrer strukturell bedingten
Dimensionen, die nicht zu leugnen sind, aber auch nicht verabsolutiert werden
dürfen, ist »die Globalisierung a priori weder gut noch schlecht. Sie wird das
sein, was die Menschen aus ihr machen«.[104] Wir dürfen nicht Opfer sein, sondern müssen Gestalter werden, indem wir
mit Vernunft vorgehen und uns von der Liebe und von der Wahrheit leiten lassen.
Blinder Widerstand wäre eine falsche Haltung, ein Vorurteil, das schließlich
dazu führen würde, einen Prozeß zu verkennen, der auch viele positive Seiten hat,
und so Gefahr zu laufen, eine große Chance zu verpassen, an den vielfältigen
Entwicklungsmöglichkeiten teilzuhaben, die dieser bietet. Die angemessen
geplanten und ausgeführten Globalisierungsprozesse machen auf weltweiter Ebene
eine noch nie dagewesene große Neuverteilung des Reichtums möglich; wenn diese
Prozesse jedoch schlecht geführt werden, können sie hingegen zu einer Zunahme
der Armut und der Ungleichheit führen sowie mit einer Krise die ganze Welt
anstecken. Es ist nötig, die auch schweren Mängel dieser Prozesse zu beheben,
die neue Spaltungen zwischen den Völkern und innerhalb der Völker verursachen,
und dafür zu sorgen, daß die Umverteilung des Reichtums nicht mittels einer
Umverteilung der Armut erfolgt oder diese sogar noch zunimmt, wie es ein
schlechter Umgang mit der gegenwärtigen Lage befürchten lassen könnte. Lange
Zeit dachte man, daß die armen Völker in einem im voraus festgelegten
Entwicklungsstadium verbleiben und sich mit der Philanthropie der entwickelten
Völker begnügen müßten. Gegen diese Mentalität hat Papst Paul VI. in der Enzyklika Populorum progressio
Stellung bezogen. Heute sind die zur Verfügung stehenden materiellen
Möglichkeiten, um diesen Völkern aus der Armut herauszuhelfen, potentiell
größer als früher, aber sie wurden hauptsächlich von den entwickelten Völkern
selbst in Beschlag genommen, die sich den Prozeß der Liberalisierung des
Finanz- und Arbeitskräfteverkehrs besser zunutze machen konnten. Die weltweite
Ausbreitung des Wohlstands darf daher nicht durch egoistische,
protektionistische und von Einzelinteressen geleitete Projekte gebremst werden.
Die Einbeziehung der Schwellen- und Entwicklungsländer ermöglicht heute einen
besseren Umgang mit der Krise. Die zum Globalisierungsprozeß gehörende
Veränderung bringt große Schwierigkeiten und Gefahren mit sich, die nur dann
überwunden werden können, wenn man sich der anthropologischen und ethischen
Seele bewußt wird, die aus der Tiefe die Globalisierung selbst in Richtung
einer solidarischen Humanisierung führt. Leider ist diese Seele oft verschüttet
und wird von individualistisch und utilitaristisch geprägten
ethisch-kulturellen Sichtweisen unterdrückt. Die Globalisierung ist ein
vielschichtiges und polyvalentes Phänomen, das in der Verschiedenheit und in
der Einheit all seiner Dimensionen – einschließlich der theologischen – erfaßt
werden muß. Dies wird es erlauben, die Globalisierung der Menschheit im Sinne
von Beziehung, Gemeinschaft und Teilhabe zu leben und auszurichten.
VIERTES
KAPITEL
ENTWICKLUNG
DER VÖLKER, RECHTE UND PFLICHTEN, UMWELT
43. »Die Solidarität aller, die etwas Wirkliches
ist, bringt für uns nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Pflichten«.[105] Viele Menschen neigen heute zu der Anmaßung, niemandem etwas schuldig zu
sein außer sich selbst. Sie meinen, nur Rechte zu besitzen, und haben oft große
Schwierigkeiten, eine Verantwortung für ihre eigene und die ganzheitliche
Entwicklung des anderen reifen zu lassen. Es ist deshalb wichtig, eine neue
Reflexion darüber anzuregen, daß die Rechte Pflichten voraussetzen, ohne die
sie zur Willkür werden.[106] Wir erleben heutzutage einen bedrückenden Widerspruch. Während man einerseits
mutmaßliche Rechte willkürlicher und genießerischer Art unter dem Vorwand
beansprucht, sie würden von den staatlichen Strukturen anerkannt und gefördert,
werden andererseits einem großen Teil der Menschheit elementare Grundrechte
aberkannt und verletzt.[107] Häufig festzustellen ist ein Zusammenhang zwischen der Beanspruchung des
Rechts auf Überfluß oder geradezu auf Rechtswidrigkeit und Laster in den
Wohlstandgesellschaften und dem Mangel an Nahrung, Trinkwasser, Schulbildung
oder medizinischer Grundversorgung in manchen unterentwickelten Weltregionen
wie auch am Rande von großen Metropolen. Der Zusammenhang beruht darauf, daß
die Individualrechte, wenn sie von einem sinngebenden Rahmen von Pflichten
losgelöst sind, verrückt werden und eine praktisch grenzenlose und alle
Kriterien entbehrende Spirale von Ansprüchen auslösen. Die Übertreibung der
Rechte mündet in die Unterlassung der Pflichten. Die Pflichten grenzen die
Rechte ein, weil sie sie auf den anthropologischen und ethischen Rahmen
verweisen, in dessen Wahrheit sich auch diese letzteren einfügen und daher
nicht zur Willkür werden. Die Pflichten stärken demnach die Rechte und bieten
deren Verteidigung und Förderung als eine Aufgabe im Dienst des Guten an. Wenn
hingegen die Rechte des Menschen ihr Fundament allein in den Beschlüssen einer
Bürgerversammlung finden, können sie jederzeit geändert werden, und daher läßt
die Pflicht, sie zu achten und einzuhalten, im allgemeinen Bewußtsein nach. Die
Regierungen und internationalen Organismen können da die Objektivität und
»Unverfügbarkeit« der Rechte außer Acht lassen. Wenn das geschieht, ist die
echte Entwicklung der Völker gefährdet.[108] Derartige Einstellungen kompromittieren das Ansehen der internationalen
Organismen vor allem in den Augen der am meisten entwicklungsbedürftigen
Länder. Diese fordern nämlich, daß die internationale Gemeinschaft es als eine
Pflicht übernimmt, ihnen zu helfen, »Baumeister ihres Schicksals«[109] zu sein, das heißt ihrerseits Pflichten zu übernehmen. Das Teilen der
wechselseitigen Pflichten mobilisiert viel stärker als die bloße Beanspruchung
von Rechten.
44. Die Auffassung von den Rechten und Pflichten
in der Entwicklung muß auch den Problemkreis im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum
berücksichtigen. Es handelt sich um einen sehr wichtigen Aspekt der echten
Entwicklung, weil er die unverzichtbaren Werte des Lebens und der Familie
betrifft.[110] In der Bevölkerungszunahme die Hauptursache der Unterentwicklung zu sehen,
ist – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – unkorrekt. Man braucht nur einerseits
an den bedeutenden Rückgang der Kindersterblichkeit und die Verlängerung des
durchschnittlichen Lebensalters in neuen wirtschaftlich entwickelten Ländern zu
denken und andererseits an die deutlichen Zeichen einer Krise in solchen
Gesellschaften, die einen beunruhigenden Geburtenrückgang verzeichnen. Die
Kirche, der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen liegt, empfiehlt ihm
die umfassende Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch für den Umgang
mit der Sexualität: Man kann sie nicht auf eine lediglich hedonistische und
spielerische Handlung reduzieren, so wie man die Sexualerziehung nicht auf eine
technische Anleitung reduzieren kann, deren einzige Sorge es ist, die
Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder vor dem »Risiko« der
Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und Mißachtung der tiefen
Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch sowohl von der einzelnen
Person wie von der Gemeinschaft anerkannt und verantwortungsvoll angenommen
werden soll. Die Verantwortung verbietet es nämlich ebenso, die Sexualität
lediglich als Lustquelle zu betrachten, wie sie in politische Maßnahmen einer
erzwungenen Geburtenplanung einzubeziehen. In beiden Fällen steht man vor
materialistischen Auffassungen und deren politischen Umsetzungen, in denen die
Menschen schließlich verschiedene Formen von Gewalt erleiden. All dem muß man
in diesem Bereich die vorrangige Zuständigkeit der Familien[111] gegenüber dem Staat und seinen restriktiven politischen Maßnahmen sowie
eine entsprechende Erziehung der Eltern entgegensetzen.
Die moralisch verantwortungsvolle Offenheit für
das Leben ist ein sozialer und wirtschaftlicher Reichtum. Große Nationen haben auch dank der großen
Zahl und der Fähigkeiten ihrer Einwohner aus dem Elend herausfinden können.
Umgekehrt erleben einst blühende Nationen jetzt wegen des Geburtenrückgangs
eine Phase der Unsicherheit und in manchen Fällen sogar ihres Niedergangs – ein
entscheidendes Problem gerade für die Wohlstandsgesellschaften. Der
Geburtenrückgang, der die Bevölkerungszahl manchmal unter den kritischen
demographischen Wert sinken läßt, stürzt auch die Sozialhilfesysteme in die
Krise, führt zur Erhöhung der Kosten, schränkt die Rückstellung von
Ersparnissen und in der Folge die für die Investitionen nötigen finanziellen
Ressourcen ein, reduziert die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und
verringert das Reservoir der »Köpfe«, aus dem man für die Bedürfnisse der
Nation schöpfen muß. Außerdem laufen die kleinen, manchmal sehr kleinen
Familien Gefahr, die sozialen Beziehungen zu vernachlässigen und keine
wirksamen Solidaritätsformen zu gewährleisten. Diese Situationen weisen die
Symptome eines geringen Vertrauens in die Zukunft sowie einer moralischen
Müdigkeit auf. Daher wird es zu einer sozialen und sogar ökonomischen
Notwendigkeit, den jungen Generationen wieder die Schönheit der Familie und der
Ehe vor Augen zu stellen sowie die Übereinstimmung dieser Einrichtungen mit den
tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der Würde des Menschen. In dieser
Hinsicht sind die Staaten dazu aufgerufen, politische Maßnahmen zu treffen,
die die zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe
zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und
Lebenszelle der Gesellschaft,[112] dadurch fördern, indem sie sich auch um deren wirtschaftliche und
finanzielle Probleme in Achtung vor ihrem auf Beziehung beruhenden Wesen
kümmern.
45. Antworten auf die tiefsten moralischen
Ansprüche des Menschen haben auch wichtige und wohltuende Auswirkungen auf
wirtschaftlicher Ebene. Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr korrektes
Funktionieren die Ethik; nicht irgendeine Ethik, sondern eine
menschenfreundliche Ethik. Heute spricht man viel von Ethik im Bereich der
Wirtschaft, der Finanzen und der Betriebe. Es entstehen Studienzentren und
Ausbildungsgänge für business ethics; in der Welt der hochentwickelten
Länder verbreitet sich im Gefolge der rund um die soziale Verantwortung des
Betriebs entstandenen Bewegung das System der ethischen Zertifikate. Die Banken
bieten sogenannte »ethische« Konten und Investitionsfonds an. Es entwickelt
sich ein »ethisches Finanzwesen«, vor allem durch den Kleinkredit und
allgemeiner die Mikrofinanzierung. Diese Entwicklungen rufen Anerkennung hervor
und verdienen eine breite Unterstützung. Ihre positiven Auswirkungen sind auch
in weniger entwickelten Zonen der Erde wahrzunehmen. Es ist jedoch gut, auch
ein gültiges Unterscheidungskriterium zu erarbeiten, da man eine gewisse
Abnützung des Adjektivs »ethisch« feststellt, das, wenn es allgemein gebraucht
wird, auch sehr verschiedene Inhalte bezeichnet. Das kann so weit gehen kann,
daß unter seinem Deckmantel Entscheidungen und Beschlüsse durchgehen, die der
Gerechtigkeit und dem wahren Wohl des Menschen widersprechen.
Viel hängt nämlich vom moralischen Bezugssystem
ab. Zu diesem Thema hat die Soziallehre der Kirche einen besonderen Beitrag zu
leisten, der sich auf die Erschaffung des Menschen »als Abbild Gottes« (Gen
1, 27) gründet, eine Tatsache, von der sich die unverletzliche Würde der
menschlichen Person ebenso herleitet wie der transzendente Wert der natürlichen
moralischen Normen. Eine Wirtschaftsethik, die von diesen beiden Säulen absähe,
würde unvermeidlich Gefahr laufen, ihre moralische Qualität zu verlieren und
sich instrumentalisieren zu lassen; genauer gesagt, sie würde riskieren, zu
einer Funktion für die bestehenden Wirtschafts- und Finanzsysteme zu werden,
statt zum Korrektiv ihrer Mißstände. Unter anderem würde sie schließlich auch
die Finanzierung von ethisch nicht vertretbaren Projekten rechtfertigen. Ferner
soll das Wort »ethisch« nicht in ideologisch diskriminierender Weise angewandt
werden, indem man damit zu verstehen gibt, daß die Initiativen, die sich nicht
formell mit dieser Bezeichnung zieren, nicht ethisch seien. Man muß sich nicht
nur darum bemühen – die Bemerkung ist hier wesentlich! – , daß »ethische«
Sektoren und Bereiche der Ökonomie oder des Finanzwesens entstehen, sondern daß
die gesamte Wirtschaft und das gesamte Finanzwesen ethisch sind und das nicht
nur durch eine äußerliche Etikettierung, sondern aus Achtung vor den ihrer
Natur selbst wesenseigenen Ansprüchen. Diesbezüglich spricht die jüngste
Soziallehre der Kirche mit aller Klarheit, wenn sie daran erinnert, daß die
Wirtschaft mit allen ihren Zweigen ein Teilbereich des vielfältigen
menschlichen Tuns ist.[113]
46. Betrachtet man die mit der Beziehung
zwischen Unternehmen und Ethik befaßten Themenbereiche sowie die
Entwicklung, die das Produktionssystem durchmacht, so scheint es, daß die
bisher allgemein verbreitete Unterscheidung zwischen gewinnorientierten (profit)
Unternehmen und nicht gewinnorientierten (non profit) Organisationen
nicht mehr imstande ist, über die tatsächliche Situation vollständig
Rechenschaft zu geben oder zukünftige Entwicklungen effektiv zu gestalten. In
diesen letzten Jahrzehnten ist ein großer Zwischenbereich zwischen den beiden
Unternehmenstypologien entstanden. Er besteht aus traditionellen Unternehmen,
die allerdings Hilfsabkommen für rückständige Länder unterzeichneten; aus
Unternehmensgruppen, die Ziele mit sozialem Nutzen verfolgen; aus der bunten
Welt der Vertreter der sogenannten öffentlichen und Gemeinschaftswirtschaft. Es
handelt sich nicht nur um einen »dritten Sektor«, sondern um eine neue
umfangreiche zusammengesetzte Wirklichkeit, die das Private und das Öffentliche
einbezieht und den Gewinn nicht ausschließt, ihn aber als Mittel für die
Verwirklichung humaner und sozialer Ziele betrachtet. Die Tatsache, daß diese
Unternehmen die Gewinne nicht verteilen oder daß sie die eine oder andere von
den Rechtsnormen vorgesehene Struktur haben, wird nebensächlich angesichts
ihrer Bereitschaft, den Gewinn als ein Mittel zu begreifen, um eine
Humanisierung des Marktes und der Gesellschaft zu erreichen. Es ist zu
wünschen, daß diese neuen Unternehmensformen in allen Ländern auch eine
entsprechende rechtliche und steuerliche Gestalt finden. Ohne den herkömmlichen
Unternehmensformen etwas von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und Nützlichkeit
zu nehmen, bewirken die neuen Formen, daß sich das System zu einer klareren und
vollkommeneren Übernahme der Verpflichtungen seitens der Wirtschaftsvertreter entwickelt.
Nicht nur das. Gerade die Vielfalt der institutionellen Unternehmensformen
sollte einen humaneren und zugleich wettbewerbsfähigeren Markt hervorbringen.
47. Die Vermehrung der verschiedenen
Unternehmenstypologien und besonders derjenigen, die dazu fähig sind, den
Gewinn als ein Mittel zu begreifen, um den Zweck der Humanisierung des Marktes
und der Gesellschaften zu erreichen, muß auch in den Ländern verfolgt werden,
die unter Ausschluß oder Ausgrenzung aus den globalen Wirtschaftskreisläufen
leiden. Dort ist es sehr wichtig, mit Projekten angemessen konzipierter und
verwalteter Subsidiarität voranzukommen, die vor allem die Rechte zu stärken
trachten, wobei jedoch immer auch die Übernahme entsprechender
Verantwortlichkeiten vorgesehen ist. In den Beiträgen zur Entwicklung
muß das Prinzip der zentralen Stellung der menschlichen Person
sichergestellt sein, die das Subjekt ist, das in erster Linie die Verpflichtung
zur Entwicklung auf sich nehmen muß. Das Hauptinteresse gilt der Verbesserung
der Lebenssituationen der konkreten Menschen in einer bestimmten Region, damit
sie jenen Verpflichtungen nachkommen können, deren Erfüllung ihnen ihre
derzeitige Notlage unmöglich macht. Die Sorge kann niemals eine abstrakte
Haltung sein. Um an die einzelnen Situationen angepaßt werden zu können, müssen
die Entwicklungsprogramme von Flexibilität gekennzeichnet sein; und die
Empfänger der Hilfe sollten direkt in die Planung der Projekte einbezogen und
zu Hauptakteuren ihrer Umsetzung werden. Ebenso ist es notwendig, die Kriterien
eines stufenweisen und begleitenden Fortschreitens – einschließlich der
laufenden Kontrolle der Ergebnisse – anzuwenden, da es keine universal gültigen
Rezepte gibt. Viel hängt von der konkreten Durchführung der Interventionen ab.
»Weil die Völker die Baumeister ihres eigenen Fortschritts sind, müssen sie
selbst auch an erster Stelle die Last und Verantwortung dafür tragen. Aber sie
werden es nicht schaffen, wenn sie gegenseitig isoliert bleiben«.[114] Angesichts der Konsolidierung des Prozesses der fortschreitenden
Integration der Erde hat diese Mahnung Papst Pauls VI. heute noch größere Gültigkeit. Die
Dynamik der Einbeziehung hat nichts Mechanisches an sich. Die Lösungen müssen
auf der Grundlage einer behutsamen Einschätzung der Situation genau auf das
Leben der Völker und konkreten Personen zugeschnitten werden. Neben den
Großprojekten braucht es die kleinen Projekte und vor allem die tatkräftige
Mobilisierung aller Angehörigen der Zivilgesellschaft, sowohl der juristischen
wie der physischen Personen.
Die internationale Zusammenarbeit benötigt
Personen, die den wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklungsprozeß durch
die Solidarität ihrer Präsenz, der Begleitung, der Ausbildung und des Respekts
teilen. Unter diesem Gesichtspunkt müßten sich die internationalen Organismen
selbst nach der tatsächlichen Wirksamkeit ihrer oft viel zu kostspieligen
bürokratischen Verwaltungsapparate fragen. Es kommt mitunter vor, daß der
Hilfeempfänger zu einem Mittel für den Helfer wird und die Armen dazu dienen,
aufwendige bürokratische Organisationen aufrecht zu erhalten, die für ihren
eigenen Bestand allzu hohe Beträge aus jenen Ressourcen für sich behalten, die
eigentlich für die Entwicklung bestimmt sein sollten. Aus dieser Sicht wäre es
wünschenswert, daß sich alle internationalen Organismen und die
Nichtregierungsorganisationen zu einer größeren Transparenz verpflichteten,
indem sie die Spender sowie die öffentliche Meinung über den prozentualen
Anteil der erhaltenen Gelder, der für die Programme der Zusammenarbeit bestimmt
ist, über den tatsächlichen Inhalt solcher Programme und schließlich über die
Zusammensetzung der Ausgaben der Einrichtung selbst informieren.
48. Das Thema Entwicklung ist heute stark an die
Verpflichtungen gebunden, die aus der Beziehung des Menschen zur natürlichen
Umwelt entstehen. Diese Beziehung wurde allen von Gott geschenkt. Der
Umgang mit ihr stellt für uns eine Verantwortung gegenüber den Armen, den
künftigen Generationen und der ganzen Menschheit dar. Wenn die Natur und allen
voran der Mensch als Frucht des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus
angesehen werden, wird das Verantwortungsbewußtsein in den Gewissen schwächer.
Der Gläubige erkennt hingegen in der Natur das wunderbare Werk des
schöpferischen Eingreifens Gottes, das der Mensch verantwortlich gebrauchen
darf, um in Achtung vor der inneren Ausgewogenheit der Schöpfung selbst seine
berechtigten materiellen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn diese
Auffassung schwindet, wird am Ende der Mensch die Natur entweder als ein
unantastbares Tabu betrachten oder, im Gegenteil, sie ausbeuten. Beide
Haltungen entsprechen nicht der christlichen Anschauung der Natur, die Frucht
der Schöpfung Gottes ist.
Die Natur ist Ausdruck eines Plans der Liebe und
der Wahrheit. Sie geht
uns voraus und wird uns von Gott als Lebensraum geschenkt. Sie spricht zu uns
vom Schöpfer (vgl. Röm 1, 20) und von seiner Liebe zu den Menschen. Sie
ist dazu bestimmt, am Ende der Zeiten in Christus »vereint zu werden« (vgl. Eph
1, 9-10; Kol 1, 19-20). Auch sie ist also eine »Berufung«.[115] Die Natur steht uns nicht als »ein Haufen zufällig verstreuter Abfälle«[116] zur Verfügung, sondern als eine Gabe des Schöpfers, der die ihr
innewohnenden Ordnungen gezeichnet hat, damit der Mensch daraus die gebotenen
Aufschlüsse bezieht, »damit er [sie] bebaue und hüte« (Gen 2, 15). Aber
es muß auch betont werden, daß es der wahren Entwicklung widerspricht, die
Natur für wichtiger zu halten als die menschliche Person. Diese Einstellung
verleitet zu neu-heidnischen Haltungen oder einem neuen Pantheismus: Aus der in
einem rein naturalistischen Sinn verstandenen Natur allein kann man nicht das
Heil für den Menschen ableiten. Allerdings muß man auch die gegenteilige Position
zurückweisen, die eine vollständige Technisierung der Natur anstrebt, weil das
natürliche Umfeld nicht nur Materie ist, über die wir nach unserem Belieben
verfügen können, sondern wunderbares Werk des Schöpfers, das eine „Grammatik“
in sich trägt, die Zwecke und Kriterien für eine weise, nicht funktionelle und
willkürliche Nutzung angibt. Viele Schäden für die Entwicklung rühren heute aus
diesen verzerrten Auffassungen her. Die Natur vollständig auf eine Menge
einfacher Gegebenheiten zu verkürzen, erweist sich schließlich als Quelle der
Gewalt gegenüber der Umwelt und motiviert zu respektlosen Handlungen gegenüber
der Natur des Menschen. Da diese nicht nur aus Materie, sondern auch aus Geist
besteht und als solche reich an Bedeutungen und zu erreichenden transzendenten
Zielen ist, hat sie auch einen normativen Charakter für die Kultur. Der Mensch
deutet und bildet die natürliche Umwelt durch die Kultur nach, die ihrerseits
durch die verantwortliche, auf die Gebote des Sittengesetzes achtende Freiheit
bestimmt wird. Die Projekte für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung
dürfen daher die nachfolgenden Generationen nicht ignorieren, sondern müssen
zur Solidarität und Gerechtigkeit zwischen den Generationen bereit sein,
indem sie den vielfältigen Bereichen – dem ökologischen, juristischen,
ökonomischen, politischen und kulturellen – Rechnung tragen.[117]
49. Die mit der Sorge und dem Schutz für die
Umwelt zusammenhängenden Fragen müssen heute der Energieproblematik
entsprechende Beachtung schenken. Das Aufkaufen der nicht erneuerbaren
Energiequellen durch einige Staaten, einflußreiche Gruppen und Unternehmen
stellt nämlich ein schwerwiegendes Hindernis für die Entwicklung der armen
Länder dar. Diese verfügen weder über die ökonomischen Mittel, um sich Zugang
zu den bestehenden nicht erneuerbaren Energiequellen zu verschaffen, noch
können sie die Suche nach neuen und alternativen Quellen finanzieren. Das
Aufkaufen der natürlichen Ressourcen, die sich in vielen Fällen gerade in den
armen Ländern befinden, führt zu Ausbeutung und häufigen Konflikten zwischen
den Nationen und auch innerhalb der Länder selbst. Solche Konflikte werden
häufig gerade auf dem Boden dieser Länder ausgetragen, mit einer bedrückenden
Schlußbilanz von Tod, Zerstörung und weiterem Niedergang. Die internationale
Gemeinschaft hat die unumgängliche Aufgabe, die institutionellen Wege zu
finden, um der Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen Einhalt zu
gebieten, und das auch unter Einbeziehung der armen Länder, um mit ihnen
gemeinsam die Zukunft zu planen.
Auch an dieser Front besteht die dringende
moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität, besonders in den
Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern und den hochindustrialisierten
Ländern.[118] Die technologisch fortschrittlichen Gesellschaften können und müssen ihren
Energieverbrauch verringern, weil die Produktion in der verarbeitenden
Industrie sich weiter entwickelt, aber auch weil sich unter ihren Bürgern eine
größere Sensibilität für die Umwelt verbreitet. Man muß außerdem hinzufügen,
daß heute eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Energie realisierbar und
es gleichzeitig möglich ist, die Suche nach alternativen Energien
voranzutreiben. Es ist jedoch auch eine weltweite Neuverteilung der
Energiereserven notwendig, so daß auch die Länder, die über keine eigenen
Quellen verfügen, dort Zugang erhalten können. Ihr Schicksal darf nicht den
Händen des zuerst Angekommenen oder der Logik des Stärkeren überlassen werden.
Es handelt sich um beachtliche Probleme, die, wenn sie in entsprechender Weise
angegangen werden sollen, von seiten aller die verantwortungsvolle
Bewußtwerdung der Folgen verlangen, die über die neuen Generationen
hereinbrechen werden, vor allem über die sehr vielen Jugendlichen in den armen
Völkern, die »ihren Anteil am Aufbau einer besseren Welt fordern«.[119]
50. Diese Verantwortung ist global, weil sie nicht
nur die Energie, sondern die ganze Schöpfung betrifft, die wir den neuen
Generationen nicht ausgebeutet hinterlassen dürfen. Es ist dem Menschen
gestattet, eine verantwortungsvolle Steuerung über die Natur auszuüben,
um sie zu schützen, zu nutzen und auch in neuen Formen und mit
fortschrittlichen Technologien zu kultivieren, so daß sie die Bevölkerung, die
sie bewohnt, würdig aufnehmen und ernähren kann. Es gibt Platz für alle auf
dieser unserer Erde: Auf ihr soll die ganze Menschheitsfamilie die notwendigen
Ressourcen finden, um mit Hilfe der Natur selbst, dem Geschenk Gottes an seine
Kinder, und mit dem Einsatz ihrer Arbeit und ihrer Erfindungsgabe würdig zu
leben. Wir müssen jedoch auf die sehr ernste Verpflichtung hinweisen, die Erde
den neuen Generationen in einem Zustand zu übergeben, so daß auch sie würdig
auf ihr leben und sie weiter kultivieren können. Das schließt ein, »es sich zur
Pflicht zu machen, nach verantwortungsbewußter Abwägung gemeinsam zu
entscheiden, welcher Weg einzuschlagen ist, mit dem Ziel, jenen Bund
zwischen Mensch und Umwelt zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe
Gottes sein soll – des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir
unterwegs sind«.[120] Man kann nur wünschen, daß die internationale Gemeinschaft und die einzelnen
Regierungen es wirksam verhindern können, daß die Umwelt zu ihrem Schaden
ausgenutzt wird. Es ist ebenso erforderlich, daß die zuständigen Autoritäten
alle nötigen Anstrengungen unternehmen, damit die wirtschaftlichen und sozialen
Kosten für die Benutzung der allgemeinen Umweltressourcen offen dargelegt sowie
von den Nutznießern voll getragen werden und nicht von anderen Völkern oder
zukünftigen Generationen: Der Schutz der Umwelt, der Ressourcen und des Klimas
erfordert, daß alle auf internationaler Ebene Verantwortlichen gemeinsam
handeln und bereit sind, in gutem Glauben, dem Gesetz entsprechend und in
Solidarität mit den schwächsten Regionen unseres Planeten zu arbeiten.[121] Eine der größten Aufgaben der Ökonomie ist gerade der äußerst effiziente
Gebrauch der Ressourcen, nicht die Verschwendung, wobei man sich bewußt sein
muß, daß der Begriff der Effizienz nicht wertneutral ist.
51. Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch
die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich
selbst behandelt, und umgekehrt. Das fordert die heutige Gesellschaft dazu
heraus, ernsthaft ihren Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt
zum Hedonismus und Konsumismus neigt und gegenüber den daraus entstehenden
Schäden gleichgültig bleibt.[122] Notwendig ist ein tatsächlicher Gesinnungswandel, der uns dazu anhält, neue
Lebensweisen anzunehmen, »in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und
Guten und die Gemeinschaft mit den anderen Menschen für ein gemeinsames
Wachstum die Elemente sein sollen, die die Entscheidungen für Konsum, Sparen
und Investitionen bestimmen«.[123] Jede Verletzung der bürgerlichen Solidarität und Freundschaft ruft
Umweltschäden hervor, so wie die Umweltschäden ihrerseits Unzufriedenheit in
den sozialen Beziehungen auslösen. Die Natur ist besonders in unserer Zeit so
sehr in die Dynamik der sozialen und kulturellen Abläufe integriert, daß sie
fast keine unabhängige Variable mehr darstellt. Die fortschreitende
Wüstenbildung und die Verelendung mancher Agrargebiete sind auch Ergebnis der
Verarmung der dort wohnenden Bevölkerungen und der Rückständigkeit. Durch die
Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung jener Bevölkerungen
schützt man auch die Natur. Wie viele natürliche Ressourcen werden zudem durch
Kriege zerstört! Der Friede der Völker und zwischen den Völkern würde auch
einen größeren Schutz der Natur erlauben. Das Aufkaufen der Ressourcen,
besonders des Wassers, kann schwere Konflikte unter der betroffenen Bevölkerung
hervorrufen. Ein friedliches Einvernehmen über die Nutzung der Ressourcen kann
die Natur und zugleich das Wohlergehen der betroffenen Gesellschaften schützen.
Die Kirche hat eine Verantwortung für die
Schöpfung und muß
diese Verantwortung auch öffentlich geltend machen. Und wenn sie das tut, muß
sie nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Gaben der Schöpfung
verteidigen, die allen gehören. Sie muß vor allem den Menschen gegen seine
Selbstzerstörung schützen. Es muß so etwas wie eine richtig verstandene
Ökologie des Menschen geben. Die Beschädigung der Natur hängt nämlich eng mit
der Kultur zusammen, die das menschliche Zusammenleben gestaltet. Wenn in
der Gesellschaft die »Humanökologie«[124] respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie. Wie die menschlichen Tugenden
miteinander verbunden sind, so daß die Schwächung einer Tugend auch die anderen
gefährdet, so stützt sich das ökologische System auf die Einhaltung eines
Planes, der sowohl das gesunde Zusammenleben in der Gesellschaft wie das gute
Verhältnis zur Natur betrifft.
Um die Natur zu schützen, genügt es nicht, mit
anspornenden oder einschränkenden Maßnahmen einzugreifen, und auch eine
entsprechende Anleitung reicht nicht aus. Das sind wichtige Hilfsmittel, aber das
entscheidende Problem ist das moralische Verhalten der Gesellschaft. Wenn
das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn
Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg
erfolgen, wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet
schließlich der Begriff Humanökologie und mit ihm der Begriff der
Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewußtsein. Es ist ein Widerspruch, von den
neuen Generationen die Achtung der natürlichen Umwelt zu verlangen, wenn
Erziehung und Gesetze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten. Das Buch der
Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und
der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der
ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber der Umwelt
verbinden sich mit den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in
Beziehung zu den anderen haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und
die anderen unterdrücken. Das ist ein schwerwiegender Widerspruch der heutigen
Mentalität und Praxis, der den Menschen demütigt, die Umwelt erschüttert und
die Gesellschaft beschädigt.
52. Die Wahrheit und die Liebe, die sie
erschließt, lassen sich nicht produzieren, man kann sie nur empfangen. Ihre
letzte Quelle ist nicht und kann nicht der Mensch sein, sondern Gott, das heißt
Er, der Wahrheit und Liebe ist. Dieses Prinzip ist sehr wichtig für die Gesellschaft
und für die Entwicklung, da weder die eine noch die andere lediglich
menschliche Produkte sein können; ebenso gründet sich die Berufung zur
Entwicklung der Menschen und der Völker nicht auf eine lediglich menschliche
Entscheidung, sondern sie ist in einen Plan eingeschrieben, der uns vorausgeht
und für uns alle eine Pflicht darstellt, die freiwillig angenommen werden muß.
Das, was uns vorausgeht, und das, was uns konstituiert – die Liebe und die
Wahrheit –, zeigt uns, was das Gute ist und worin unser Glück besteht. Es
zeigt uns somit den Weg zur wahren Entwicklung.
FÜNFTES
KAPITEL
DIE
ZUSAMMENARBEIT DER MENSCHHEITSFAMILIE
53. Eine der schlimmsten Arten von Armut, die der
Mensch erfahren kann, ist die Einsamkeit. Genau betrachtet haben auch die anderen
Arten von Armut, einschließlich der materiellen Armut, ihren Ursprung in der
Isolation, im Nicht-geliebt-Sein oder in der Schwierigkeit zu lieben. Oft
entstehen die Arten der Armut aus der Zurückweisung der Liebe Gottes, aus einem
ursprünglichen tragischen Verschließen des Menschen in sich selbst, der meint,
sich selbst genügen zu können oder nur eine unbedeutende und vorübergehende
Erscheinung, ein »Fremder« in einem zufällig gebildeten Universum zu sein. Der
Mensch ist entfremdet, wenn er allein ist oder sich von der Wirklichkeit
ablöst, wenn er darauf verzichtet, an ein Fundament zu denken und zu glauben.[125] Die Menschheit insgesamt ist entfremdet, wenn sie sich bloß menschlichen
Plänen, Ideologien und falschen Utopien verschreibt.[126] Heute erscheint die Menschheit interaktiver als gestern: Diese größere
Nähe muß zu echter Gemeinschaft werden. Die Entwicklung der Völker hängt vor
allem davon ab, sich als eine einzige Familie zu erkennen, die in einer echten
Gemeinschaft zusammenarbeitet und von Subjekten gebildet wird, die nicht
einfach nebeneinander leben.[127]
Papst Paul VI. bemerkte, daß »die Welt krank ist, weil ihr
Gedanken fehlen«.[128] Diese Aussage enthält eine Feststellung, vor allem aber einen Wunsch: Es
bedarf eines neuen Schwungs des Denkens, um die Implikationen unseres Familieseins
besser zu verstehen; die wechselseitigen Unternehmungen der Völker dieser Erde
fordern uns zu diesem Schwung auf, damit die Integration im Zeichen der
Solidarität[129] und nicht der Verdrängung vollzogen wird. Ein solches Denken verpflichtet
auch zu einer kritischen und beurteilenden Vertiefung der Kategorie der Beziehung.
Es handelt sich um eine Aufgabe, die nicht von den Sozialwissenschaften allein
durchgeführt werden kann, insofern sie den Beitrag von Wissen wie Metaphysik
und Theologie verlangt, um die transzendente Würde des Menschen klar zu
begreifen.
Der Mensch als Geschöpf von geistiger Natur
verwirklicht sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Je echter er diese
lebt, desto mehr reift auch seine eigene persönliche Identität. Nicht durch
Absonderung bringt sich der Mensch selber zur Geltung, sondern wenn er sich in
Beziehung zu den anderen und zu Gott setzt. Die Bedeutung solcher Beziehungen
wird also grundlegend. Dies gilt auch für die Völker. Ihrer Entwicklung ist
daher eine metaphysische Sicht der Beziehung zwischen den Personen sehr
zuträglich. Diesbezüglich findet die Vernunft Anregung und Orientierung in der
christlichen Offenbarung. Gemäß dieser wird die Person nicht durch die
Gemeinschaft der Menschen absorbiert, beziehungsweise ihre Autonomie zunichte
gemacht, wie es in den verschiedenen Formen des Totalitarismus geschieht.
Vielmehr bringt die Gemeinschaft im christlichen Denken die Person weiter zur
Geltung, da die Beziehung zwischen Person und Gemeinschaft der eines Ganzen
gegenüber einem anderen Ganzen entspricht.[130] Wie die Gemeinschaft der Familie in sich die Personen, die sie bilden,
nicht auflöst und wie die Kirche selbst die »neue Schöpfung« (vgl. Gal
6, 15; 2 Kor 5, 17), die durch die Taufe ihrem Leib eingegliedert wird,
voll hervorhebt, so löst auch die Einheit der Menschheitsfamilie in sich die
Personen, Völker und Kulturen nicht auf, sondern macht sie füreinander
transparenter und vereint sie stärker in ihrer legitimen Vielfalt.
54. Das Thema der Entwicklung der Völker fällt mit
dem der Einbeziehung aller Personen und Völker in die eine Gemeinschaft der
Menschheitsfamilie zusammen, die auf der Basis der Grundwerte der Gerechtigkeit
und des Friedens in Solidarität gebildet wird. Diese Sicht findet von der
Beziehung der Personen der Dreifaltigkeit in dem einen Göttlichen Wesen her
eine klare Erhellung. Die Dreifaltigkeit ist völlige Einheit, insofern die drei
Göttlichen Personen reine Beziehung sind. Die gegenseitige Transparenz zwischen
den Göttlichen Personen ist völlig und die Verbindung untereinander vollkommen,
denn sie bilden eine absolute Einheit und Einzigkeit. Gott will auch uns in
diese Wirklichkeit der Gemeinschaft aufnehmen: »denn sie sollen eins sein, wie
wir eins sind« (Joh 17, 22). Die Kirche ist Zeichen und Werkzeug dieser
Einheit.[131] Auch die Beziehungen zwischen Menschen in der Geschichte können nur Nutzen
aus dem Bezug auf dieses göttliche Modell ziehen. Insbesondere im Licht des
offenbarten Geheimnisses der Dreifaltigkeit versteht man, daß eine echte
Öffnung nicht zentrifugale Zerstreuung bedeutet, sondern tiefe Durchdringung.
Dies ergibt sich auch aus der gemeinsamen menschlichen Erfahrung der Liebe und
der Wahrheit. Wie die sakramentale Liebe die Eheleute geistig als »ein Fleisch«
(Gen 2, 24; Mt 19, 5; Eph 5, 31) verbindet und aus den
zweien eine echte Einheit in der Beziehung macht, verbindet auf analoge Weise
die Wahrheit die Vernunftwesen untereinander und läßt sie im Einklang denken,
indem sie sie anzieht und in sich vereint.
55. Die christliche Offenbarung über die Einheit
des Menschengeschlechts setzt eine metaphysische Interpretation des humanum voraus,
in dem die Fähigkeit zur Beziehung ein wesentliches Element darstellt. Auch
andere Kulturen und Religionen lehren Brüderlichkeit und Frieden und sind daher
für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen von großer Bedeutung. Es fehlen
aber nicht religiöse und kulturelle Haltungen, in denen das Prinzip der Liebe
und der Wahrheit nicht vollständig angenommen und am Ende so die echte
menschliche Entwicklung gebremst oder sogar behindert wird. Die Welt von heute
ist von einigen Kulturen mit religiösem Hintergrund durchzogen, die den
Menschen nicht zur Gemeinschaft verpflichten, sondern ihn auf der Suche nach
dem individuellen Wohl isolieren, indem sie sich darauf beschränken,
psychologische Erwartungen zu befriedigen. Auch eine gewisse Verbreitung von
religiösen Wegen kleiner Gruppen oder sogar einzelner Personen und der
religiöse Synkretismus können Faktoren einer Zerstreuung und eines Mangels an
Engagement sein. Ein möglicher negativer Effekt des Globalisierungsprozesses
ist die Tendenz, solchen Synkretismus zu begünstigen[132] und dabei Formen von „Religionen“ zu nähren, die die Menschen einander
entfremden, anstatt sie einander begegnen zu lassen, und sie von der
Wirklichkeit entfernen. Gleichzeitig bleiben mitunter kulturelle und religiöse
Vermächtnisse weiter bestehen, die die Gesellschaft in feste soziale Kasten
eingrenzen, in Formen von magischem Glauben, die die Würde der Person
mißachten, und in Haltungen der Unterwerfung unter okkulte Mächte. Auf dieser
Ebene ist es für die Liebe und die Wahrheit schwierig, sich zu behaupten, was
Schaden für die echte Entwicklung mit sich bringt.
Wenn es einerseits wahr ist, daß die Entwicklung
die Religionen und Kulturen der verschiedenen Völker braucht, ist es aus diesem
Grund andererseits ebenso wahr, daß eine angemessene Unterscheidung vonnöten
ist. Religionsfreiheit bedeutet nicht religiöse Gleichgültigkeit und bringt
nicht mit sich, daß alle Religionen gleich sind.[133] Die Unterscheidung hinsichtlich des Beitrags der Kulturen und Religionen
zum Aufbau der sozialen Gemeinschaft in der Achtung des Gemeinwohls ist vor
allem für den, der politische Gewalt ausübt, erforderlich. Solche
Unterscheidung muß sich auf das Kriterium der Liebe und der Wahrheit stützen.
Da die Entwicklung der Menschen und der Völker auf dem Spiel steht, wird sie
die Möglichkeit der Emanzipation und der Einbeziehung im Hinblick auf eine wirklich
universale Gemeinschaft der Menschen berücksichtigen. »Der ganze Mensch und
alle Menschen« sind das Kriterium, um auch die Kulturen und die Religionen zu
beurteilen. Das Christentum, die Religion des »Gottes, der ein menschliches
Angesicht hat«,[134] trägt in sich selbst ein solches Kriterium.
56. Die christliche Religion und die anderen
Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn Gott auch im
öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kulturellen, sozialen,
wirtschaftlichen und insbesondere politischen Aspekte Platz findet. Die
Soziallehre der Kirche ist entstanden, um dieses »Statut des Bürgerrechts«[135] der christlichen Religion geltend zu machen. Die Verweigerung des Rechts,
öffentlich die eigene Religion zu bekennen und dafür tätig zu sein, daß auch
das öffentliche Leben über die Wahrheiten des Glaubens unterrichtet wird,
bringt negative Folgen für die wahre Entwicklung mit sich. Der Ausschluß der
Religion vom öffentlichen Bereich wie andererseits der religiöse
Fundamentalismus behindern die Begegnung zwischen den Menschen und ihre
Zusammenarbeit für den Fortschritt der Menschheit. Das öffentliche Leben
verarmt an Motivationen, und die Politik nimmt ein unerträgliches und
aggressives Gesicht an. Die Menschenrechte laufen Gefahr nicht geachtet zu
werden, weil sie entweder ihres transzendenten Fundaments beraubt werden oder
weil die persönliche Freiheit nicht anerkannt wird. Im Laizismus und im Fundamentalismus
verliert man die Möglichkeit eines fruchtbaren Dialogs und einer
gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen Vernunft und religiösem Glauben. Die
Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt auch für
die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf. Die
Religion bedarf ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr
echtes menschliches Antlitz zu zeigen. Der Abbruch dieses Dialogs ist mit einem
schwer lastenden Preis für die Entwicklung der Menschheit verbunden.
57. Der fruchtbare Dialog zwischen Glaube und
Vernunft kann nur das Werk der sozialen Nächstenliebe wirksamer machen und
bildet den sachgemäßen Rahmen, um die brüderliche Zusammenarbeit zwischen
Gläubigen und Nichtgläubigen in der gemeinsamen Sicht, für die Gerechtigkeit
und den Frieden der Menschheit zu arbeiten, zu fördern. In der
Pastoralkonstitution Gaudium et spes sagten die Konzilsväter: »Es ist fast
einmütige Auffassung der Gläubigen und Nichtgläubigen, daß alles auf Erden auf
den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hinzuordnen ist«.[136] Für die Gläubigen ist die Welt nicht das Produkt des Zufalls noch der
Notwendigkeit, sondern eines Planes Gottes. Von daher kommt die Pflicht der Gläubigen,
ihre Bemühungen mit allen Menschen guten Willens – Angehörige anderer
Religionen oder Nichtgläubige – zu vereinen, damit unsere Welt wirklich dem
göttlichen Plan entspricht: als eine Familie unter dem Blick des Schöpfers zu
leben. Besonderes Zeichen der Liebe und Leitkriterium für die brüderliche
Zusammenarbeit von Gläubigen und Nichtgläubigen ist ganz sicher das Prinzip
der Subsidiarität,[137] Ausdruck der unveräußerlichen Freiheit des Menschen. Die Subsidiarität ist
vor allem eine Hilfe für die Person durch die Autonomie der mittleren Gruppen
und Verbände. Solche Hilfe wird geboten, wenn die Person und die sozialen
Subjekte es nicht aus eigener Kraft schaffen, und schließt immer
emanzipatorische Zielsetzungen ein, da sie die Freiheit und die Partizipation,
insofern sie Übernahme von Verantwortung ist, fördert. Die Subsidiarität achtet
die Würde der Person, in der sie ein Subjekt sieht, das immer imstande ist,
anderen etwas zu geben. Indem sie in der Gegenseitigkeit die innerste
Verfassung des Menschen anerkennt, ist die Subsidiarität das wirksamste
Gegenmittel zu jeder Form eines bevormundenden Sozialsystems. Sie kann sowohl
die vielfache Gliederung der Ebenen und daher der Vielfalt der Subjekte
erklären als auch ihre Koordinierung. Es handelt sich demnach um ein besonders
geeignetes Prinzip, um die Globalisierung zu lenken und sie auf eine echte
menschliche Entwicklung auszurichten. Um nicht eine gefährliche universale
Macht monokratischer Art ins Leben zu rufen, muß die Steuerung der
Globalisierung von subsidiärer Art sein, und zwar in mehrere Stufen und
verschiedene Ebenen gegliedert, da sie die Frage nach einem globalen Gemeingut
aufwirft, das zu verfolgen ist; eine solche Autorität muß aber auf subsidiäre
und polyarchische Art und Weise organisiert sein,[138] um die Freiheit nicht zu verletzen und sich konkret wirksam zu erweisen.
58. Das Prinzip der Subsidiarität muß in enger
Verbindung mit dem Prinzip der Solidarität gewahrt werden und umgekehrt. Denn
wenn die Subsidiarität ohne die Solidarität in einen sozialen Partikularismus
abrutscht, so ist ebenfalls wahr, daß die Solidarität ohne die Subsidiarität in
ein Sozialsystem abrutscht, daß den Bedürftigen erniedrigt. Diese Regel
allgemeiner Art muß ebenso sehr beachtet werden, wenn Fragen bezüglich
internationaler Entwicklungshilfen angegangen werden. Diese können jenseits der
Absichten der Geber mitunter ein Volk in einer Lage der Abhängigkeit halten
oder sogar Situationen von lokaler Herrschaft und Ausbeutung innerhalb des
Hilfeempfängerlandes begünstigen. Damit die Wirtschaftshilfen auch wirklich
solche sind, dürfen sie keine Hintergedanken verfolgen. Sie müssen unter
Miteinbeziehung nicht nur der Regierungen der betroffenen Länder geleistet
werden, sondern auch der örtlichen Wirtschaftstreibenden und der Kulturträger
der Zivilgesellschaft, einschließlich der örtlichen Kirchen. Die Hilfsprogramme
müssen in immer größerem Ausmaß die Merkmale von Programmen annehmen, die Ergänzung
und Partizipation von unten einbeziehen. Es ist nämlich wahr, daß in den
Ländern, die Entwicklungshilfe empfangen, die größte hervorzuhebende Ressource
der Reichtum an Menschen ist: Das ist das echte Kapital, das wachsen muß, um
den ärmsten Ländern eine wahre autonome Zukunft zu sichern. Es ist auch daran
zu erinnern, daß auf wirtschaftlichem Gebiet die Haupthilfe, derer die
Entwicklungsländer bedürfen, darin besteht, die schrittweise Eingliederung
ihrer Produkte auf den Weltmärkten zu erlauben und zu fördern und so ihre volle
Teilnahme am internationalen Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Zu oft haben in
der Vergangenheit die Hilfen dazu genützt, nur Nebenmärkte für die Produkte
dieser Länder zu schaffen. Dies ist oft vom Fehlen einer echten Nachfrage nach
diesen Produkten bedingt: Daher ist es notwendig, diesen Ländern zu helfen,
ihre Produkte zu verbessern und sie besser der Nachfrage anzupassen. Überdies
haben einige oft die Konkurrenz der Einfuhr von – normalerweise
landwirtschaftlichen – Produkten aus den wirtschaftlich ärmeren Ländern
gefürchtet. Dennoch muß daran erinnert werden, daß für diese Länder die
Möglichkeit zur Vermarktung solcher Produkte sehr oft bedeutet, ihr Überleben
auf kurze und lange Zeit zu sichern. Ein gerechter und ausgeglichener
Welthandel im Agrarbereich kann für alle Vorteile bringen, sowohl auf Seiten
des Angebots wie der Nachfrage. Aus diesem Grund ist es nicht nur notwendig,
diese Produktionen kommerziell auszurichten, sondern Welthandelsregeln
festzulegen, die sie unterstützen, und die Finanzierungen für die Entwicklung
zu verstärken, um diese Wirtschaften produktiver zu machen.
59. Die Entwicklungszusammenarbeit darf nicht die
wirtschaftliche Dimension allein betreffen; sie muß eine gute Gelegenheit zur
kulturellen und menschlichen Begegnung werden. Wenn die Träger der Kooperation
in den wirtschaftlich entwickelten Ländern nicht der eigenen und der fremden
kulturellen und auf menschlichen Werten gründenden Identität Rechnung tragen,
wie es mitunter geschieht, können sie keinen tiefen Dialog mit den Bürgern der
armen Ländern aufnehmen. Wenn letztere ihrerseits sich gleichgültig und
unterschiedslos jedem kulturellen Angebot öffnen, sind sie nicht in der Lage,
die Verantwortung für ihre echte Entwicklung zu übernehmen.[139] Die technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften dürfen die eigene
technologische Entwicklung nicht mit einer vermeintlichen kulturellen
Überlegenheit verwechseln, sondern müssen bei sich selber zuweilen vergessene
Tugenden wiederentdecken, die ihnen eine Blüte in der Geschichte gebracht
haben. Die aufstrebenden Gesellschaften müssen dem treu bleiben, was in ihren
Traditionen an echt Menschlichem vorhanden ist, indem sie eine automatische
Überlagerung mit den Mechanismen der globalisierten technologischen
Zivilisation vermeiden. In allen Kulturen gibt es besondere und vielfältige
ethische Übereinstimmungen, die Ausdruck derselben menschlichen, vom Schöpfer
gewollten Natur sind und die von der ethischen Weisheit der Menschheit
Naturrecht genannt wird.[140] Ein solches universales Sittengesetz ist die feste Grundlage eines jeden
kulturellen, religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem vielfältigen
Pluralismus der verschiedenen Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche
nach dem Wahren und Guten und nach Gott zu lösen. Die Zustimmung zu diesem in
die Herzen eingeschriebenen Gesetz ist daher die Voraussetzung für jede
konstruktive soziale Zusammenarbeit. In allen Kulturen gibt es Beschwerliches,
von dem man sich befreien, und Schatten, denen man sich entziehen muß. Der
christliche Glaube, der in den Kulturen Gestalt annimmt und sie dabei
transzendiert, kann ihnen helfen, in universaler Gemeinschaft und Solidarität
zum Vorteil der gemeinsamen weltweiten Entwicklung zu wachsen.
60. Bei der Suche nach Lösungen in der
gegenwärtigen Wirtschaftskrise muß die Entwicklungshilfe für die armen Länder
als ein echtes Mittel zur Vermögensschaffung für alle angesehen werden. Welches
andere Hilfsprojekt kann eine selbst für die Weltwirtschaft so bedeutende
Wertsteigerung in Aussicht stellen wie die Unterstützung von Völkern, die sich
noch in einer Anfangsphase oder wenig fortgeschrittenen Phase ihres
wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses befinden? Aus diesem Blickwinkel werden
die wirtschaftlich mehr entwickelten Länder das Mögliche tun, um höhere Sätze
ihres Bruttoinlandprodukts für die Entwicklungshilfe bereitzustellen, wobei
natürlich die auf der Ebene der internationalen Gemeinschaft übernommenen
Verpflichtungen einzuhalten sind. Sie können dies unter anderem durch eine
Revision der Politik der Fürsorge und sozialen Solidarität in ihrem Inneren
tun, indem sie das Prinzip der Subsidiarität anwenden und besser integrierte
Systeme sozialer Vorsorge mit aktiver Teilnahme der Privatpersonen und der
Zivilgesellschaft schaffen. Auf diese Weise ist es sogar möglich, die Sozial-
und Fürsorgeleistungen zu verbessern und gleichzeitig Geldmittel zu sparen –
auch unter Beseitigung von Verschwendungen und mißbräuchlichen Bezügen –, die
für die internationale Solidarität zu bestimmen sind. Ein System sozialer
Solidarität, das eine größere Beteiligung kennt und organischer aufgebaut ist,
das weniger bürokratisch, aber nicht weniger koordiniert ist, würde es erlauben,
viele heute schlummernde Energien auch zum Nutzen der Solidarität unter den
Völkern zur Geltung zu bringen.
Eine Möglichkeit der Entwicklungshilfe könnte auf
der wirksamen Anwendung der sogenannten steuerlichen Subsidiarität beruhen, die
es den Bürgern gestatten würde, über den Bestimmungszweck von Anteilen ihrer
dem Staat erbrachten Steuern zu entscheiden. Wenn partikularistische
Ausartungen vermieden werden, kann dies dazu verhelfen, Formen sozialer
Solidarität von unten zu fördern, wobei offensichtliche Vorteile auch auf
Seiten der Solidarität für die Entwicklung bestehen.
61. Eine auf internationaler Ebene breitere
Solidarität drückt sich vor allem in der weiteren Förderung – selbst unter den
Verhältnissen einer Wirtschaftskrise – eines größeren Zugangs zur Bildung aus,
die andererseits eine wesentliche Bedingung für die Wirksamkeit der
internationalen Zusammenarbeit selber ist. Der Begriff „Bildung“ bezieht sich
nicht allein auf Unterricht und Ausbildung zum Beruf, die beide wichtige Gründe
für die Entwicklung sind, sondern auf die umfassende Formung der Person.
Diesbezüglich ist ein problematischer Aspekt hervorzuheben: Bei der Erziehung
muß man wissen, was die menschliche Person ist, und ihre Natur kennen. Die
Behauptung einer relativistischen Sicht dieser Natur stellt die Erziehung, vor
allem die moralische Erziehung, vor ernste Probleme, indem sie ihre erweiterte
Bedeutung auf universaler Ebene beeinträchtigt. Wenn man einem solchen
Relativismus nachgibt, werden alle ärmer, was negative Auswirkungen auch auf
die Wirksamkeit der Hilfe für die notleidenden Völker hat, die nicht nur der
wirtschaftlichen und technischen Mittel bedürfen, sondern auch pädagogische
Möglichkeiten und Mittel brauchen, die die Personen in ihrer vollen
menschlichen Verwirklichung unterstützen.
Ein Beispiel für die Bedeutung dieses Problems
bietet uns das Phänomen des internationalen Tourismus,[141] der einen beträchtlichen Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung und
das kulturelle Wachstum darstellen kann, sich aber auch in eine Gelegenheit zu
Ausbeutung und moralischem Verfall verwandeln kann. Die gegenwärtige Situation
bietet außergewöhnliche Möglichkeiten, denn die wirtschaftlichen Aspekte der
Entwicklung, das heißt die Geldflüsse und der Anfang bedeutender
unternehmerischer Erfahrungen vor Ort, können sich mit den kulturellen
Aspekten, in erster Linie mit jenem der Bildung, verbinden. In vielen Fällen
geschieht dies, aber in vielen anderen ist der internationale Tourismus ein in
erzieherischer Hinsicht verderbliches Ereignis sowohl für den Touristen als
auch für die örtliche Bevölkerung. Letztere wird oft mit unmoralischem oder
sogar perversem Verhalten konfrontiert, wie es beim sogenannten Sextourismus
der Fall ist, dem viele Menschen, selbst in jugendlichem Alter, zum Opfer
fallen. Es ist schmerzlich festzustellen, daß dies sich oft mit Zustimmung der
örtlichen Regierungen, mit dem Schweigen der Regierungen der Herkunftsländer
der Touristen und in Komplizenschaft vieler, die in der Branche tätig sind,
abspielt. Auch wenn es nicht zu solchen Auswüchsen kommt, wird der
internationale Tourismus nicht selten als Konsum und in hedonistischer Form
gelebt, als Flucht und unter den für die Herkunftsländer typischen Bedingungen
organisiert, so daß eine echte Begegnung mit den Menschen und der Kultur nicht
begünstigt wird. Man muß daher an einen anderen Tourismus denken, der in der
Lage ist, ein echtes gegenseitiges Kennenlernen zu fördern, ohne der Erholung
und dem gesunden Vergnügen Raum wegzunehmen: Ein Tourismus dieser Art muß –
auch dank einer engeren Verbindung der Erfahrung von internationaler
Zusammenarbeit und zugunsten der Entwicklung – gefördert werden.
62. Ein anderer Aspekt, der in bezug auf die
ganzheitliche menschliche Entwicklung Beachtung verdient, ist das Phänomen der Migrationen.
Dieses Phänomen erschüttert einen wegen der Menge der betroffenen Personen, wegen
der sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen
Probleme, die es aufwirft, wegen der dramatischen Herausforderungen, vor die es
die Nationen und die internationale Gemeinschaften stellt. Wir können sagen,
daß wir vor einem sozialen Phänomen epochaler Art stehen, das eine starke und
weitblickende Politik der internationalen Kooperation verlangt, um es in
angemessener Weise anzugehen. Eine solche Politik muß ausgehend von einer engen
Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern der Migranten entwickelt
werden; sie muß mit angemessenen internationalen Bestimmungen einhergehen, die
imstande sind, die verschiedenen gesetzgeberischen Ordnungen in Einklang zu
bringen in der Aussicht, die Bedürfnisse und Rechte der ausgewanderten Personen
und Familien sowie zugleich der Zielgesellschaften der Emigranten selbst zu
schützen. Kein Land kann sich allein dazu imstande sehen, den
Migrationsproblemen unserer Zeit zu begegnen. Wir alle sind Zeugen der Last an
Leid, Entbehrung und Hoffnung, die mit den Migrationsströmen einhergeht. Das
Phänomen zu steuern ist bekanntermaßen komplex; dennoch steht fest, daß die
Fremdarbeiter trotz der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Integration
durch ihre Arbeit einen bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung
des Gastlandes leisten und darüber hinaus dank der Geldsendungen auch einem
Beitrag zur Entwicklung ihrer Ursprungsländer erbringen. Offensichtlich können
diese Arbeitnehmer nicht als Ware oder reine Arbeitskraft angesehen werden. Sie
dürfen folglich nicht wie irgendein anderer Produktionsfaktor behandelt werden.
Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als solche unveräußerliche
Grundrechte besitzt, die von allen und in jeder Situation respektiert werden
müssen.[142]
63. Bei der Betrachtung der Probleme der
Entwicklung kann man nicht anders, als den direkten Zusammenhang zwischen Armut
und Arbeitslosigkeit hervorzuheben. In vielen Fällen sind die Armen das
Ergebnis der Verletzung der Würde der menschlichen Arbeit, da sowohl
ihre Möglichkeiten beschränkt werden (Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung) als
auch »die Rechte, die sich aus ihr ergeben, vor allem das Recht auf angemessene
Entlohnung und auf die Sicherheit der Person des Arbeitnehmers und seiner
Familie, entleert werden«.[143] Deswegen hat mein Vorgänger seligen Angedenkens Johannes Paul II. schon am
1. Mai 2000 anläßlich des Jubiläums der Arbeiter zu einer »weltweiten Koalition
für würdige Arbeit«[144] aufgerufen und dabei die Strategie der Internationalen Arbeitsorganisation
gefördert. Auf diese Weise hat er diesem Ziel als Bestrebung der Familien in
allen Ländern der Welt eine starke moralische Bestätigung verliehen. Was
bedeutet das Wort „Würde“ auf die Arbeit angewandt? Es bedeutet eine Arbeit,
die in jeder Gesellschaft Ausdruck der wesenseigenen Würde jedes Mannes und
jeder Frau ist: eine frei gewählte Arbeit, die die Arbeitnehmer, Männer und
Frauen, wirksam an der Entwicklung ihrer Gemeinschaft teilhaben läßt; eine
Arbeit, die auf diese Weise den Arbeitern erlaubt, ohne jede Diskriminierung
geachtet zu werden; eine Arbeit, die es gestattet, die Bedürfnisse der Familie
zu befriedigen und die Kinder zur Schule zu schicken, ohne daß diese selber
gezwungen sind zu arbeiten; eine Arbeit, die den Arbeitnehmern erlaubt, sich
frei zu organisieren und ihre Stimme zu Gehör zu bringen; eine Arbeit, die
genügend Raum läßt, um die eigenen persönlichen, familiären und spirituellen
Wurzeln wiederzufinden; eine Arbeit, die den in die Rente eingetretenen
Arbeitnehmern würdige Verhältnisse sichert.
64. Beim Nachdenken über das Thema Arbeit ist auch
ein Hinweis auf den dringenden Bedarf angebracht, daß die Gewerkschaftsorganisationen
der Arbeiternehmer, die von der Kirche stets gefördert und unterstützt
wurden, sich den neuen Perspektiven öffnen, die im Bereich der Arbeit
auftauchen. In Überwindung der eigenen Grenzen der kategorialen Gewerkschaften
sind die Gewerkschaftsorganisationen dazu aufgerufen, sich um die neuen
Probleme unserer Gesellschaft zu kümmern: Ich beziehe mich zum Beispiel auf die
Gesamtheit der Fragen, die die Sozialwissenschaftler im Konflikt zwischen
Arbeitnehmer und Konsument ermitteln. Ohne notwendigerweise die These eines
erfolgten Übergangs von der zentralen Rolle des Arbeiters zu der des
Konsumenten vertreten zu müssen, scheint es jedenfalls, daß auch das ein Gebiet
für innovative Gewerkschaftserfahrungen ist. Der globale Rahmen, in dem die
Arbeit ausgeübt wird, verlangt auch, daß die nationalen
Gewerkschaftsorganisationen, die sich vorwiegend auf die Verteidigung der
Interessen der eigenen Mitglieder beschränken, den Blick ebenso auf die
Nichtmitglieder richten und insbesondere auf die Arbeitnehmer in den
Entwicklungsländern, wo die Sozialrechte oft verletzt werden. Die Verteidigung
dieser Erwerbstätigen, die auch durch geeignete Initiativen gegenüber ihren
Herkunftsländern gefördert wird, erlaubt den Gewerkschaftsorganisationen, die
echten ethischen und kulturellen Gründe hervorzuheben, die es ihnen unter
anderen sozialen und Arbeitszusammenhängen gestattet haben, ein entscheidender Faktor
für die Entwicklung zu sein. Stets bleibt die traditionelle Lehre der Kirche
gültig, die eine Rollen- und Aufgabenunterscheidung von Gewerkschaft und
Politik vorschlägt. Diese Unterscheidung erlaubt den
Gewerkschaftsorganisationen, in der Zivilgesellschaft jenen Bereich
herauszufinden, der am meisten ihrer Tätigkeit entspricht, für die notwendige
Verteidigung und Förderung der Arbeitswelt vor allem zugunsten der
ausgebeuteten und nicht vertretenen Arbeitnehmer Sorge zu tragen, deren bittere
Lage dem zerstreuten Blick der Gesellschaft oft entgeht.
65. Ferner bedarf das Finanzwesen als
solches einer notwendigen Erneuerung der Strukturen und Bestimmungen seiner
Funktionsweisen, deren schlechte Anwendung die Realwirtschaft zuvor geschädigt
hat. Auf diese Weise kann es dann wieder ein auf die bessere Vermögensschaffung
und auf die Entwicklung zielgerichtetes Instrument werden. Die ganze Wirtschaft
und das ganze Finanzwesen – nicht nur einige ihrer Bereiche – müssen nach
ethischen Maßstäben als Werkzeuge gebraucht werden, so daß sie angemessene
Bedingungen für die Entwicklung des Menschen und der Völker schaffen. Es ist
gewiß nützlich und unter manchen Umständen unerläßlich, Finanzinitiativen ins
Leben zu rufen, bei denen die humanitäre Dimension vorherrscht. Dies darf aber
nicht vergessen lassen, daß das Finanzsystem insgesamt auf die Unterstützung
einer echten Entwicklung zielgerichtet sein muß. Vor allem darf die Absicht,
Gutes zu tun, nicht der Intention nach der tatsächlichen
Güterproduktionskapazität gegenübergestellt werden. Die Finanzmakler müssen die
eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder entdecken, um nicht jene
hoch entwickelten Instrumente zu mißbrauchen, die dazu dienen können, die
Sparer zu betrügen. Redliche Absicht, Transparenz und die Suche nach guten
Ergebnissen sind miteinander vereinbar und dürfen nie voneinander gelöst
werden. Wenn die Liebe klug ist, kann sie auch die Mittel finden, um gemäß
einer weitblickenden und gerechten Wirtschaftlichkeit zu handeln, wie viele
Erfahrungen auf dem Gebiet der Kreditgenossenschaften deutlich unterstreichen.
Sowohl eine Regulierung des Bereichs, welche die
schwächeren Subjekte absichert und skandalöse Spekulationen verhindert, als
auch der Versuch neuer Finanzformen, die zur Förderung von Entwicklungsprojekten
bestimmt sind, bedeuten positive Erfahrungen, die vertieft und gefördert werden
müssen und zugleich an die Eigenverantwortung des Sparers appellieren. Auch die
Erfahrung des Mikrofinanzwesens, das seine eigenen Wurzeln in den
Überlegungen und Werken der bürgerlichen Humanisten hat – ich denke vor allem
an das Entstehen der Leihhäuser –, muß bestärkt und ausgearbeitet werden,
besonders in diesen Momenten, wo die Finanzprobleme für viele verwundbarere
Teile der Bevölkerung, die vor den Risiken von Wucher oder vor der
Hoffnungslosigkeit geschützt werden müssen, dramatisch werden können. Die
schwächeren Subjekte müssen angeleitet werden, sich vor dem Wucher zu
verteidigen. Ebenso sind die armen Völker darin zu schulen, realen Nutzen aus
dem Mikrokredit zu ziehen. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten von
Ausbeutung in diesen zwei Bereichen gebremst. Da es auch in den reichen Ländern
neue Formen von Armut gibt, kann das Mikrofinanzwesen Hilfen geben, neue
Initiativen und Bereiche zugunsten der schwachen Gesellschaftsschichten selbst
in Phasen einer möglichen Verarmung der Gesellschaft zu schaffen.
66. Die weltweite Vernetzung hat eine neue
politische Macht aufsteigen lassen, und zwar jene der Konsumenten und
ihrer Verbände. Es handelt sich um ein Phänomen, das eingehend zu studieren
ist, weil es positive Elemente enthält, die gefördert werden müssen, wie auch
Übertreibungen, die zu vermeiden sind. Es ist gut, daß sich die Menschen bewußt
werden, daß das Kaufen nicht nur ein wirtschaftlicher Akt, sondern immer auch
eine moralische Handlung ist. Die Konsumenten haben daher eine klare soziale
Verantwortung, die mit der sozialen Verantwortung des Unternehmens einhergeht.
Sie müssen ständig zu der Rolle erzogen werden,[145] die sie täglich ausüben und die sie in der Achtung vor den moralischen
Grundsätzen ausführen können, ohne die eigene wirtschaftliche Vernünftigkeit
des Kaufakts herabzusetzen. Gerade in Zeiten wie denen, die wir erleben, wo die
Kaufkraft sich verringern könnte und man sich beim Konsum mäßigen sollte, ist
es auch im Bereich des Erwerbs notwendig, andere Wege zu beschreiten, wie zum
Beispiel die Formen von Einkaufskooperativen wie die Konsumgenossenschaften,
die seit dem neunzehnten Jahrhundert auch dank der Initiative von Katholiken
tätig sind. Ferner ist es nützlich, neue Formen der Vermarktung von Produkten,
die aus unterdrückten Gebieten der Erde stammen, zu fördern, um den Erzeugern
einen annehmbaren Lohn zu sichern unter der Bedingung, daß es sich wirklich um
einen transparenten Markt handelt, daß die Erzeuger nicht nur eine höhere
Gewinnspanne, sondern auch eine bessere Ausbildung, Professionalität und
Technologie erhalten und daß sich schließlich mit solchen
Wirtschaftserfahrungen für die Entwicklung nicht parteiideologische Ansichten
verbinden. Eine wirksamere Rolle der Verbraucher, wenn diese selbst nicht von
Verbänden manipuliert werden, die sie nicht wirklich vertreten, ist als Faktor
einer wirtschaftlichen Demokratie wünschenswert.
67. Gegenüber der unaufhaltsamen Zunahme
weltweiter gegenseitiger Abhängigkeit wird gerade auch bei einer ebenso
weltweit anzutreffenden Rezession stark die Dringlichkeit einer Reform sowohl
der Organisation der Vereinten Nationen als auch der internationalen
Wirtschafts- und Finanzgestaltung empfunden, damit dem Konzept einer
Familie der Nationen reale und konkrete Form gegeben werden kann. Desgleichen
wird als dinglich gesehen, innovative Formen zu finden, um das Prinzip der
Schutzverantwortung[146] anzuwenden und um auch den ärmeren Nationen eine wirksame Stimme in den
gemeinschaftlichen Entscheidungen zuzuerkennen. Dies scheint gerade im Hinblick
auf eine politische, rechtliche und wirtschaftliche Ordnung notwendig, die die
internationale Zusammenarbeit auf die solidarische Entwicklung aller Völker hin
fördert und ausrichtet. Um die Weltwirtschaft zu steuern, die von der Krise
betroffenen Wirtschaften zu sanieren, einer Verschlimmerung der Krise und sich
daraus ergebenden Ungleichgewichten vorzubeugen, um eine geeignete vollständige
Abrüstung zu verwirklichen, die Sicherheit und den Frieden zu nähren, den
Umweltschutz zu gewährleisten und die Migrationsströme zu regulieren, ist das
Vorhandensein einer echten politischen Weltautorität, wie sie schon von
meinem Vorgänger, dem seligen Papst Johannes XXIII., angesprochen wurde, dringend nötig. Eine
solche Autorität muß sich dem Recht unterordnen, sich auf konsequente Weise an
die Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität halten, auf die Verwirklichung
des Gemeinwohls hingeordnet sein,[147] sich für die Verwirklichung einer echten ganzheitlichen menschlichen
Entwicklung einsetzen, die sich von den Werten der Liebe in der Wahrheit
inspirieren läßt. Darüber hinaus muß diese Autorität von allen anerkannt sein,
über wirksame Macht verfügen, um für jeden Sicherheit, Wahrung der
Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten.[148] Offensichtlich muß sie die Befugnis besitzen, gegenüber den Parteien den
eigenen Entscheidungen wie auch den in den verschiedenen internationalen Foren
getroffenen abgestimmten Maßnahmen Beachtung zu verschaffen. In Ermangelung
dessen würde nämlich das internationale Recht trotz der großen Fortschritte,
die auf den verschiedenen Gebieten erzielt worden sind, Gefahr laufen, vom
Kräftegleichgewicht der Stärkeren bestimmt zu werden. Die ganzheitliche
Entwicklung der Völker und die internationale Zusammenarbeit erfordern, daß
eine übergeordnete Stufe internationaler Ordnung von subsidiärer Art für die
Steuerung der Globalisierung errichtet wird[149] und daß eine der moralischen Ordnung entsprechende Sozialordnung sowie
jene Verbindung zwischen moralischem und sozialem Bereich, zwischen Politik und
wirtschaftlichem und zivilem Bereich, die schon in den Statuten der Vereinten
Nationen dargelegt wurde, endlich verwirklicht werden.
SECHSTES
KAPITEL
DIE
ENTWICKLUNG DER VÖLKER UND DIE TECHNIK
68. Das Thema der Entwicklung der Völker ist eng
mit dem der Entwicklung jedes einzelnen Menschen verbunden. Der Mensch ist von
seiner Natur aus in dynamischer Weise auf die eigene Entwicklung ausgerichtet.
Dabei handelt es sich nicht um eine von natürlichen Mechanismen gewährleistete
Entwicklung, denn jeder von uns weiß, daß er imstande ist, freie und
verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Es handelt sich auch nicht um
eine Entwicklung, die unserer Willkür überlassen ist, da wir alle wissen, daß
wir Geschenk sind und nicht Ergebnis einer Selbsterzeugung. Die Freiheit ist in
uns ursprünglich von unserem Sein und dessen Grenzen bestimmt. Niemand formt
eigenmächtig das eigene Bewußtsein, sondern alle bauen das eigene „Ich“ auf der
Grundlage eines „Selbst“ auf, das uns gegeben ist. Wir können über andere
Menschen und auch über uns selbst nicht verfügen. Die Entwicklung des
Menschen verkommt, wenn er sich anmaßt, sein eigener und einziger Hervorbringer
zu sein. Ähnlich gerät die Entwicklung der Völker aus den Bahnen, wenn die
Menschheit meint, sich wiedererschaffen zu können, wenn sie sich der „Wunder“
der Technik bedient. So wie sich die wirtschaftliche Entwicklung als trügerisch
und schädlich herausstellt, wenn sie sich den „Wundern“ der Finanzwelt
anvertraut, um ein unnatürliches und konsumorientiertes Wachstum zu unterstützen.
Gegenüber dieser prometheischen Anmaßung müssen wir die Liebe zu einer Freiheit
stärken, die nicht willkürlich ist, sondern durch die Anerkennung des ihr
vorausgehenden Guten menschlicher geworden ist. Dazu muß der Mensch sich wieder
zu sich kommen, um die Grundnormen des natürlichen Sittengesetzes zu erkennen,
das Gott ihm ins Herz geschrieben hat.
69. Das Problem der Entwicklung ist heute eng mit
dem technologischen Fortschritt und mit dessen erstaunlichen Anwendungen
im Bereich der Biologie verbunden. Die Technik – das sei hier unterstrichen –
ist eine zutiefst menschliche Erscheinung, die an die Autonomie und Freiheit
des Menschen geknüpft ist. In der Technik kommt zum Ausdruck und bestätigt sich
die Herrschaft des Geistes über die Materie. »Der Geist des Menschen kann sich,
von der Versklavung unter die Sachwelt befreit, ungehinderter zur Kontemplation
und Anbetung des Schöpfers erheben«.[150] Die Technik gestattet es, die Materie zu beherrschen, die Risiken zu
verringern, Mühe zu sparen, die Lebensbedingungen zu verbessern. Sie entspricht
der eigentlichen Berufung der menschlichen Arbeit: In der Technik, die als Werk
seines Geistes gesehen wird, erkennt der Mensch sich selbst und verwirklicht
das eigene Menschsein. Die Technik ist der objektive Aspekt der menschlichen
Arbeit,[151] deren Ursprung und Daseinsberechtigung im subjektiven Element liegt: dem
arbeitenden Menschen. Darum ist die Technik niemals nur Technik. Sie zeigt den
Menschen und sein Streben nach Entwicklung, sie ist Ausdruck der Spannung des
menschlichen Geistes bei der schrittweisen Überwindung gewisser materieller
Bedingtheiten. Die Technik fügt sich daher in den Auftrag ein, »die Erde zu
bebauen und zu hüten« (vgl. Gen 2, 15), den Gott dem Menschen
erteilt hat, und muß darauf ausgerichtet sein, jenen Bund zwischen Mensch und
Umwelt zu stärken, der Spiegel der schöpferischen Liebe Gottes sein soll.
70. Die technologische Entwicklung kann zur Idee
verleiten, daß sich die Technik selbst genügt, wenn der Mensch sich nur die
Frage nach dem Wie stellt und die vielen Warum unbeachtet läßt,
von denen er zum Handeln angespornt wird. Das ist der Grund dafür, daß die
Technik ein zwiespältiges Gesicht annimmt. Da sie aus der menschlichen
Kreativität als dem Werkzeug der Freiheit der Person hervorgegangen ist, kann
die Technik als Element absoluter Freiheit verstanden werden, jener Freiheit,
die von den Grenzen absehen will, die die Dinge in sich tragen. Der
Globalisierungsprozeß könnte die Ideologien durch die Technik ersetzen,[152] die selbst zu einer ideologischen Macht geworden ist und die Menschheit
der Gefahr aussetzt, sich in einem Apriori eingeschlossen zu finden, aus
dem sie nicht ausbrechen kann, um dem Sein und der Wahrheit zu begegnen. In
diesem Fall würden wir alle unsere Lebensumstände innerhalb eines technokratischen
Kulturhorizonts, dem wir strukturell angehören würden, erkennen, einschätzen
und bestimmen, ohne je einen Sinn finden zu können, den wir nicht selbst
erzeugt haben. Diese Vorstellung macht heute die technizistische Mentalität so
stark, daß sie das Wahre mit dem Machbaren zusammenfallen läßt. Wenn aber die
Effizienz und der Nutzen das einzige Kriterium der Wahrheit sind, wird
automatisch die Entwicklung geleugnet. Denn die echte Entwicklung besteht nicht
in erster Linie im Tun. Schlüssel der Entwicklung ist ein Verstand, der in der
Lage ist, die Technik zu durchdenken und den zutiefst menschlichen Sinn des
Tuns des Menschen im Sinnhorizont der in der Gesamtheit ihres Seins genommenen
Person zu erfassen. Auch wenn der Mensch durch einen Satelliten oder einen
ferngesteuerten elektronischen Impuls tätig ist, bleibt sein Tun immer
menschlich, Ausdruck verantwortlicher Freiheit. Die Technik wirkt auf den
Menschen sehr anziehend, weil sie ihn den physischen Beschränkungen entreißt
und seinen Horizont erweitert. Aber die menschliche Freiheit ist nur dann im
eigentlichen Sinn sie selbst, wenn sie auf den Zauber der Technik mit
Entscheidungen antwortet, die Frucht moralischer Verantwortung sind. Daraus
ergibt sich die Dinglichkeit einer Erziehung zur sittlichen Verantwortung im
Umgang mit der Technik. Ausgehend von der Faszination, die die Technik auf den
Menschen ausübt, muß man den wahren Sinn der Freiheit wiedergewinnen, die nicht
in der Trunkenheit einer totalen Autonomie besteht, sondern in der Antwort auf
den Aufruf des Seins, angefangen bei dem Sein, das wir selbst sind.
71. Dieses mögliche Abweichen der technischen
Denkweise von ihrem ursprünglichen humanistischen Lauf ist heute in den
Phänomenen der Technisierung sowohl der Entwicklung wie des Friedens
offenkundig. Häufig wird die Entwicklung der Völker als eine Frage der
Finanzierungstechnik, der Öffnung der Märkte, der Zollsenkung, der
roduktionsinvestitionen, der institutionellen Reformen – letztlich als eine
rein technische Frage gesehen. Alle diese Bereiche sind äußerst wichtig, aber
man muß sich fragen, warum die Entscheidungen technischer Art bis jetzt nur
einigermaßen funktioniert haben. Der Grund dafür muß tiefer gesucht werden. Die
Entwicklung wird niemals von gleichsam automatischen und unpersönlichen Kräften
– seien es jene des Marktes oder jene der internationalen Politik – vollkommen
garantiert werden. Ohne rechtschaffene Menschen, ohne Wirtschaftsfachleute
und Politiker, die in ihrem Gewissen den Aufruf zum Gemeinwohl nachdrücklich leben,
ist die Entwicklung nicht möglich. Sowohl die berufliche Vorbereitung wie
die moralische Konsequenz sind vonnöten. Wenn sich die Verabsolutierung der
Technik durchsetzt, kommt es zu einer Verwechslung von Zielen und Mitteln; der
Unternehmer wird als einziges Kriterium für sein Handeln den höchsten Gewinn
der Produktion ansehen; der Politiker die Festigung der Macht; der
Wissenschaftler das Ergebnis seiner Entdeckungen. So geschieht es, daß oft
unter dem Netz der Wirtschafts-, Finanz- oder politischen Beziehungen
Unverständnis, Unbehagen und Ungerechtigkeiten weiterbestehen; die Ströme
technischen Fachwissens vervielfachen sich, allerdings zum Vorteil ihrer
Eigentümer, während die tatsächliche Situation der Völker, die jenseits und
fast immer im Schatten dieser Ströme leben, weiter unverändert und ohne reale
Emanzipationsmöglichkeiten bleibt.
72. Auch der Friede läuft mitunter Gefahr, als ein
technisches Produkt – lediglich als Ergebnis von Abkommen zwischen Regierungen
oder von Initiativen zur Sicherstellung effizienter Wirtschaftshilfen –
betrachtet zu werden. Es stimmt, daß der Aufbau des Friedens das
ständige Knüpfen diplomatischer Kontakte, wirtschaftlichen und technologischen
Austausch, kulturelle Begegnungen, Abkommen über gemeinsame Vorhaben ebenso
erfordert wie die Übernahme gemeinsam geteilter Verpflichtungen, um
kriegerische Bedrohungen einzudämmen und die regelmäßig wiederkehrenden
terroristischen Versuchungen an der Wurzel freizulegen. Damit diese Bemühungen
dauerhafte Wirkungen hervorbringen können, müssen sie sich allerdings auf Werte
stützen können, die in der Wahrheit des Lebens verwurzelt sind. Das heißt, man
muß die Stimme der betreffenden Bevölkerung hören und sich ihre Lage anschauen,
um ihre Erwartungen entsprechend zu deuten. Hier muß man sich sozusagen ständig
in eine Linie mit der anonym geleisteten Anstrengung so vieler Menschen
stellen, die sich sehr dafür engagieren, die Begegnung zwischen den Völkern zu
fördern und die Entwicklung ausgehend von Liebe und gegenseitigem Verständnis zu
begünstigen. Unter diesen Personen sind auch gläubige Christen, die an der
großen Aufgabe beteiligt sind, der Entwicklung und dem Frieden einen vollauf
menschlichen Sinn zu geben.
73. Mit der technologischen Entwicklung verbunden
ist die gestiegene Verbreitung der sozialen Kommunikationsmittel. Es ist
bereits fast unmöglich, sich die Existenz der menschlichen Familie ohne sie
vorzustellen. Im guten wie im bösen sind sie dermaßen im Leben der Welt
präsent, daß die Einstellung derjenigen, die die Neutralität der sozialen
Kommunikationsmittel behaupten und daher ihre Autonomie in bezug auf die die
Menschen betreffende Moral fordern, wirklich absurd erscheint. Derartige
Sichtweisen, die die strikt technische Natur der Medien nachdrücklich betonen,
begünstigen tatsächlich oft ihre Unterordnung unter das wirtschaftliche Kalkül,
unter die Absicht, die Märkte zu beherrschen, und nicht zuletzt unter das
Verlangen, kulturelle Parameter aufzuerlegen, die Projekten ideologischer und
politischer Macht dienen. Angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung bei der
Bestimmung von Veränderungen in der Art und Weise, wie die Wirklichkeit und die
menschliche Person selbst wahrgenommen und kennengelernt wird, wird ein
aufmerksames Nachdenken über ihren Einfluß besonders gegenüber der
ethisch-kulturellen Dimension der Globalisierung und der solidarischen
Entwicklung der Völker notwendig. Entsprechend dem, was von einem korrekten
Umgang mit der Globalisierung und Entwicklung gefordert wird, müssen Sinn
und Zielsetzung der Medien auf anthropologischer Grundlage gesucht werden.
Das heißt, daß sie nicht nur dann Gelegenheit zur Humanisierung werden
können, wenn sie dank der technologischen Entwicklung größere Kommunikations-
und Informationsmöglichkeiten bieten, sondern vor allem dann, wenn sie im Licht
eines Bildes vom Menschen und vom Gemeinwohl, das deren universale Bedeutung
widerspiegelt, organisiert und ausgerichtet werden. Die sozialen
Kommunikationsmittel begünstigen weder die Freiheit noch globalisieren sie die
Entwicklung und die Demokratie für alle einfach deshalb, weil sie die
Möglichkeiten der Verbindung und Zirkulation von Ideen vervielfachen. Um solche
Ziele zu erreichen, müssen sie auf die Förderung der Würde der Menschen und der
Völker ausgerichtet sein, ausdrücklich von der Liebe beseelt sein und im Dienst
der Wahrheit, des Guten sowie der natürlichen und übernatürlichen
Brüderlichkeit stehen. In der Menschheit ist die Freiheit nämlich mit diesen
höheren Werten innerlich verbunden. Die Medien können eine wertvolle Hilfe darstellen,
um die Gemeinschaft der menschlichen Familie und das Ethos der Gesellschaften
wachsen zu lassen, wenn sie Werkzeuge zur Förderung der allgemeinen Teilnahme
an der gemeinsamen Suche nach dem, was gerecht ist, werden.
74.Der wichtigste und entscheidende Bereich der
kulturellen Auseinandersetzung zwischen dem Absolutheitsanspruch der Technik
und der moralischen Verantwortung des Menschen ist heute die Bioethik,
wo auf radikale Weise die Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen
Entwicklung selbst auf dem Spiel steht. Es handelt sich um einen äußerst
heiklen und entscheidenden Bereich, in dem mit dramatischer Kraft die
fundamentale Frage auftaucht, ob sich der Mensch selbst hervorgebracht hat oder
ob er von Gott abhängt. Die wissenschaftlichen Entdeckungen auf diesem Gebiet
und die Möglichkeiten technischer Eingriffe scheinen so weit vorangekommen zu
sein, daß sie uns vor die Wahl zwischen den zwei Arten der Rationalität stellt:
die auf Transzendenz hin offene Vernunft oder die in der Immanenz eingeschlossene
Vernunft. Man steht also vor einem entscheidenden Entweder-Oder. Die
Rationalität des auf sich selbst zentrierten technischen Machens erweist sich
jedoch als irrational, weil sie eine entschiedene Ablehnung von Sinn und Wert
mit sich bringt. Nicht zufällig prallen das Sich-Verschließen gegenüber der
Transzendenz und die Schwierigkeit zu denken, wie aus dem Nichts das Sein
hervorgegangen und wie aus dem Zufall der Verstand entstanden sein soll,
aufeinander.[153] Angesichts dieser dramatischen Probleme helfen sich Vernunft und Glaube
gegenseitig. Nur gemeinsam werden sie den Menschen retten. Die vom reinen
technischen Tun gefesselte Vernunft ist ohne den Glauben dazu verurteilt, sich
in der Illusion der eigenen Allmacht zu verlieren. Der Glaube ist ohne die
Vernunft der Gefahr der Entfremdung vom konkreten Leben der Menschen ausgesetzt.[154]
75. Schon Papst Paul VI. hatte den weltweiten Horizont der sozialen Frage
erkannt und auf ihn hingewiesen.[155] Wenn man ihm auf diesem Weg folgt, muß man heute feststellen, daß die
soziale Frage in radikaler Weise zu einer anthropologischen Frage geworden
ist, insofern sie die Möglichkeit selbst beinhaltet, das Leben, das von den
Biotechnologien immer mehr in die Hände des Menschen gelegt wird, nicht nur zu
verstehen, sondern auch zu manipulieren. In der heutigen Kultur der totalen
Ernüchterung, die glaubt, alle Geheimnisse aufgedeckt zu haben, weil man
bereits an die Wurzel des Lebens gelangt ist, kommt es zur Entwicklung und
Förderung von In-vitro-Fertilisation, Embryonenforschung, Möglichkeiten des
Klonens und der Hybridisierung des Menschen. Hier findet der
Absolutheitsanspruch der Technik seinen massivsten Ausdruck. In dieser Art von
Kultur ist das Gewissen nur dazu berufen, eine rein technische Möglichkeit zur
Kenntnis zu nehmen. Man kann jedoch nicht die beunruhigenden Szenarien für die
Zukunft des Menschen und die neuen mächtigen Instrumente, die der »Kultur des
Todes« zur Verfügung stehen, bagatellisieren. Zur verbreiteten tragischen Plage
der Abtreibung könnte in Zukunft – aber insgeheim bereits jetzt schon in
nuce vorhanden – eine systematische eugenische Geburtenplanung hinzukommen.
Auf der entgegengesetzten Seite wird einer mens euthanasica der Weg
bereitet, einem nicht weniger mißbräuchlichen Ausdruck der Herrschaft über das
Leben, das unter bestimmten Bedingungen als nicht mehr lebenswert betrachtet
wird. Hinter diesen Szenarien stehen kulturelle Auffassungen, welche die
menschliche Würde leugnen. Diese Praktiken sind ihrerseits dazu bestimmt, eine
materielle und mechanistische Auffassung vom menschlichen Leben zu nähren. Wer
wird die negativen Auswirkungen einer solchen Mentalität auf die Entwicklung
ermessen können? Wie wird man sich noch über die Gleichgültigkeit gegenüber den
Situationen menschlichen Verfalls wundern können, wenn die Gleichgültigkeit
sogar unsere Haltung gegenüber dem, was menschlich ist oder nicht,
kennzeichnet? Es verwundert einen die willkürliche Selektivität all dessen, was
heute als achtenswert vorgeschlagen wird. Während viele gleich bereit sind,
sich über Nebensächlichkeiten zu entrüsten, scheinen sie unerhörte
Ungerechtigkeiten zu tolerieren. Während die Armen der Welt noch immer an die
Türen der Üppigkeit klopfen, läuft die reiche Welt Gefahr, wegen eines
Gewissens, das bereits unfähig ist, das Menschliche zu erkennen, jene Schläge
an ihre Tür nicht mehr zu hören. Gott enthüllt dem Menschen den Menschen; die
Vernunft und der Glaube arbeiten zusammen, ihm das Gute zu zeigen, wenn er es
nur sehen wollte; das Naturrecht, in dem die schöpferische Vernunft aufscheint,
zeigt die Größe des Menschen auf, aber auch sein Elend, wenn er den Ruf der
moralischen Wahrheit nicht annimmt.
76.Einer der Aspekte des modernen technisierten
Geistes besteht in der Neigung, die mit dem Innenleben verbundenen Fragen und
Regungen nur unter einem psychologischen Gesichtspunkt bis hin zum
neurologischen Reduktionismus zu betrachten. Die Innerlichkeit des Menschen
wird so entleert, und das Bewußtsein von der ontologischen Beschaffenheit der
menschlichen Seele mit ihren Tiefen, die die Heiligen auszuloten wußten, geht
allmählich verloren. Die Frage der Entwicklung ist auch mit unserer
Auffassung von der Seele des Menschen eng verbunden, da unser Ich oft auf
die Psyche reduziert wird und die Gesundheit der Seele mit dem emotionalen
Wohlbefinden verwechselt wird. Diesen Verkürzungen liegt ein tiefes
Unverständnis des geistlichen Lebens zugrunde. Sie führen dazu, nicht
anerkennen zu wollen, daß die Entwicklung des Menschen und der Völker jedoch
auch von der Lösung von Problemen geistlicher Art abhängt. Die Entwicklung
muß außer dem materiellen auch ein geistig-geistliches Wachstum umfassen,
weil der Mensch eine »Einheit aus Seele und Leib«[156] ist, geboren von der schöpferischen Liebe Gottes und zum ewigen Leben
bestimmt. Der Mensch entwickelt sich, wenn er im Geist wächst, wenn seine Seele
sich selbst und die Wahrheiten erkennt, die Gott ihr keimhaft eingeprägt hat,
wenn er mit sich selbst und mit seinem Schöpfer redet. Fern von Gott ist der
Mensch unstet und krank. Die soziale und psychologische Entfremdung und die
vielen Neurosen, die für die reichen Gesellschaften kennzeichnend sind,
verweisen auch auf Ursachen geistlicher Natur. Eine materiell entwickelte, aber
für die Seele bedrückende Wohlstandsgesellschaft ist an und für sich nicht auf
echte Entwicklung ausgerichtet. Die neuen Formen der Knechtschaft der Droge und
die Verzweiflung, in die viele Menschen geraten, finden nicht nur eine
soziologische und psychologische, sondern eine im wesentlichen geistliche
Erklärung. Die Leere, der sich die Seele trotz vieler Therapien für Leib und
Psyche überlassen fühlt, ruft Leiden hervor. Es gibt keine vollständige
Entwicklung und kein universales Gemeinwohl ohne das geistliche und moralische
Wohl der in ihrer Gesamtheit von Seele und Leib gesehenen Personen.
77. Der Absolutheitsanspruch der Technik neigt
dazu, eine Unfähigkeit entstehen zu lassen, das wahrzunehmen, was sich nicht
mit der bloßen Materie erklären läßt. Und doch erfahren alle Menschen so viele
immaterielle und geistige Aspekte ihres Lebens. Erkennen ist nicht ein nur
materieller Akt, weil das Erkannte immer etwas verbirgt, was über die
empirische Gegebenheit hinausgeht. Jede Erkenntnis, auch die einfachste, ist
immer ein kleines Wunder, weil sie sich mit den materiellen Mitteln, die wir
anwenden, nie vollständig erklären läßt. In jeder Wahrheit steckt mehr, als wir
selbst es uns erwartet hätten, in der Liebe, die wir empfangen, ist immer etwas
für uns Überraschendes. Wir sollten niemals aufhören, angesichts dieser Wunder
zu staunen. In jeder Erkenntnis und in jeder Liebeshandlung erlebt die Seele
des Menschen ein »Mehr«, das sehr einer empfangenen Gabe gleicht, einer
Erhabenheit, zu der wir uns erhöht fühlen. Auch die Entwicklung des Menschen
und der Völker steht auf einer ähnlichen Höhe, wenn wir die geistige
Dimension betrachten, die diese Entwicklung notwendigerweise kennzeichnen
muß, damit sie echt sein kann. Sie erfordert neue Augen und ein neues Herz, die
imstande sind, die materialistische Sicht der menschlichen Geschehnisse zu
überwinden und in der Entwicklung ein „darüber hinaus“ zu sehen, das die
Technik nicht geben kann. Auf diesem Weg wird es möglich sein, jene
ganzheitliche menschliche Entwicklung fortzusetzen, die ihr
Orientierungskriterium in der Antriebskraft der Liebe in der Wahrheit hat.
SCHLUSS
78. Ohne Gott weiß der Mensch nicht, wohin er
gehen soll, und vermag nicht einmal zu begreifen, wer er ist. Angesichts der
enormen Probleme der Entwicklung der Völker, die uns fast zur Mutlosigkeit und
zum Aufgeben drängen, kommt uns das Wort des Herrn Jesus Christus zu Hilfe, der
uns wissen läßt: »Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Joh
15, 5) und uns ermutigt: »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt
28, 20). Angesichts der Arbeitsfülle, die zu bewältigen ist, werden wir im
Glauben an die Gegenwart Gottes aufrechterhalten an der Seite derer, die sich
in seinem Namen zusammentun und für die Gerechtigkeit arbeiten. Papst Paul VI. hat uns in Populorum progressio daran
erinnert, daß der Mensch nicht in der Lage ist, seinen Fortschritt allein zu
betreiben, weil er nicht von sich aus einen echten Humanismus begründen kann.
Nur wenn wir daran denken, daß wir als einzelne und als Gemeinschaft dazu
berufen sind, als seine Kinder zur Familie Gottes zu gehören, werden wir auch
dazu fähig sein, ein neues Denken hervorzubringen und neue Kräfte im Dienst
eines echten ganzheitlichen Humanismus zu entfalten. Die große Kraft im Dienst
der Entwicklung ist daher ein christlicher Humanismus,[157] der die Liebe belebt und sich von der Wahrheit leiten läßt, indem er die
eine und die andere als bleibende Gabe Gottes empfängt. Die Verfügbarkeit
gegenüber Gott öffnet uns zur Verfügbarkeit gegenüber den Brüdern und gegenüber
einem Leben, das als solidarische und frohe Aufgabe verstanden wird. Umgekehrt
stellen die ideologische Verschlossenheit gegenüber Gott und der Atheismus der
Gleichgültigkeit, die den Schöpfer vergessen und Gefahr laufen, auch die
menschlichen Werte zu vergessen, heute die größten Hindernisse für die
Entwicklung dar. Der Humanismus, der Gott ausschließt, ist ein
unmenschlicher Humanismus. Nur ein für das Absolute offener Humanismus kann
uns bei der Förderung und Verwirklichung von sozialen und zivilen Lebensformen
– im Bereich der Strukturen, der Einrichtungen, der Kultur, des Ethos – leiten,
indem er uns vor der Gefahr bewahrt, zu Gefangenen von Moden des Augenblicks zu
werden. Es ist das Wissen um die unzerstörbare Liebe Gottes, das uns in dem
mühsamen und erhebenden Einsatz für die Gerechtigkeit und für die Entwicklung
der Völker zwischen Erfolgen und Mißerfolgen in der unablässigen Verfolgung
rechter Ordnungen für die menschlichen Angelegenheiten unterstützt. Die
Liebe Gottes ruft uns zum Aussteigen aus allem, was begrenzt und nicht
endgültig ist; sie macht uns Mut, weiter zu arbeiten in der Suche nach dem Wohl
für alle, auch wenn es sich nicht sofort verwirklichen läßt, auch wenn das,
was uns zu verwirklichen gelingt – uns und den politischen Autoritäten und
Wirtschaftsfachleuten –, stets weniger ist als das, was wir anstreben.[158] Gott gibt uns die Kraft, zu kämpfen und aus Liebe für das gemeinsame Wohl
zu leiden, weil er unser Alles, unsere größte Hoffnung ist.
79. Die Entwicklung braucht Christen, die die
Arme zu Gott erheben in der Geste des Gebets, Christen, die von dem
Bewußtsein getragen sind, daß die von Wahrheit erfüllte Liebe, caritas in
veritate, von der die echte Entwicklung ausgeht, nicht unser Werk ist,
sondern uns geschenkt wird. Darum müssen wir auch in den schwierigsten und
kompliziertesten Angelegenheiten nicht nur bewußt reagieren, sondern uns vor
allem auf seine Liebe beziehen. Die Entwicklung beinhaltet Aufmerksamkeit für
das geistliche Leben, ernsthafte Beachtung der Erfahrungen des Gottvertrauens,
der geistlichen Brüderlichkeit in Christus, des Sich-Anvertrauens an die
göttliche Vorsehung und Barmherzigkeit, der Liebe und Vergebung, des
Selbstverzichts, der Annahme des Nächsten, der Gerechtigkeit und des Friedens.
Das alles ist unverzichtbar, um die »Herzen von Stein« in »Herzen von Fleisch«
zu verwandeln (Ez 36, 26), um so das Leben auf der Erde „göttlich“ und
damit menschenwürdiger zu machen. Das alles gehört dem Menschen, weil
der Mensch Subjekt seiner Existenz ist; und zugleich gehört es Gott,
weil Gott am Anfang und am Ende von all dem steht, was gilt und erlöst: »Welt,
Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: alles gehört euch; ihr aber gehört Christus,
und Christus gehört Gott« (1 Kor 3, 22-23). Das tiefe Verlangen des
Christen ist, daß die ganze menschliche Familie Gott als »Vater unser!« anrufen
kann. Zusammen mit dem Eingeborenen Sohn können alle Menschen lernen, zum Vater
zu beten und ihn mit den Worten, die Jesus selbst uns gelehrt hat, zu bitten,
ihn heiligen zu können, wenn sie nach seinem Willen leben, und dann das nötige
tägliche Brot zu haben sowie Verständnis und Großzügigkeit gegenüber den
Schuldigern, nicht zu sehr auf die Probe gestellt und vom Bösen befreit zu
werden (vgl. Mt 6, 9-13).
Zum Abschluß des Paulusjahres möchte ich
diesen Wunsch mit den Worten des Apostels aus dem Brief an die Römer zum
Ausdruck bringen: »Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse,
haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft
euch in gegenseitiger Achtung« (12, 9-10). Die Jungfrau Maria, die von
Papst Paul VI. zur Mater Ecclesiae erklärt wurde und vom christlichen Volk
als Speculum iustitiae und Regina pacis verehrt wird, beschütze
und erhalte uns durch ihre himmlische Fürsprache die Kraft, die Hoffnung und
die Freude, die wir brauchen, um uns weiterhin großzügig der Verpflichtung zu
widmen, »die Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen«[159] zu verwirklichen.
Gegeben zu Rom, Sankt Peter, am 29. Juni, dem Fest
der heiligen Apostel Petrus und Paulus, im Jahr 2009, dem fünften Jahr meines
Pontifikats.
BENEDICTUS PP. XVI
[1]
Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 22: AAS 59 (1967), 268; Zweites
Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von
heute Gaudium et spes, 69.
[2] Ansprache zum Tag der Entwicklung (23.
August 1968): AAS 60 (1968), 626-627.
[3]
Vgl. Botschaft zum
Weltfriedenstag 2002:
AAS 94 (2002), 132-140.
[4]
Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der
Welt von heute Gaudium et spes, 26.
[5]
Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS
55 (1963), 268-270.
[6]
Vgl. Nr. 16: a.a.O., 265.
[7]
Vgl. ebd., 82: a.a.O., 297.
[8] Ebd., 42: a.a.O., 278.
[9] Ebd., 20: a.a.O., 267.
[10]
Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der
Welt von heute Gaudium et spes, 36; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima
adveniens (14. Mai 1971),
4: AAS 63 (1971), 403-404; Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1.Mai 1991), 43: AAS 83 (1991),
847.
[11] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 13: a.a.O., 263-264.
[12]
Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der
Soziallehre der Kirche, Nr. 76.
[13]
Vgl. Benedikt XVI., Ansprache zur Eröffnung
der V. Generalkonferenz der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der
Karibik (13. Mai
2007): Insegnamenti III, 1 (2007), 854-870.
[14]
Vgl. Nrn. 3-5: a.a.O., 258-260.
[15]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 6-7: AAS 80
(1988), 517-519.
[16]
Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 14: a.a.O., 264.
[17] Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005),
18: AAS 98 (2006), 232.
[18] Ebd., 6: a.a.O., 222.
[19]
Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die
Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang (22. Dezember 2005): Insegnamenti I
(2005), 1023-1032.
[20]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 3: a.a.O., 515.
[21]
Vgl. ebd., 1: a.a.O., 513-514.
[22]
Vgl. ebd., 3: a.a.O., 515.
[23]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), 3: AAS 73
(1981), 583-584.
[24]
Vgl. ders., Enzyklika Centesimus annus, 3: a.a.O., 794-796.
[25] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 3: a.a.O., 258.
[26]
Vgl. ebd., 34: a.a.O., 274.
[27]
Vgl. Nrn. 8-9: AAS 60 (1968), 485-487; Benedikt XVI., Ansprache an die
Teilnehmer am Internationalen Kongreß der Päpstlichen Lateranuniversität
anläßlich des 40. Jahrestags der Enzyklika »Humanae
vitae« (10. Mai 2008): Insegnamenti, IV, 1
(2008), 753-756.
[28]
Vgl. Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 93: AAS 87 (1995), 507-508.
[29] Ebd., 101: a.a.O., 516-518.
[30]
Nr. 29: AAS 68 (1976), 25.
[31] Ebd., 31: a.a.O., 26.
[32]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 41: a.a.O., 570-572.
[33]
Vgl. ebd.; ders., Enzyklika Centesimus annus, 5.54: a.a.O., 799.859-860.
[34]
Nr. 15: a.a.O., 491.
[35]
Vgl. ebd, 2: a.a.O., 258; Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum
(15. Mai 1891): Leonis XIII P.M. Acta, XI, Romae 1892, 97-144; Johannes
Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 8: a.a.O., 519-520; ders.,
Enzyklika Centesimus annus, 5: a.a.O., 799.
[36] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 2.13: a.a.O., 258.
263-264.
[37] Ebd., 42: a.a.O., 278.
[38] Ebd., 11: a.a.O., 262; Johannes
Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 25: a.a.O., 822-824.
[39] Enzyklika Populorum progressio, 15: a.a.O., 265.
[40] Ebd., 3: a.a.O., 258.
[41] Ebd., 6: a.a.O., 260.
[42] Ebd., 14: a.a.O., 264.
[43] Ebd.; vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika Centesimus annus, 53-62: a.a.O., 859-867;
ders., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 13-14: AAS
71 (1979), 282-286.
[44] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 12: a.a.O.,
262-263.
[45]
Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt
von heute Gaudium et spes, 22.
[46] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 13: a.a.O., 263-264.
[47]
Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des
IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien (19. Oktober 2006): Insegnamenti II, 2
(2006), 465-477.
[48]
Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 16: a.a.O., 265.
[49] Ebd.
[50] Benedikt XVI., Ansprache an die Jugendlichen am Barangaroo East Darling Harbour (Sydney, 17. Juli 2008): L’Osservatore Romano (dt.), 38. Jg., Nr. 30/31, S. 10.
[51] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 20: a.a.O., 267.
[52] Ebd., 66: a.a.O., 289-290.
[53] Ebd., 21: a.a.O., 267-268.
[54] Nrn. 3.29.32: a.a.O., 258.272.273.
[55] Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 28: a.a.O., 548-550.
[56] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 9: a.a.O., 261-262.
[57] Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 20: a.a.O., 536-537.
[58] Vgl. Enzyklika Centesimus annus, 22-29: a.a.O., 819-830.
[59] Vgl. Nrn. 23.33: a.a.O., 268-269.273-274.
[60] Vgl. a.a.O., 135.
[61]
Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt
von heute Gaudium et spes, 63.
[62]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 24: a.a.O., 821-822.
[63]
Vgl. ders., Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), 33.46.51: AAS 85
(1993), 1160.1169-1171.1174-1175; ders., Ansprache an die UN-Vollversammlung
zum 50. Jahrestag ihrer Gründung (5. Oktober 1995), 3: Insegnamenti
XVIII, 2 (1995), 732-733.
[64]
Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 47: a.a.O., 280-281;
Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 42: a.a.O., 572-574.
[65]
Vgl. Benedikt XVI., Botschaft zum
Welternährungstag 2007: AAS
99 (2007), 933-935.
[66]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 18.59.63.64: a.a.O.,
419-421.467-468.472-475.
[67]
Vgl. Benedikt XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2007,
5: Insegnamenti, II, 2 (2006), 778.
[68]
Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2002,
4-7.12-15: AAS 94 (2002), 134-136.138-140; ders., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2004,
8: AAS 96 (2004), 119; ders., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2005,
4: AAS 97 (2005), 177-178; Benedikt XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2006,
9-10: AAS 98 (2006), 60-61; ders., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2007,
5.14: a.a.O., 778.782-783.
[69]
Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2002,
6: a.a.O., 135; Benedikt XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2006,
9-10: a.a.O., 60-61.
[70]
Vgl. Benedikt XVI., Homilie bei der Meßfeier
auf dem »Islinger Feld« in Regensburg (12. September 2006): Insegnamenti II, 2
(2006), 252-256.
[71] Vgl. ders., Enzyklika Deus caritas est, 1: a.a.O., 217-218.
[72]
Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 28: a.a.O., 548-550.
[73] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 19: a.a.O., 266-267.
[74] Ebd., 39: a.a.O., 276-277.
[75] Ebd., 75: a.a.O., 293-294.
[76] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 28: a.a.O., 238-240.
[77] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 59: a.a.O., 864.
[78] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 40.85: a.a.O., 277.298-299.
[79] Ebd., 13: a.a.O., 263-264.
[80] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio (14. September 1998), 85: AAS 91 (1999), 72-73.
[81]
Vgl. ebd., 83: a.a.O., 70-71.
[82] Benedikt XVI., Vorlesung in der Universität Regensburg (12. September 2006): Insegnamenti II, 2 (2006), 265.
[83] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 33: a.a.O., 273-274.
[84]
Johannes Paul II., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2000,
15: AAS 92 (2000), 366.
[85] Katechismus der Katholischen
Kirche,
Nr. 407; vgl. Johannes
Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 25: a.a.O., 822-824.
[86]
Vgl. Nr. 17: AAS 99 (2007), 1000.
[87]
Vgl. ebd., 23: a.a.O., 1004-1005.
[88]
Der hl. Augustinus behandelt diese Lehre ausführlich im Dialog über den freien
Willen (De libero arbitrio II 3,8ff). Er spricht von einem »inneren
Sinn«, der in der menschlichen Seele existiert. Dieser Sinn besteht in einem
Akt, der außerhalb der normalen Funktionen der Vernunft vollzogen wird, ein
unreflektierter und gleichsam instinktiver Akt, durch den die Vernunft, indem
sie sich ihrer vergänglichen und fehlbaren Verfaßtheit bewußt wird, über sich
die Existenz von etwas Ewigem, absolut Wahrem und Gewissem annimmt. Der hl.
Augustinus nennt diese innere Wahrheit manchmal Gott (Bekenntnisse X,24,35;
XII,25,35; De libero arbitrio II 3,8) und häufiger Christus (De
magistro 11,38; Bekenntnisse VII,18,24; XI,2,4).
[89]
Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 3: a.a.O., 219.
[90]
Vgl. Nr. 49: a.a.O., 281.
[91]
Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 28: a.a.O., 827-828.
[92]
Vgl. Nr. 35: a.a.O., 836-838.
[93]
Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 38: a.a.O., 565-566.
[94]
Nr. 44: a.a.O., 279.
[95]
Vgl. ebd., 24: a.a.O., 269.
[96]
Vgl. Enzyklika Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.
[97] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 24: a.a.O., 269.
[98] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 32: a.a.O., 832-833; Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 25: a.a.O., 269-270.
[99] Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 24: a.a.O., 637-638.
[100] Ebd., 15: a.a.O., 616-618.
[101] Enzyklika Populorum progressio, 27: a.a.O., 271.
[102] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche
Freiheit und die Befreiung Libertatis conscientia (22. März 1986), 74: AAS
79 (1987), 587.
[103] Vgl. Johannes Paul II., Interview mit der katholischen Tageszeitung »La
Croix« vom 20. August 1997.
[104] Johannes Paul II., Ansprache an die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften (27. April 2001): Insegnamenti, XXIV, 1 (2001), 800.
[105] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 17: a.a.O., 265-266.
[106] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2003,
5: AAS 95 (2003), 343.
[107] Vgl. ebd.
[108] Vgl. Benedikt XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2007,
13: a.a.O., 781-782.
[109] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 65: a.a.O., 289.
[110] Ebd., 36-37: a.a.O., 275-276.
[111] Vgl. ebd., 37: a.a.O., 275-276.
[112] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 11.
[113] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 14: a.a.O.,
264; Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 32: a.a.O., 832-833.
[114] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 77: a.a.O., 295.
[115] Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 6: AAS
82 (1990), 150.
[116] Heraklit von Ephesus (ca. 535-475 v. Chr.), Fragment 22B124, in: H.
Diehls – W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, Weidmann, Berlin
19526.
[117] Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der
Soziallehre der Kirche, Nrn. 451-487.
[118] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 10: AAS
82 (1990), 152-153.
[119] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 65: a.a.O., 289.
[120] Benedikt XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2008,
7: AAS 100 (2008), 41.
[121] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die
Mitglieder der UN-Vollversammlung (18. April 2008): Insegnamenti
IV, 1 (2008), 618-626.
[122] Vgl. Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 13: a.a.O.,
154-155.
[123] Ders., Enzyklika Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.
[124] Ebd., 38: a.a.O., 840-841; Benedikt
XVI., Botschaft zum
Weltfriedenstag 2007,
8: a.a.O., 779.
[125] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 41: a.a.O., 843-845.
[126] Vgl. ebd.
[127] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 20: a.a.O., 422-424.
[128] Enzyklika Populorum progressio, 85: a.a.O., 298-299.
[129] Vgl. Johannes Paul
II., Botschaft zum
Weltfriedenstag 1998,
3: AAS 90 (1998), 150; ders., Ansprache an die Mitglieder der
Stiftung »Centesimus annus« (9. Mai 1998), 2: Insegnamenti XXI, 1
(1998), 873-874; ders., Ansprache bei der
Begegnung mit den Autoritäten und dem Diplomatischen Corps in der Wiener
Hofburg (20. Juni
1998), 8: Insegnamenti XXI, 1 (1998), 1435-1436; ders., Botschaft an
den Rektor Magnificus der Katholischen Universität Sacro Cuore anläßlich des
jährlichen Tags der Universität (5. Mai 2000), 6: Insegnamenti XXIII,
1 (2000), 759-760.
[130] Nach Thomas von Aquin: »ratio partis contrariatur rationi personae«, in: III
Sent. d. 5,3,2; auch: »Homo non ordinatur ad communitatem politicam
secundum se totum et secundum omnia sua«, in: Summa Theologiae I-II, q.
21, a. 4, ad 3.
[131] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 1.
[132] Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die
Öffentliche Sitzung der Päpstlichen Akademie für Theologie und der Päpstlichen
Akademie des heiligen Thomas von Aquin (8. November 2001),
3: Insegnamenti XXIV, 2 (2001), 676-677.
[133] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung über die
Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche Dominus Jesus (6. August 2000), 22: AAS 92 (2000), 763-764; dies., Lehrmäßige Note zu
einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen
Leben (24. November
2002), 8: AAS 96 (2004), 369-370.
[134] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, 31: a.a.O., 1010; ders., Ansprache an die
Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien (19. Oktober 2006), a.a.O.,
465-477.
[135] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 5: a.a.O., 798-800; vgl. Benedikt
XVI., Ansprache an die
Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien (19. Oktober 2006), a.a.O., 471.
[136] Nr. 12.
[137] Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931), AAS 23 (1931), 203; Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 48: a.a.O., 852-854; Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1883.
[138] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris: a.a.O.,
274.
[139] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 10.41; a.a.O., 262.277-278.
[140] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die
Mitglieder der Internationalen Theologenkommission (5. Oktober 2007): Insegnamenti, III, 2
(2007), 418-421; ders., Ansprache an die
Teilnehmer am von der Päpstlichen Lateranuniversität veranstalteten
Internationalen Kongreß über das »Naturrecht« (12. Februar 2007): Insegnamenti, III, 1
(2007), 209-212.
[141] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Bischöfe
der Thailändischen Bischofskonferenz beim Ad-limina-Besuch (16. Mai 2008): Insegnamenti , IV, 1 (2008), 798-801.
[142] Vgl. Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und die Menschen
unterwegs, Instruktion Erga migrantes caritas
Christi (3. Mai
2004): AAS 96 (2004), 762-822.
[143] Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 8: a.a.O., 594-598.
[144] Ansprache am Ende der
Eucharistiefeier anläßlich des Jubiläums der Arbeiter (1. Mai 2000): Insegamenti XXIII, 1 (2000), 720.
[145] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 36: a.a.O., 838-840.
[146] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder der UN-Vollversammlung (18. April 2008): a.a.O., 618-626.
[147] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris: a.a.O.,
293; Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der
Soziallehre der Kirche, Nr. 441.
[148] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in
der Welt von heute Gaudium et spes, 82.
[149] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 43: a.a.O., 574-575.
[150] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 41: a.a.O.,
277-278; vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 57.
[151] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 5: a.a.O., 586-589.
[152] Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, 29: a.a.O.,
420.
[153] Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die
Teilnehmer des IV. Nationalen Kongresses der Kirche in Italien (19. Oktober 2006): a.a.O.,
465-477; ders., Homilie bei der Meßfeier
auf dem »Islinger Feld« in Regensburg (12. September 2006): a.a.O., 252-256.
[154] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über einige Fragen
der Bioethik Dignitas personae (8. September 2008): AAS 100
(2008), 858-887.
[155] Vgl. Enzyklika Populorum progressio, 3: a.a.O., 258.
[156] Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der
Welt von heute Gaudium et spes, 14.
[157] Vgl. Nr. 42: a.a.O., 278.
[158] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, 35: a.a.O., 1013-1014.
[159] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 42: a.a.O.,
278.
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